Zwei „Unwörter des Jahres“ gekürt

dpa Darmstadt. Corona reicht in fast alle Lebensbereiche und bringt sprachliche Auswüchse mit sich. Wie schon beim „Wort des Jahres“ spielt es auch beim „Unwort“ eine Rolle. Auch bei anderen Themen wird bei der Wortwahl daneben gegriffen. Eine Jury will dem gerecht werden.

„Absonderung“, „Systemling“, „Wirrologen“ oder „Grippchen“, sind unter anderem zum Thema Corona-Pandemie eingegangen. Foto: Frank Rumpenhorst/dpa

„Absonderung“, „Systemling“, „Wirrologen“ oder „Grippchen“, sind unter anderem zum Thema Corona-Pandemie eingegangen. Foto: Frank Rumpenhorst/dpa

Erstmals sind bei dem „Unwort des Jahres“ für 2020 gleich zwei Begriffe gekürt worden. Mit „Corona-Diktatur“ und „Rückführungspatenschaften“ wählte die Jury der sprachkritischen Aktion in Darmstadt ein Unwörter-Paar aus zwei verschieden Themenbereichen.

Das vergangene Jahr sei in bisher kaum gekannter Weise von der Pandemie geprägt worden. Doch auch bei anderen Bereichen gebe es inhumane und unangemessene Wörter. „Mit "Rückführungspatenschaften" und "Corona-Diktatur" nehmen wir Rücksicht darauf, dass Corona das dominierende Thema ist, Sprachkritik aber auch in anderen Bereichen notwendig bleibt“, sagte die Sprecherin der Jury, Nina Janich, der Deutschen Presse-Agentur.

Der Begriff der „Corona-Diktatur“ tauchte immer wieder bei Demonstrationen von Gegnern der Corona-Einschränkungen auf Plakaten auf, aber auch im Bundestag. „Wir haben in diesem Land die Freiheit zu mühselig errungen, als dass wir sie an der Garderobe eines Notstandkabinetts abgeben. Eine Corona-Diktatur auf Widerruf ist keine Lösung. Wir müssen abwägen, auch um den Preis, dass Menschen sterben“, hatte der AfD-Fraktionschef Alexander Gauland im Oktober im Bundestag gesagt.

Der insgesamt 21 mal vorgeschlagene Begriff der „Corona-Diktatur“ sei seit Beginn des öffentlichen Diskurses in der Pandemie von selbst ernannten „Querdenkern“ und rechten Propagandisten gebraucht worden, um regierungspolitische Maßnahmen zur Eindämmung zu diskreditieren, urteilte die Jury. „Zudem verharmlost der Ausdruck tatsächliche Diktaturen und verhöhnt die Menschen, die sich dort gegen die Diktatoren wenden und dafür Haft und Folter bis hin zum Tod in Kauf nehmen oder fliehen müssen“, heißt es in einer Mitteilung. Dies erscheine umso problematischer - wie es in einer Einsendung heiße - als dass dieses Schlagwort oft von denen verwendet werde, die „selbst und zum Teil ganz offen auf die Abschaffung der bürgerlichen Freiheiten und der sie repräsentierenden Verfassung zielen“.

Der gleichberechtigte, insgesamt 41 mal vorgeschlagene Begriff „Rückführungspatenschaften“ findet sich im Sprachgebrauch eher selten. Er taucht unter anderem in einer Mitteilung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion unter dem Titel „Lasten fair verteilen. Interessen aller EU-Mitgliedstaaten in der Asyl- und Migrationspolitik zusammenbringen“ auf. Hiermit sei von der EU-Kommission ein neuer Mechanismus der Migrationspolitik bezeichnet worden, heißt es von der Jury der sprachkritischen Aktion.

„Die EU-Staaten, die sich weigern, Flüchtlinge aufzunehmen, sollen ihrer "Solidarität" mit den anderen Mitgliedern der EU dadurch gerecht werden, dass sie die Verantwortung für die Abschiebung abgelehnter Asylbewerber übernehmen“, heißt es in der Mitteilung. Das Wort sei zynisch und beschönigend. Mit „Rückführung“, so habe es in einer der Einsendungen geheißen, werde suggeriert, „dass Abschieben eine gute menschliche Tat“ sei.

Die EU-Kommission verteidigte ihr Konzept der „Rückführungspatenschaften“. Es handele sich um ein neues Politik-Konzept und könne deshalb tatsächlich zu Verständnisfragen führen, sagte ein Sprecher der Brüsseler Behörde. Grundsätzlich könnten solche Rückführungspatenschaften jedoch ein „handfestes Zeichen der Solidarität zwischen Mitgliedsstaaten“ sein und zum guten Migrationsmanagement in Europa beitragen. Das Konzept sei Teil von Reformvorschlägen der EU-Kommission für eine neue Asyl- und Migrationspolitik in Europa.

Die EU-Staaten sind bei diesem Thema seit Jahren tief zerstritten. Einige Staaten wie Italien oder Griechenland fordern, dass andere Länder ihnen Schutzsuchende abnehmen. Andere wie Ungarn oder Tschechien lehnen es kategorisch ab, sich zur Aufnahme von Migranten zu verpflichten. Das Konzept wird in der Praxis allerdings noch lange nicht angewendet.

Die Corona-Pandemie war bei den Vorschlägen zum „Unwort“ das dominierende Thema der 1826 bis zum 31. Dezember eingegangenen Einsendungen. Es gab 625 unterschiedliche Vorschläge. 75 der Wörter entsprachen einem der vier Unwort-Kriterien.

Die sprachkritische Aktion „Unwort des Jahres“ möchte mit ihrer alljährlichen Aktion auf unangemessenen Sprachgebrauch aufmerksam machen und so sensibilisieren. Dabei werden Wörter gerügt, die gegen die Prinzipien der Menschenwürde oder Demokratie verstoßen, die gesellschaftliche Gruppen diskriminieren oder die euphemistische, verschleiernde oder irreführende Formulierungen sind. Reine Schimpfwörter zählen nicht. Vorschläge müssen eines der Kriterien erfüllen. Die Jury richtet sich nicht nach der Menge der Vorschläge für ein einzelnes Wort.

Das „Unwort des Jahres“ wird seit 1991 gekürt. 2019 war es „Klimahysterie“. Bereits Ende November hatte die Jury der Gesellschaft für deutsche Sprache „Corona-Pandemie“ zum „Wort des Jahres“ 2020 gekürt.

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Zwei Pappschilder mit den Aufschriften "Rückführungspatenschaften" und "Corona-Diktatur". Foto: Arne Dedert/dpa

Zwei Pappschilder mit den Aufschriften "Rückführungspatenschaften" und "Corona-Diktatur". Foto: Arne Dedert/dpa

Ein Teilnehmer trägt auf dem Cannstatter Wasen bei einer Kundgebung der Initiative „Querdenken 711“ eine Warnweste mit der Aufschrift „Corona Diktatur stoppen“. Foto: Christoph Schmidt/dpa

Ein Teilnehmer trägt auf dem Cannstatter Wasen bei einer Kundgebung der Initiative „Querdenken 711“ eine Warnweste mit der Aufschrift „Corona Diktatur stoppen“. Foto: Christoph Schmidt/dpa

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Erstellt:
12. Januar 2021, 07:38 Uhr

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