Urteil soll Dealern Perspektive eröffnen

Zwei Drogenhändler aus Murrhardt wurden nun in Stuttgart zu mehrjährigen Freiheitsstrafen verurteilt.

Foto: A. Becher

© Pressefotografie Alexander Beche

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Von Bernd S. Winckler

MURRHARDT. Norbert Winkelmann, seines Zeichens Vorsitzender Richter der 19. Strafkammer am Stuttgarter Landgericht, hat ein Machtwort gesprochen. Nicht nur in die Zuhörerreihen, in denen Menschen ohne ausreichenden Mund-Nasen-Schutz sitzen, sondern auch zur Anklagebank. Dort sitzen die beiden jungen Männer aus dem Murrhardter Ortsteil Fornsbach, die der Jurist jetzt wegen Drogenhandels zu dreieinhalb und viereinviertel Jahren Haft verdonnerte.

Nach siebenwöchiger Hauptverhandlung kam Winkelmann mit seinem Beisitzer und den beiden Schöffen am Mittwoch zu dem Ergebnis, dass die zwei 30- und 36-jährigen Männer wegen drei- beziehungsweise zweifachen Handeltreibens mit Rauschgiften (Marihuana und verbotene Vitaminpräparate) in großer Menge schuldig sind.

Auch wenn sie, wie ebenfalls festgestellt wurde, selbst süchtig waren und ihren Eigenbedarf durch den Verkauf der Drogen finanzierten. Obwohl Marihuana („Gras“) nicht zu den allergefährlichsten Drogen zählt, versäumte es der Strafkammervorsitzende gestern bei der Urteilsverkündung nicht, darauf hinzuweisen, dass es sich um schwerwiegende kriminelle Taten handelt, da nun einmal der Gesetzgeber die entsprechenden Vorschriften erlassen habe. Demnach hatten die beiden Angeklagten sich ab Dezember vergangenen Jahres – wahrscheinlich auch schon früher, wie das Gericht vermutet – dazu entschlossen, ihren Eigenkonsum durch Drogengeschäfte zu finanzieren und daraus eine lukrative Einnahmequelle mit hohen Gewinnen zu schaffen.

In der Wohnung konnten die Fahnder auch mehrere Tausend Euro Drogengeld sicherstellen.

Bereits zu Beginn wurden 4,2 Kilo Marihuana eingekauft, in der gemeinsamen Fornsbacher Wohnung zunächst gelagert, dann aufgesplittet, sodass für den Eigenkonsum 500 Gramm übrig blieben. Der Rest wurde dann grammweise, aber auch in höheren Chargen an die Kundschaft zum Preis von je 5,50 Euro verkauft. Die Geschäfte seien bis März dieses Jahres lukrativ gewesen, stellt das Gericht im Urteil fest. Weitere 4,2 Kilo der Drogen plus gut ein Kilo illegaler Vitaminpaste gingen nach Abzug des Eigenverbrauchs bis zur Aufdeckung durch die Polizei und der dann folgenden Festnahme am 3. März dieses Jahres gewinnbringend über den heimischen Tresen der beiden.

Sicherstellen konnten die Drogenfahnder an jenem Märztag noch 1238 Gramm der Drogen plus 261 Gramm MDMA (Ecstasy), was nach der Analyse des Labors des Landeskriminalamts „gutes Material“ war. Dazu konnte man in der Murrhardter Wohnung mehrere Tausend Euro Drogengeld sicherstellen. Beide Angeklagten waren umfassend geständig, was die Richter gestern im Urteil auch ausdrücklich bei der Strafzumessung würdigten.

Man hatte sich bereits am zweiten Verhandlungstag dahingehend verständigt, dass nach den Geständnissen Freiheitsstrafen nicht über viereinhalb Jahren (Obergrenze) verhängt werden. Dabei blieb man mit vier Jahren und drei Monaten gegen den 36-Jährigen um drei Monate darunter. Beim 30-jährigen Mitangeklagten blieb es bei dreieinhalb Jahren wegen Drogenhandels und wegen Beihilfe dazu. Doch Richter Winkelmann weist deutlich darauf hin, dass ohne diese Verständigung und ohne Geständnisse „die Tarife dieser Strafkammer bei sechs Jahren liegen“. Laut Gesetz sind bei Drogendelikten sogar bis zu 15 Jahre möglich. Der Richter: „Wir blieben mit der Strafzumessung am unteren Rand.“ Berücksichtigt hat das Gericht zudem noch die Drogensucht der beiden und in einem besonderen Beschluss deren Unterbringung in einer Entzugseinrichtung veranlasst. Beide waren drogenabhängig, aber dennoch voll schuldfähig, wie ein Gutachter feststellte.

Nicht ungeschoren bleiben sie aber hinsichtlich der Drogengewinnabschöpfung des Staates: 2290 Euro sowie der Wertersatz von rund 10000 Euro und weitere 3000 Euro werden den beiden Angeklagten gegengerechnet. Der 36-Jährige muss zudem noch auf die Rückgabe einer teuren Münzsammlung verzichten.

Richter Winkelmann gibt noch einen letzten Rat: „Sie sind beide noch jung, sodass Sie Ihr Leben noch in den Griff bekommen, wenn Sie wollen, und es auch schaffen.“ Wenn die Drogensucht jetzt nicht gelöst werde, dann jedoch sehe es schlecht aus, prognostiziert der Jurist. Mit den Urteilen habe man „ihnen eine Perspektive eröffnet“. Schließlich verfügt die Strafkammer noch, dass beide Haftbefehle in Vollzug bleiben, weil Fluchtgefahr bestehe.

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Erstellt:
29. Oktober 2020, 06:00 Uhr

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