Verdi ruft zu Streik: Viele Backnanger Kitas geschlossen

Etwa 300 Backnanger Beschäftigte im Sozial- und Erziehungsdienst haben sich heute an dem bundesweiten Streik von Verdi beteiligt. Neben einer angemessenen Bezahlung fordern sie auch mehr Wertschätzung für ihre Arbeit, bessere Arbeitsbedingungen und mehr Personal.

Rund 300 Erzieherinnen und Erzieher streikten heute für bessere Bezahlung und bessere Arbeitsbedingungen. Auch einige Eltern unterstützten die Streikenden, obwohl einige städtische Kitas aufgrund des Streiks geschlossen blieben. Foto: Alexander Becher

© Alexander Becher

Rund 300 Erzieherinnen und Erzieher streikten heute für bessere Bezahlung und bessere Arbeitsbedingungen. Auch einige Eltern unterstützten die Streikenden, obwohl einige städtische Kitas aufgrund des Streiks geschlossen blieben. Foto: Alexander Becher

Von Kristin Doberer

Backnang. Statt ein Begrüßungslied im Morgenkreis mit den Kindern ihrer Gruppe haben viele Erzieherinnen und Erzieher heute ganz andere Lieder gesungen. Begleitet von Pfeifen und lauten Ratschen tönten in Backnang zwar auch die Melodien von Kinderliedern, der Text lautete aber eher so: „Wenn du unterbezahlt bist, klatsche in die Hand, wenn du dich nicht gehört fühlst, schreie laut Hallo“ und „Wer, wie, was, wieso, weshalb, warum – wer nicht streikt, bleibt stumm!“ Laut Angaben der Polizei folgten heute rund 300 Erzieherinnen und Erzieher aus Backnang und dem Rems-Murr-Kreis dem bundesweiten Aufruf der Gewerkschaft Verdi zum Streik. Sie bildeten einen Protestzug, der am Bahnhof startete und zum Rathaus zog, wo es noch eine kurze Kundgebung gab. Damit will die Gewerkschaft bei kommenden Verhandlungen angemessene Bezahlung und bessere Arbeitsbedingungen für Beschäftigte im Sozial- und Erziehungsdienst erreichen.

Zu wenig Personal für immer größer werdende Kitagruppen

Eine grundlegende Forderung der Streikenden ist auch die Wertschätzung der Arbeit. „Die pädagogische Arbeit in Kitas ist so viel mehr als mit Kindern spielen und Kaffee trinken“, sagt Laura aus Schorndorf, die seit 15 Jahren als Erzieherin tätig ist. Man müsse sehr viel aushalten und ertragen. Man sei Wissensvermittler, Planer und Organisator, Tröster und Seelsorger, aber gleichzeitig auch Sekretärin, Erziehungsratgeber für die Eltern und Reinigungskraft. Nur aufgrund ihrer Leidenschaft für den Beruf habe sie sich bisher gegen eine berufliche Neuorientierung entschieden. „Aber es wird nicht richtig wahrgenommen und wertgeschätzt, dass wir die Zukunft – unsere Kinder – in ihrer Entwicklung begleiten“, sagt Laura. Die Politik müsse diese Arbeit endlich anerkennen, damit sie auch einen nachhaltigen Beitrag für die Gesellschaft leisten kann.

Dass der Streik auch auf Kosten von Kindern und Eltern ausgetragen wird, die zum Teil erst am Morgen tatsächlich erfahren haben, dass ihre Kindergartengruppe an diesem Tag geschlossen bleibt, sei den Beschäftigten bewusst, wie auch Erzieherin Maria berichtet. Es sei verständlich, dass Eltern wütend seien, wenn ihre Kinder nicht betreut werden. „Aber wir müssen damit den Druck auf die Arbeitgeber erhöhen. Wenn sich nicht bald etwas ändert, dann werden Notbetreuung und geschlossene Kitas zur Normalität“, sagt Maria. Die Gruppen werden immer größer, gleichzeitig gebe es nicht genug Personal. Bereits jetzt sei Burn-out der Beschäftigten ein ständiger Begleiter im Berufsalltag. Es fehlen schon länger Hunderttausende Fachkräfte im Sozial- und Erziehungsdienst und es wird befürchtet, dass in den kommenden Jahren noch deutlich mehr Beschäftigte in den Betreuungseinrichtungen fehlen.

