Umweltschützer: Regierung hatte „Licht und Schatten“

dpa/lsw Stuttgart. „Na ja, ging so. Aber ok“ - das könnte im Zeugnis der Umweltverbände für die Landesregierung stehen. Sie sparen zur Abwechslung mal nicht mit Lob an der Politik. Aber stechen auch in offene Wunden.

Johannes Enssle steht bei einem Pressetermin. Foto: Sebastian Gollnow/dpa/Archivbild

Johannes Enssle steht bei einem Pressetermin. Foto: Sebastian Gollnow/dpa/Archivbild

Müssten die Natur- und Umweltschützer ein Zeugnis vergeben, würde die grün-schwarze Landesregierung in die nächste Legislaturperiode versetzt. Ein Musterschüler wäre sie allerdings nicht. Rund einen Monat vor den Landtagswahlen stellten die beiden großen Verbände Nabu und BUND der Koalition am Dienstag zwar bessere Zensuren aus als zuvor. In einigen wichtigen Bereichen verteilten sie aber auch schlechte Noten. Die Bilanz habe „Licht und Schatten“, sagte BUND-Landesvorsitzende Brigitte Dahlbender.

Die Regierung habe sich in den vergangenen fünf Jahren unter grüner Führung im Natur- und Umweltschutz angestrengt. Vor allem bei den Themen Flächenverbrauch, Mobilität und Klimaschutz reiche dies aber nicht aus. Auch habe die Regierung den Verlust der Artenvielfalt stoppen und eine Umkehr einleiten wollen. „Davon sind wir weit entfernt“, sagte Nabu-Landeschef Johannes Enssle.

Problematisch sei vor allem der Hang, viele Initiativen ins Leben zu rufen, ohne klare Anforderungen zu stellen. Außerdem widersprächen sich viele Projekte und Planungen in ihren Zielen. „Einerseits macht die Landesregierung sehr viel, um den Naturschutz zu fördern“, sagte Dahlbender. „Andererseits macht sie diese Erfolge zum Teil auch wieder zunichte, weil sie auch weiterhin zum Beispiel den Flächenverbrauch und den Straßenbau zulässt und bei der Mobilität die falschen Maßstäbe setzt.“

Zum Beispiel würden durch an sich wichtige Radschnellwege in der freien Landschaft Flächen versiegelt anstatt sie auf die Straße zu verlagern und damit Anteile eines klassischen klimaschädigenden Verkehrsträgers abzubauen.

Die Regierung versäume es, die Wende hin zu einer neuen, klimaschonenden Mobilitätskultur einzuleiten, sagten Dahlbender und Enssle. „Zu viel Geld fließt immer noch in den Straßenbau. Im Klartext bedeutet das mehr Verkehr, mehr CO2-Emissionen, höhere Luftbelastung und mehr Flächenverbrauch.“ Es fehle die Perspektive für eine klimaschonende Mobilitätskultur und eine Antwort auf die Frage, welchen Platz der Autoverkehr darin einnehmen solle.

Ungenügend gesetzt seien im Klimaschutzgesetz auch die Ziele für den Kohlenstoffdioxidausstoß bis 2030. „Tragischerweise steht Baden-Württemberg selbst mit diesem wenig wirksamen Gesetz besser da als die anderen Bundesländer“, sagte Dahlbender. Ein Fortschritt sei dagegen der Einsatz der Landesregierung für die Südquote beim Ausbau der Windenergie. Ein Aber gibt es auch hier: Es fehle weiterhin ein Fahrplan zum Ausstieg aus der Nutzung der klimaschädlichen Kohlekraftwerke in Baden-Württemberg und eine ausreichende Unterstützung für Bürgerenergieanlagen.

Einen „Meilenstein“ gebe es dagegen nach überaus verhaltenen Start im Dauerstreit zwischen Naturschützern, Imkern und Bauern, lobte Enssle. Das neue sogenannte Biodiversitätsstärkungsgesetz stelle die Weichen, um Öko-Anbau zu stärken, Streuobstbestände zu schützen und Blühflächen zu schaffen. Auch sei der Etat für den Naturschutz seit 2011 um 30 Millionen auf zuletzt 106,7 Millionen Euro erhöht worden, die Regierung habe zudem die schlecht ausgestattete Naturschutzverwaltung personell gestärkt. Dagegen habe sie zu wenig unternommen, um Massentierhaltung und Schlachthöfe besser zu kontrollieren.

Enssle und Dahlbender beklagten zudem ausgeprägte „Projektitis“. Es würden viele Maßnahmen nur modellhaft umgesetzt. „Wir hangeln uns von einem Projekt zum nächsten“, kritisierte Enssle. „Nach dem Ende der Finanzierung brechen die Maßnahmen dann in sich zusammen. Das ist nicht nachhaltig.“

Als Beispiel nannte er das Schutzprojekt des NABU-Vogelschutzzentrums Mössingen, mit dessen Hilfe die Zahl der bedrohten Rebhühner zuletzt deutlich gestiegen sei. Nun stehe es im Landkreis Tübingen infrage, weil es kein innovatives Leuchtturmprojekt mehr sei. „Aber es reichen ein oder zwei Jahren, in denen dort nichts passiert, und schon sind alle Bemühungen der vergangenen Jahre und alles Geld für die Katz gewesen. Oder für den Fuchs, der die Hühner frisst.“

© dpa-infocom, dpa:210209-99-364846/3

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Erstellt:
9. Februar 2021, 12:43 Uhr

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