„Unmögliches machbar gemacht“

Extremläufer Gerhard Unger bietet für einen guten Zweck seine Dienste als Laufcoach an und lässt Laufnovizen Felix Debler jubeln

In der lokalen Laufszene kennt jeder Gerhard Unger. Der Ultraläufer der Extreme, der auch schon den legendären Tor de Géants über 330 Kilometer gemeistert hat, beteiligte sich jetzt an einer Aktion, mit der ein querschnittsgelähmtes Mädchen unterstützt wird. Sein Beitrag: Der Heininger hat auf einer Auktion ein Laufcoaching angeboten. Hobbyjogger Felix Debler, der gerne einmal einen Marathon meistern wollte, ersteigerte Ungers Trainingsunterstützung. Und dann ging’s erst richtig los.

Gerhard Unger (links) und sein Schützling Felix Debler im alpinen Gelände. Die beiden beendeten das Rennen über 101 Kilometer und 5500 Höhenmeter nach 24 Stunden. Die Einschätzung vieler Experten im Vorfeld: „Für einen Laufanfänger ist das nicht zu schaffen.“ Fotos: privat

Gerhard Unger (links) und sein Schützling Felix Debler im alpinen Gelände. Die beiden beendeten das Rennen über 101 Kilometer und 5500 Höhenmeter nach 24 Stunden. Die Einschätzung vieler Experten im Vorfeld: „Für einen Laufanfänger ist das nicht zu schaffen.“ Fotos: privat

Von Matthias Nothstein

BACKNANG. So ist er, der laufverrückte Gerhard Unger. Hart, sogar ultrahart zu sich selbst auf der Strecke, aber ein weiches Herz für das Schicksal der Mitmenschen. Vor allem das Los der 17-jährigen Delia, die nach einer Operation urplötzlich querschnittsgelähmt ist, bewegt den 53-Jährigen sehr.

Keine Frage für Unger, der Familie wenigstens finanziell helfen zu wollen. Auf Facebook bot er im April sein Wissen und sein Engagement in Form eines Laufcoachings der besonderen Art an. „Egal, ob du Laufanfänger bist oder du dich auf einen Marathon vorbereiten möchtest oder mehr – ich unterstütze dich dabei. Wir werden gemeinsam trainieren und deine Zeiten besprechen und analysieren. Ich werde dich motivieren und dich zu deinem Ziel begleiten. Und hinterher feiern wir deinen Erfolg mit einem gemeinsamen Essen.“

Und siehe da, die Trainingsbegleitung war dem Lorcher Felix Debler 270 Euro wert. Einen Betrag, den Unger gleich auf das Hilfskonto überwies. Debler bezeichnet sich selbst als Hobbyläufer. Üblicherweise joggte er nicht mehr als sieben Kilometer. 15 Jahre lang hatte Debler Fußball gespielt, bis im Jahr 2012 ein Kreuzbandriss im Knie auf einen Schlag die sportlichen Ambitionen beendete. Jahrelang spielte Sport überhaupt keine Rolle im Leben des Anlagenmechanikers. Erst Anfang März dieses Jahres schnürte er dann doch wieder seine Laufschuhe und trabte zweimal die Woche fünf bis sieben Kilometer, mehr war nicht. Mit Ungers Hilfe wollte er es nun schaffen, im Herbst den Alb-Marathon von Schwäbisch Gmünd über 50 Kilometer zu schaffen. Ein Ziel, das ihn schon lange bewegte.

Nach läppischen fünf Wochen Training zum Zugspitz-Ultratrail

Anfang Mai joggte Unger erstmals mit seinem Partner und verspürte sogleich das große Talent und die Begeisterungsfähigkeit seines Schützlings. Und wie es so Ungers Art ist, standen gleich am ersten Trainingstag 23 Kilometer im Trainingsbuch. Es folgten vier weitere Läufe über je 30 Kilometer, bei denen das Potenzial Deblers immer deutlicher zum Vorschein kam. Und so reifte in Unger der Entschluss, mit seinem Schützling nach läppischen fünf Wochen Training beim Zugspitz-Ultratrail zu starten. Dabei wird das Wettersteinmassiv einmal umrundet.

Der Lauf ist 101 Kilometer lang und bringt es auf 5500 Höhenmeter. Die Einschätzung aller Experten: „Das ist für einen Laufanfänger nicht zu schaffen.“ Doch all diese Zweifler kennen nicht Gerhard Ungers Motivationskünste. Nach 24:08 Stunden lief er mit seinem Zögling durchs Ziel in Grainau. „Wir haben es geschafft, wir haben das Unmögliche möglich gemacht“, freute sich Unger.