Um den Eltern die Situation noch zu verdeutlichen, nennt Maria auch ein Beispiel: „Zu zweit betreuen wir 22 Kinder. Drei haben noch eine Windel, zwei weitere haben einen erhöhten Förderbedarf, drei brauchen spezielle Sprachförderung und dann kommen noch die Kinder dazu, die überschüssige Energie haben und einfach viel Aufmerksamkeit brauchen“, erzählt sie. So könne man den Kindern nicht die Förderung zukommen lassen, die sie bräuchten, und besonders den stilleren Kindern könne man nicht mehr genug Zeit widmen. Noch dazu komme laut der Erzieherin, dass es keine Zeit für Absprachen mit Kollegen, Eltern oder Kooperationspartnern gebe. Und auch für besondere Aktionen oder Ausflüge bleibe kaum noch Zeit. Zu diesen Arbeitsbedingungen komme noch, dass es während der Ausbildung keine Vergütung gebe. „Nur mit der Unterstützung der Eltern können wir etwas erreichen“, ist Maria sich sicher. Und einige Backnanger Eltern haben die Kitabeschäftigten bei ihrem Streik unterstützt. Zum Teil gemeinsam mit ihren Kindern begleiteten sie den Zug durch die Stadt. „Wir Eltern haben verstanden, dass auch wir laut werden müssen, um das zu fordern, was schon lange versprochen wird: Investitionen in die Bildung unseres Landes, um die neuen Generationen bestmöglich auf die vielen Herausforderungen ihrer Zukunft vorzubereiten“, so eine Mutter, die die Demo mit organisiert hat.

Von dem gestrigen Streik waren einige städtische Kitas betroffen, manche waren sogar ganz geschlossen. In der Sportkita streikten die Krippenmitarbeiterinnen. In den Kitas Schladminger Weg, Heimgarten, Stubener Weg, Sommerrain, Etzwiese und in der Kita ob der Ekertsklinge haben laut Angaben der Stadt alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gestreikt. In den Kitas Heininger Weg, Waldheim, Waldrems und im Waldkindergarten wurde teilweise gestreikt, sodass entweder eine Notbetreuung möglich war oder nur einzelne Gruppen für den Streiktag geschlossen werden mussten. Aber auch aus Schwaikheim, Weinstadt, Urbach, Winnenden und Schorndorf beteiligten sich einige Erzieherinnen.

Weitere Streiks könnten in den kommenden Wochen noch folgen

Ob das der letzte Streik war, hängt nun von der nächsten Verhandlungsrunde am 16. und 17. Mai ab. Die Erzieherinnen und Erzieher im Rems-Murr-Kreis zumindest waren erkennbar aufgebracht; man könne die Streiks auch für längere Zeit und immer wieder durchhalten, sagte ein Mitglied von Verdi Rems-Murr-Kreis auch in Richtung Backnanger Rathaus. Gerade auch die Bürgermeister könnten auf den Kommunalen Arbeitgeberverband (KAV) Druck ausüben.

Das fordert Verdi

Streiks Bereits seit mehreren Wochen ruft die Gewerkschaft Verdi wiederholt zum Streik auf, da es laut Verdi nach der zweiten Verhandlungsrunde noch kein Angebot der Arbeitgeber gebe. Die dritte Verhandlungsrunde ist für den 16. und 17. Mai in Potsdam geplant; vorher soll Druck ausgeübt werden.

Forderungen Verdi fordert für die bundesweit rund 330000 betroffenen Beschäftigten bessere Arbeitsbedingungen, Maßnahmen gegen Fachkräftemangel und die Einstufung in eine höhere Entgeltgruppe. Laut Verdi setzten Arbeitgeber lediglich auf Werbekampagnen, um die immer größere Fachkräftelücke im Sozial- und Erziehungsdienst zu schließen. Sie lehnten Gespräche über eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen ab und somit auch Vereinbarungen zur Qualität der Angebote. Wenn hier nicht gegengesteuert werde, würden viele Beschäftigte den Beruf verlassen, so die Gewerkschaft.

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Erstellt:
4. Mai 2022, 18:32 Uhr

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