Verfassungsschutz stuft AfD-„Flügel“ als rechtsextrem ein

dpa Berlin. Der Verfassungsschutz verschärft die Gangart gegenüber der Rechtsaußen-Abteilung der AfD: Der „Flügel“ wird jetzt als rechtsextreme Gruppierung beobachtet. Das reicht manchen AfD-Kritikern noch nicht aus.

Björn Höcke, Fraktionsvorsitzender der AfD im Thüringer Landtag. Foto: Martin Schutt/dpa-Zentralbild/dpa/Archivbild

Björn Höcke, Fraktionsvorsitzender der AfD im Thüringer Landtag. Foto: Martin Schutt/dpa-Zentralbild/dpa/Archivbild

Der rechtsnationale „Flügel“ der AfD um Politiker wie Björn Höcke und Andreas Kalbitz ist für den Verfassungsschutz jetzt offiziell ein Beobachtungsfall. Diese Einstufung bedeutet, dass die Bewegung mit dem ganzen Instrumentarium nachrichtendienstlicher Mittel beobachtet werden darf.

Die Fraktionsvorsitzenden aus Thüringen und Brandenburg, Höcke und Kalbitz, seien erwiesenermaßen „Rechtsextremisten“, sagte der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Thomas Haldenwang, am Donnerstag in Berlin. In Thüringen stufte der Landesverfassungsschutz die gesamte AfD vom Prüf- zum Verdachtsfall hoch.

Die AfD-Bundesspitze reagierte am Donnerstag zunächst nicht. Ein angekündigtes Statement wurde erst verschoben und dann gestrichen. Kalbitz sagte auf Anfrage, die Entscheidung sei politisch längst getroffen worden, aber sachlich unbegründet und rein parteipolitisch motiviert. Es würden alle juristischen Möglichkeiten ausgeschöpft, um diese Entscheidung zu korrigieren. Thüringens AfD-Landessprecher Stefan Möller sagte der dpa: „Ich habe den Eindruck, dass es hier darum geht, unsere Partei als politische Kraft zu diskreditieren und diffamieren.“

Die AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel warf dem Verfassungsschutzchef vor, er habe „absolut nichts von Substanz vorgetragen“. „Es wurde klar, dass es darum geht, die größte Oppositionspartei in eine Ecke zu stellen, in die sie nicht gehört“, sagte sie der „Stuttgarter Zeitung“ und den „Stuttgarter Nachrichten“ (Freitag). Dagegen werde sich die AfD mit allen Mitteln juristisch wehren.

Zum Instrumentarium, das der Verfassungsschutz jetzt gegen den AfD-„Flügel“ anwenden darf, zählen beispielsweise die Observation und das Anwerben von Informanten. Daten zu einzelnen Personen dürfen gesammelt und gespeichert werden. Was ein Abgeordneter im Plenum oder in Ausschüssen sagt, darf allerdings nicht in die Akten einfließen.

Der Inlandsgeheimdienst sieht laut Haldenwang seinen Verdacht bestätigt, dass es sich bei dem informellen, aber gut organisierten „Flügel“ um eine rechtsextreme Bestrebung handele. Nach Schätzungen des Verfassungsschutzes hat der Zusammenschluss rund 7000 Anhänger. „Wenn sich die Spielarten des Extremismus erweitern, dann erweitern auch wir unseren Beobachtungsradius“, erklärte Haldenwang. Der Verfassungsschutz führte als Beleg für seine Entscheidung auch die „nochmals gestiegene zentrale Bedeutung der rechtsextremistischen Führungspersonen“ des „Flügels“, Höcke und Kalbitz, an.

Nach Einschätzung der Behörde gibt es in Deutschland aktuell rund 32.000 Rechtsextremisten. Der Verfassungsschutz stuft etwa 13.000 von ihnen als gewaltbereit ein. Die Behörde sieht eine neue Dynamik im Bereich des Rechtsextremismus und eine Vermischung unterschiedlicher Milieus. Dazu zählt auch die sogenannte Neue Rechte, zu deren Vordenkern der Verleger Götz Kubitschek gehört. Laut Haldenwang kommt der sogenannten Neuen Rechten eine Scharnierfunktion zu - zwischen demokratischen, radikalen und extremistischen Positionen.

