Und dann bleibt das Bettchen doch leer

Die Gesprächsgruppe Wolkenband hilft Müttern und Vätern, deren Kind tot zur Welt gekommen ist. Für die Familien ist es wichtig, über ihre Sternenkinder zu sprechen. Die Menschen gehen unterschiedlich mit der Situation um, doch leider wird das Thema oft verschwiegen.

Aus dem Shirt, das Daniela Marous während der Geburt trug, nähte sie Teddybären, von denen sie einen ihrem Sohn Liam mit ins Grab gab. Auch das kleine Wölkchen von der Gruppe Wolkenband ist eine Erinnerung an das verstorbene Kind. Foto: A. Becher

© Alexander Becher

Aus dem Shirt, das Daniela Marous während der Geburt trug, nähte sie Teddybären, von denen sie einen ihrem Sohn Liam mit ins Grab gab. Auch das kleine Wölkchen von der Gruppe Wolkenband ist eine Erinnerung an das verstorbene Kind. Foto: A. Becher

Von Simone Schneider-Seebeck

Kirchberg an der Murr. Wir leben in einer hoch technologisierten Welt. Für scheinbar alles gibt es eine Lösung, selbst beim Kinderwunsch. Doch so einfach lässt sich die Natur kein Schnippchen schlagen. Oft scheint alles perfekt, die Schwangerschaft stellt sich ein, man hört schon Herztöne und sieht, wie das kleine Wesen Purzelbäume schlägt – und am Ende bleibt das Bettchen doch leer.

Als die Kirchbergerin Daniela Marous erfuhr, dass sie schwanger ist, hatten sie und ihr Lebensgefährte sich sehr darüber gefreut. Beide haben schon einen Sohn aus einer vorigen Beziehung, mit dem gemeinsamen Nachwuchs schien das Familienleben perfekt. Die Schwangerschaft verlief gut, die Untersuchungen zeigten keinerlei Auffälligkeiten. Mit damals 31 Jahren gehörte Marous auch nicht zu einer Risikogruppe. Auf einmal setzten in der 18. Woche jedoch starke Unterleibsschmerzen ein, der Frauenarzt schickte sie sofort in die Klinik. Doch die Bemühungen halfen nicht – am 2. Februar 2020 kam der kleine Liam tot auf die Welt. Daniela Marous ist immer noch ganz überwältigt davon, wie perfekt er war: „Wahnsinn, es war alles zu sehen. Diese kleinen Fingernägel...“ Ein richtiges Baby, das Äußere fertig ausgebildet – nur 19 Zentimeter groß. Ihr Partner war bei der Geburt dabei und ihr eine große Stütze.

Für die Patchworkfamilie war die Situation nicht leicht, vor allem die anstehende Beerdigung kostete Kraft. Aus dem Shirt, das sie während der Geburt trug, nähte die Kirchbergerin kleine Teddybären, einen davon gab sie dem kleinen Sohn mit.

In der Gruppe ist man vollkommen frei, ob man reden möchte oder nur zuhören

Über ihren Frauenarzt erfuhr sie von der Gesprächsgruppe Wolkenband. Zusammen mit einem Infoflyer bekam sie ein kleines Wolkenkissen geschenkt, eine Erinnerung an ihr Sternenkind. „Es hat mir sehr geholfen, mit Müttern zu sprechen, die das Gleiche durchgemacht haben“, sagt sie. Dabei ist man vollkommen frei, ob man nun reden möchte oder nur zuhören. Marous selbst hat auch die Erfahrung gemacht, dass Menschen mit dieser Situation unterschiedlich umgehen. Oft wird es verschwiegen, man weiß nicht, wie man darüber sprechen soll.

Katrin und Sven Lasinski haben ein Jahr nach der Geburt ihrer Zwillinge Lino bekommen. Für ihn sind seine älteren Brüder zwei Schutzengel, die auf ihn aufpassen. Foto: Agnes Trescher

Katrin und Sven Lasinski haben ein Jahr nach der Geburt ihrer Zwillinge Lino bekommen. Für ihn sind seine älteren Brüder zwei Schutzengel, die auf ihn aufpassen. Foto: Agnes Trescher

Auch Katrin Lasinski hat diese Erfahrung gemacht. Sie hat die Gruppe Wolkenband gegründet, als sie noch in Waiblingen wohnte. 2017 war sie mit Zwillingen schwanger. Die Schwangerschaft verlief perfekt, die engmaschigen Untersuchungen der jungen Frau – eine Zwillingsschwangerschaft gilt als Risiko – verliefen zufriedenstellend, die beiden kleinen Jungs entwickelten sich sehr gut.

