Veranstalter im Südwesten wegen Coronavirus unter Druck

dpa/lsw Stuttgart. Ein Fußballspiel ohne Zuschauer? Ein Opernhaus ohne Vorstellung? Was bislang noch absurd klingt, könnte bald durchaus sein. Denn Veranstalter müssen unter dem Druck der Politik entscheiden, ob sie ihr Programm einschränken oder sogar absagen müssen.

Der leere Zuschauerraum vom Opernhaus in Stuttgart. Foto: Bernd Weissbrod/dpa/Archivbild

Der leere Zuschauerraum vom Opernhaus in Stuttgart. Foto: Bernd Weissbrod/dpa/Archivbild

Leere Stadionkurven und abgesagte Popkonzerte könnten auch in Baden-Württemberg schon bald ebenso Realität sein wie blankgekaufte Supermarktregale und verschlossene Schulen: Das neuartige Coronavirus wirkt sich immer stärker auf den Alltag in Baden-Württemberg aus. Während am Montag der Unterricht in weiteren Schulen aus Angst vor Ansteckungen ausfiel, werden nach Empfehlungen von Bundes- und Landesregierung auch Absagen größerer Veranstaltungen mit mehr als 1000 Teilnehmern erwartet. Bis Montagabend stieg die Zahl der Infektionen mit dem Virus im Südwesten auf 234.

Einen entsprechenden Appell formulierte der baden-württembergische Gesundheitsminister Manne Lucha (Grüne) und schloss sich damit Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) an. „Es macht keinen Sinn, dass jedes Bundesland unterschiedlich mit den Empfehlungen aus dem Bund umgeht“, sagte Lucha. Deshalb werde Baden-Württemberg diesen grundsätzlich folgen.

Lucha rechnet zudem mit einer zunehmenden Zahl von Infektionen aus Italien und Frankreich. Sein Ministerium empfiehlt all denen, die aus dem südelsässischen Département Haut-Rhin zur Schule oder zur Arbeit nach Baden-Württemberg pendeln, nach Möglichkeit zunächst für zwei Wochen zu Hause zu bleiben. Das Regierungspräsidium Freiburg sagte vorläufig alle grenzüberschreitenden Veranstaltungen und Termine ab.

Den Behörden empfahl Lucha, die Veranstalter entsprechend der Empfehlungen Spahns zu beraten. Entscheiden müssten die Veranstalter oder - in einem entscheidenden letzten Schritt - die Kommunen, sagte ein Sprecher des Landesministers. Von solchen Absagen betroffen sein könnten unter anderem Bundesligaspiele, Messen und große Konzerte.

Der VfB Stuttgart wird sein Zweiliga-Topspiel gegen Tabellenführer Arminia Bielefeld dennoch wie geplant am Montagabend (20.30 Uhr) mit Zuschauern ausrichten. „Ausschlaggebend hierfür waren bei der sorgfältigen Abwägung der Güter vor allem polizeiliche Aspekte und Fragen der Sicherheit“, teilte das Gesundheitsministerium mit, das beim Thema Coronavirus die Federführung hat. Viele auswärtige Fans seien schon auf dem Weg nach Stuttgart gewesen. Die Entscheidung, das Spiel in der Form stattfinden zu lassen, habe die Stadt Stuttgart als zuständige örtliche Polizeibehörde getroffen. Der Fußball-Bundesligist SC Freiburg setzte am Montag den Ticketverkauf für Heim- und Auswärtsspiele aus.

Im Lauf des Montags wollten weitere Veranstalter im Südwesten über mögliche Absagen oder Verschiebungen entscheiden. Beraten wurde unter anderem in der Stuttgarter Staatsoper und dem Festspielhaus in Baden-Baden. Die für den 21. März geplante Lange Nacht der Museen in Stuttgart wurde abgesagt, die Veranstalter hatten etwa 24 000 Menschen erwartet. Auch die Internationale Bachakademie Stuttgart entschied sich für eine kurzfristige Absage ihrer Bachwoche mit Konzerten und Seminaren. Die Messe in Stuttgart kündigte an, es müssten nach der bereits erfolgten Absage der Bildungsmesse didacta zunächst keine weiteren Veranstaltungen verschoben werden.

Gut jedes zweite Unternehmen in Baden-Württemberg spürt einer Umfrage zufolge bereits Auswirkungen der Epidemie auf seine Geschäfte. „Unsere exportorientierte Wirtschaft war natürlich recht schnell von Problemen bei Lieferketten und Geschäftsreisen betroffen“, sagte der Präsident des Industrie- und Handelskammertages im Südwesten, Wolfgang Grenke, in Stuttgart. Die bundesweite Umfrage hatte der Deutsche Industrie- und Handelskammertag initiiert, mehr als 10 000 Betriebe nahmen teil, davon rund 850 in Baden-Württemberg.

Während deutschlandweit 52 Prozent der Unternehmen angaben, bereits Auswirkungen zu spüren, waren es im Südwesten 56 Prozent. 43 Prozent gaben zudem an, die Reisetätigkeit einzuschränken. 38 Prozent haben wegen der Lungenkrankheit Covid-19 Messen oder sonstige Veranstaltungen abgesagt. Mehr als ein Viertel der befragten Südwest-Unternehmen erwarten außerdem als Folge der Corona-Epidemie in diesem Jahr einen Umsatzrückgang von mehr als zehn Prozent.

Das Wirtschaftsministerium will wegen der starken Vorratskäufe von Verbrauchern Ausnahmegenehmigungen von Arbeitszeitregelungen im Handel erteilen - etwa, wenn Regale aufgefüllt werden müssen.

Flächendeckende Schulschließungen schließt Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) aus. „Alle Schulen oder alle Kitas zu schließen, wäre tatsächlich der Ausdruck von Panik und Unübersichtlichkeit. Das ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht erforderlich“, sagte sie der dpa. Allerdings bereiteten sich die Kultusbehörden auf die Folgen von Schulschließungen wegen des Coronavirus vor. „Bei uns beginnen in den nächsten sechs, acht Wochen Prüfungen. Pauschale Absagen wären ein Riesenproblem“, sagte Eisenmann. Eventuell müsse man mehr Nachschreibe-Termine etwa fürs Abitur anbieten als bisher geplant.

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Erstellt:
9. März 2020, 11:20 Uhr

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