Wer als „Flügel“-Anhänger im öffentlichen Dienst beschäftigt ist, „der wird zukünftig ein Problem mit seiner Dienststelle bekommen“, sagte Haldenwang. Auf die Frage, ob diese Menschen mit Jobverlust zu rechnen hätten, antwortete er, es müsse in jedem Fall eine „Einzelfallprüfung“ geben.

Die AfD hatte am Vortag noch Stellungnahmen von Parteifunktionären veröffentlicht, die frühere Äußerungen zum Islam, zur Einwanderung und zur Abschiebung abgelehnter Asylbewerber „klarstellen“ sollten. Damit sollten Vorhaltungen des Verfassungsschutzes entkräftet werden.

Der Verfassungsschutz hatte den rechtsnationalen „Flügel“ im Januar 2019 als Verdachtsfall im Bereich des Rechtsextremismus eingestuft, ebenso die Nachwuchsorganisation der AfD, die Junge Alternative (JA). Für eine „Höherstufung“ der JA fehlten aktuell Anhaltspunkte, sagte Haldenwang. Es gebe „sowohl belastende als auch entlastende Momente“. Die JA-Programmatik sei inzwischen deutlich moderater aufgesetzt.

Der „Flügel“ kennt keine formale Mitgliedschaft. Seine Anhänger versammeln sich einmal im Jahr zum „Kyffhäusertreffen“. Daran haben in der Vergangenheit auch AfD-Politiker teilgenommen, die sich selbst nicht dem „Flügel“ zurechnen, etwa Parteichef Jörg Meuthen. Der Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion, Alexander Gauland, hatte im vergangenen Oktober gesagt: „Also, Herr Höcke rückt die Partei nicht nach rechts. Herr Höcke ist die Mitte der Partei.“

Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, begrüßte das Vorgehen des Verfassungsschutzes: „Für mich ist längst klar, dass vom völkisch-nationalistischen „Flügel“ eine massive Gefahr für unsere Demokratie und unsere offene und pluralistische Gesellschaft ausgeht“, sagte er. „Insbesondere nach den NSU-Morden und den Anschlägen von Kassel, Halle und Hanau muss der Staat wachsam sein und den Rechtsextremismus mit aller Härte bekämpfen.“

Zustimmung kam auch von Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU): „Für seine rechtsextremistischen Bestrebungen bekommt der „Flügel“ nun auf Bundesebene die Quittung“, sagte er in München. Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) sagte, er werde seinem Landesverfassungsschutz vorschlagen, analog vorzugehen.

Grünen-Chef Robert Habeck plädierte dafür, nicht nur den „Flügel“ der AfD zu beobachten, sondern die ganze Partei stärker ins Visier nehmen. Der Verfassungsschutz sollte „die gesamte AfD als Verdachtsfall einstufen“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Mit Blick auf Haldenwangs Äußerungen sagte die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt: „Es ist jetzt eine bestätigte Tatsache: Herr Höcke, Herr Kalbitz und Co. sind Rechtsextremisten. Der Flügel der AfD ist dabei nicht irgendein unbedeutender Teil der AfD, er bestimmt die AfD.“

Der FDP-Innenpolitiker Benjamin Strasser erklärte: „Der dominierende Einfluss des Flügels auf die Gesamtpartei ist besorgniserregend und zeigt, dass die AfD in weiten Teilen eine verfassungsfeindliche Partei ist.“

Björn Höcke, AfD-Fraktionschef von Thüringen, im Plenarsaal des Thüringer Landtages. Foto: Martin Schutt/dpa-Zentralbild/dpa

Björn Höcke, AfD-Fraktionschef von Thüringen, im Plenarsaal des Thüringer Landtages. Foto: Martin Schutt/dpa-Zentralbild/dpa

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Erstellt:
12. März 2020, 09:23 Uhr

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