In der Nacht auf den 8. Dezember wachte Lasinski jedoch mit Schmerzen auf, die nicht nachlassen wollten. Mittlerweile in der 33. Schwangerschaftswoche, ging sie nach Rücksprache mit ihrer Hebamme mit Verdacht auf Senkwehen ins Krankenhaus. Dort der Schock – keine Herztöne. Durch den Ultraschall wurde bestätigt, dass die Kinder verstorben waren. Ursache: Fetofetales Transfusionssyndrom (FFTS), dabei werden die Kinder ungleichmäßig mit Blut versorgt. Für Katrin Lasinski und ihren Partner unfassbar: „Vier Tage zuvor hörte ich auch noch die Herzchen schlagen!“

„Jedes Kind, das lebend auf die Welt kommt, ist ein Wunder.“

Sie entschied sich, die beiden Jungs, Noel und Liam, auf natürlichem Weg auf die Welt zu bringen. Das Krankenhausteam ging sehr verständnisvoll mit der kleinen Familie um. Von ihrer Hebamme hörte die junge Mutter von der Stiftung „Dein Sternenkind“, einem Netzwerk von Fotografen, die kostenlos Erinnerungsfotos der verstorbenen Kinder machen. Unterstützt von ihrer Mutter entschied sie sich, das Angebot zu nutzen, und ist heute sehr froh über die Bilder von Noel und Liam. „Ich würde es nie wieder anders machen“, sagt sie. „Fotos sind sehr wichtig für die Erinnerung.“

Nur ein Jahr später kam Lino auf die Welt, am 10. Dezember, dem Geburtstag seiner Brüder. Er weiß von seinen älteren Geschwistern und ist überzeugt: „Sie passen oben auf mich auf.“

Katrin Lasinski, mittlerweile vierfache Mutter, lernte immer mehr Frauen mit ähnlichem Schicksal kennen und gründete die Gesprächsgruppe Wolkenband in Waiblingen. Mittlerweile wohnt sie in Ingersheim und hat auch im Raum Ludwigsburg eine Gruppe ins Leben gerufen. Zudem arbeitet sie mit Hospizdiensten zusammen, beispielsweise dem Kinder- und Jugendhospizdienst Pusteblume in Backnang. Und sie näht – kleine Wölkchen als Erinnerung an die verstorbenen Kinder, die sie an Gynäkologen verteilt, damit die sie an betroffene Mütter weitergeben können. Und auch winzige Kleider, damit die Sternenkinder etwas Passendes anzuziehen haben, wenn sie sich auf die Reise machen. Sie ist überzeugt: „Jedes Kind, das lebend auf die Welt kommt, ist ein Wunder. Der Mensch hat nicht alles in der Hand.“

Kleidung und Geburtskissen

Wolkenband Katrin Lasinski hat die Gesprächsgruppe Wolkenband gegründet. Sie näht ehrenamtlich Kleidung und Geburtskissen und stellt diese Krankenhäusern und Fotografen kostenfrei zur Verfügung. Aktuell näht sie Briefumschläge für Krankenhäuser, um Informationen über Sternenkinder schön zu verpacken. Da sie alles in Eigenregie und ohne kommerziellen Hintergrund macht, freut sie sich über Materialspenden wie Stoffe, Nadeln für die Nähmaschine oder Füllstoff für die Geburtskissen. Kontakt per E-Mail: wolkenband@hotmail.com

Sternenkind Der Begriff Sternenkind geht auf die Idee zurück, Kinder zu benennen, die „den Himmel (poetisch: die Sterne) erreicht haben, noch bevor sie das Licht der Welt erblicken durften“. Kinder, die nach einem Sternenkind geboren werden, bezeichnet man häufig als Regenbogenkind.

Erinnerungsfotos Die Stiftung „Dein Sternenkind“ wurde 2013 gegründet und bietet Erinnerungsfotos für Eltern, die ihr Kind entweder vor oder kurz nach der Geburt verloren haben. In Deutschland sind dafür über 600 Fotografen im Einsatz – kostenlos für die Familien. Weitere Informationen: www.dein-sternenkind.eu

Geburten Im Jahr 2020 wurden in Deutschland 773144 Lebendgeborene registriert,

3162 Kinder starben im Mutterleib, weitere 2373 Kinder verstarben innerhalb des ersten Lebensjahrs.

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Erstellt:
30. November 2021, 06:00 Uhr

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