Unhaltbare Zustände im Lebensmittelmarkt

Großer Wirrwarr um Zuständigkeiten in Backnanger Filiale eines großen Discounters

Von Hans-Christoph Werner BACKNANG. Es gibt in Backnang bekanntlich nicht wenig Möglichkeiten, sein täglich Brot und was da sonst noch dazugehört, käuflich zu erwerben. Und nicht nur an den Rändern der Stadt, sondern auch mittendrin wurden entsprechende Verkaufshallen errichtet. Regionalität, Vielfalt und Frische versprechen große Reklametafeln an der Außenwand des Gebäudes. Leider war es um die Frische nicht so gut bestellt, als im August letzten Jahres die Lebensmittelkontrolleure anrückten. Obst lag verschimmelt im Kühlraum, eingelagertes Fleisch hatte das Haltbarkeitsdatum überschritten oder gar den Gefrierbrand, Müll lag auf dem Boden. Um die Sauberkeit an Spüle, Seifenspendern und Lüftungsgittern war es allgemein schlecht bestellt. Schon des Öfteren, so gibt der als Zeuge auftretende Lebensmittelkontrolleur an, habe man mit dem Markt Schwierigkeiten gehabt. Als eine der Beteiligten hatte sich eine 43-jährige Verkäuferin kürzlich vor dem Amtsgericht in Backnang zu verantworten. Die gelernte Hotelfachfrau hatte in die Lebensmittelbranche gewechselt. Vom Richter zur Sache befragt, gab sie an, dass sie in dem Betrieb „Mädchen für alles“ gewesen sei. Höchst wichtig war stets, dass die Kassen besetzt waren. Dann war Ware in die Regale einzuräumen. Schließlich waren die Abrechnungen zu tätigen. Ob es denn irgendwelche Schulungen bezüglich Lebensmittelvorschriften gegeben habe, wollte der Richter wissen. Sie verneinte. Auch alles von Obst und Gemüse, was nicht mehr so gut aussah, wurde ins Kühlhaus getragen. Es sollte dort bis zur Weiterverarbeitung bleiben. Gerade letzteres interessierte den Richter. Ob denn aus den verschimmelten Karotten dann noch Karottensalat gemacht wurde, wollte er wissen. Die Angeklagte konnte darauf keine Antwort geben. Mit der sogenannten Weiterverarbeitung hatte sie nichts zu tun. Irgendwelche Arbeitspläne, Arbeitsanweisungen? Fehlanzeige. Sie stellte zweifelhafte Ware einfach ins Kühlhaus. Und mit der Reinigung von Boden oder Lüftungsgittern hatte sie auch nichts zu tun. Viele Zuständige und keiner verantwortlich Der Richter bemüht sich, die Zuständigkeiten in dem Lebensmittelmarkt zu klären. Zuoberst der Chef, der neben dem Backnanger Markt noch einem weiteren vorsteht. Darunter der Filialleiter. Und als Vertreter des Filialleiters wiederum zwei Assistentinnen. Von der Zahl her zwei, weil die langen Öffnungszeiten des Marktes abzudecken waren. Die Angeklagte ist also Assistentin und soll mit der anderen Assistentin vertrauensvoll zusammenarbeiten. Diese Kollegin der Angeklagten, in den Zeugenstand gerufen, gab an, dass sie mehr zu sagen hatte als ihr Gegenüber. Man habe wohl, so stellte sich heraus, immer wieder zu Beanstandendes gesehen und angesprochen, aber diese Beanstandungen seien dann im Sand verlaufen. Offenbar fühlte sich niemand dafür verantwortlich. Der Chef beider Filialen wurde als Zeuge gehört. Auch er wurde nochmals zur Hierarchie in seinem Betrieb befragt. Die beiden Assistentinnen seien die Vertretung des Marktleiters gewesen. Scheinbar gleichberechtigt. Als der Verteidiger der Angeklagten den Diplomkaufmann nach einem Organigramm seines Betriebes befragte, ist diesem der Fachausdruck fremd. Und so ließen sich die genauen Zuständigkeiten und die Weisungsbefugnisse nicht lückenlos aufklären. Gerade die vergeblichen Aufklärungsbemühungen in dieser Sache kommentierte der Richter mit der Bemerkung: „Der Fisch stinkt vom Kopf her.“ Was nun der Angeklagten im konkreten Fall anzulasten war, schwand im Lauf der Verhandlung immer mehr. Der Staatsanwalt erläuterte, dass das Lebensmittelgesetz alle betrifft, die in diesem Bereich arbeiten. Auch wenn das, was man der Angeklagten vorzuhalten habe, immer unklarer werde, es sei sicherlich nicht nichts gewesen. Die Sitzung wurde unterbrochen. Staatsanwalt, Richter und Verteidiger zogen sich zur Sachstandserörterung zurück. Das Ergebnis dessen hatte der Rechtsanwalt anschließend seiner Mandantin zu erläutern. Das Verfahren gegen die Angeklagte wurde gegen eine Geldauflage von 450 Euro zugunsten des Stadtjugendrings eingestellt. Das Verfahren gegen die andere Assistentin ist bereits abgeschlossen, das gegen den Chef der beiden Filialen ist noch anhängig.

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Erstellt:
12. Juni 2018, 06:00 Uhr

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