Debler sagt über sich selbst, dass er eigentlich schon immer ein sehr guter Läufer und „sehr verbissen“ war. „Ich bin nicht der Typ, der aufgibt.“ Als Unger nach dem zweiten Trainingslauf die Idee mit dem Zugspitz-Ultralauf per WhatsApp-Sprachnachricht schickte, „da hatte ich in der Nacht ziemliches Bauchweh“. Trotzdem sagte er zu. In der Folge passte er sein Training an. Wöchentlich lief er drei- bis viermal zwischen 15 und 25 Kilometer und gönnte sich dazwischen konsequent immer einen Tag Ruhe. So vorbereitet ging er sein Abenteuer an.

Am Wettkampftag kämpfte Debler ab Kilometer 50 mit Knieschmerzen. Diese wurden immer stärker. Vor allem ab Kilometer 80 konnte er kaum noch bergab laufen. Doch Aufgeben kam für ihn nicht infrage. Und vor allem nicht für Unger. Der trieb ihn unbarmherzig an, unterstützte ihn auf alle erdenkliche Art und Weise und motivierte ihn ununterbrochen. Ungers Fazit: „Es ist unvorstellbar, was alles möglich ist, wenn man an sich glaubt. Unser Wille kann Berge versetzen. Der Körper folgt dem Geist.“

„Die Zielankunft war der beste Moment meines Lebens bisher“

Im Ziel jubelten Debler und Unger gemeinsam über ihre unfassbare Willensleistung. Debler: „Die Zielankunft war der beste Moment meines Lebens bisher. Ein Traum, den man kaum in Worte fassen kann.“ Nach diesem Erfolg hat der 27-Jährige Blut geleckt. „Das Training geht direkt weiter. Für den Alb-Marathon im Herbst bin ich bereits angemeldet.“

Am legendären Zugspitz-Ultratrail haben noch weitere Läufer aus dem Raum Backnang teilgenommen. Schnellster war Gerald Weik von der TSG Backnang, der nach 18:01 Stunden ins Ziel kam. Achim Wöhrle von den Murrtal-Runners blieb lange Zeit an der Seite seines langjährigen Laufpartners Carsten Fraszczak, bevor dieser nach der Hälfte des Rennens endgültig aufgab. Danach reichte es für den 50-Jährigen noch zu einer Zeit von 23:08 Stunden. Manfred Küster aus Heiningen (Bohnaeck-Runners) beendete das Rennen mit Gerhard Unger und Felix Debler gemeinsam nach 24:08 Stunden.

Wohnung musste aufwendig umgebaut werden Info Die 15-jährige Delia aus Bonn-Röttgen litt im Jahr 2016 längere Zeit an Nackenschmerzen. Ursache: Quetschung der Nerven im Halswirbelbereich. Nach einer neunstündigen Operation wachte Delia, die vorher zu Fuß in die Klinik kam, querschnittsgelähmt aus der Narkose auf. Sie musste beatmet werden und konnte ihre Arme und Beine nicht mehr bewegen. Monatelang kämpfte sie täglich in einer speziellen Kinderklinik in Brandenburg, um allein atmen, sprechen und den Kopf halten zu können. Die ärztliche Prognose ist ungewiss. Für das zuvor sehr aktive und sportliche Mädchen brach eine Welt zusammen. Um ihr Lebensmut und Kraft zu geben, ist die permanente Anwesenheit der Mutter bei Delia in der Klinik notwendig. Damit Delia zurück nach Hause kommen konnte, musste die Wohnung rollstuhlgerecht umgebaut werden. Die Umbaumaßnahmen im Haus inklusive der Hilfsmittel, die Delia braucht, damit sie am täglichen Leben teilnehmen kann, waren teuer. Delias alleinerziehende Mutter, die noch zwei Kinder zu versorgen hat, hätte sich den Umbau nicht leisten können. Zumal sieben Monate nach der verhängnisvollen Operation die finanziellen Reserven der Familie völlig aufgebraucht waren. Umgebaut werden musste unter anderem der Hauseingang, die Terrassentür und das Bad. Ferner war es nötig, einen Treppenlift zu installieren, damit Delia wieder nach Hause in ihre gewohnte Umgebung zurückkehren konnte. Allein die ersten Investitionskosten summieren sich auf 100000 Euro. In der Zwischenzeit sind bei verschiedenen Aktionen etwa 200000 Euro zusammengekommen.
Delia ist nach einer Operation gelähmt.

Delia ist nach einer Operation gelähmt.

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Erstellt:
28. Juni 2018, 06:00 Uhr

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