Verfolgungswahn und Rassismus - ein toxischer Mix

dpa Berlin. Was haben der Schütze von Hanau und der Attentäter von Halle gemeinsam? Beide Männer suchten vermeintliche Schuldige für das, was in ihrem Leben schief lief. Die Grenze zwischen Wahnvorstellungen und rassistischem Hass ist in beiden Fällen nicht klar zu ziehen.

Ein Polizist sichert einen Bereich in der Nähe des Tatorts am Heumarkt. Foto: Andreas Arnold/dpa

Ein Polizist sichert einen Bereich in der Nähe des Tatorts am Heumarkt. Foto: Andreas Arnold/dpa

Ein Mann, der keine Frau findet. Ein Mann, der an geheime Mächte glaubt, die ihn überwachen und sich auch in sein Hirn „einklinken“. Der Sündenböcke sucht, die er für Probleme in seinem Umfeld und für sein selbst empfundenes persönliches Scheitern verantwortlich machen kann.

Im Internet hinterlässt er ein Video, in dem er krude Verschwörungstheorien verbreitet und davon spricht, dass ganze Völker „komplett vernichtet werden müssen“.

Tobias R. (43), der von Größenwahn und rassistischem Hass getriebene mutmaßliche Attentäter von Hanau, entspricht in vielerlei Hinsicht dem Tätertypus des um Aufmerksamkeit heischenden, äußerlich unauffälligen rechtsradikalen Gewalttäters. Parallelen zu dem Attentäter von Halle, der im Oktober erst versucht hatte, in eine voll besetzte Synagoge einzudringen und dann zwei Menschen erschoss, sind offensichtlich.

Für die Sicherheitsbehörden sind Attentäter wie sie, die sich nicht mit bekannten Rechtsextremisten treffen oder an Kundgebungen teilnehmen, schwer ausfindig zu machen. Allerdings - glaubt man den Aussagen von Tobias R. - könnte es Warnsignale gegeben haben. In einem von ihm aufgezeichneten Video, das mit den Worten „Das, was bleibt, ist das Volk“, endet, berichtet er von mehreren Besuchen bei der Polizei. Angeblich versuchte er 2002 vergeblich, Anzeige zu erstatten, da er sich illegal überwacht fühlte. Im Herbst 2004 und im Jahr 2019 habe er es erneut versucht - wieder ohne Erfolg.

Doch hier enden die merkwürdigen Theorien nicht. Der Mann aus Hanau glaubte auch, dass bestimmte Hollywood-Filme nur entstanden seien, weil er dafür „unwissentlich die Grundidee geliefert“ habe. Auch hinter dem Ausscheiden der deutschen Nationalelf bei der Fußball-Europameisterschaft 2004 witterte er eine Verschwörung.

Dass jemand Wahnvorstellungen hat, ist nicht unbedingt ein Fall für die Polizei. Wenn so jemand eine Waffenbesitzkarte hat, ist aber zumindest Vorsicht geboten. Vor allem da die merkwürdigen Verschwörungstheorien, denen der Täter anhing - zum Terroranschlag vom 11. September 2001 und zu einer „kleinen sogenannten Elite“, die „über ein Geheimwissen verfügt, das sie der breiten Masse vorsätzlich vorenthält“ - stark an die Ideologie von „Reichsbürgern“ erinnert, die Deutschland als Staat infrage stellen und von der „Firma BRD“ sprechen.

Die Bundesregierung hat vor wenigen Wochen das Waffenrecht verschärft. Künftig müssen die Behörden immer beim Verfassungsschutz nachfragen, bevor sie Waffenerlaubnisse vergeben. Das soll Extremisten den Zugriff auf Waffen erschweren. Außerdem müssen Jäger und Sportschützen nach fünf und dann noch einmal nach zehn Jahren nachweisen, dass ihr „Bedürfnis“ nach Waffenbesitz fortbesteht. „Ja, das wird den Zugang zu Waffen für Radikale erschweren, aber es ist keine Vollkaskoversicherung“, sagt Jörg Radek, der stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei.

Tobias R. will mit seiner grausamen Tat, so sagt er selbst, Aufmerksamkeit erzwingen. In seinem Video kündigt er das Blutbad zwar nicht an. Er macht jedoch deutlich, dass er erwartet, bald zu sterben. Und sagt, „aus all diesen Gründen blieb mir nichts anderes übrig, als so zu handeln, wie ich es getan habe, um die notwendige Aufmerksamkeit zu erlangen“. Wenige Stunden nach der Tat ist seine Website, auf der er das Video eingestellt hatte, gesperrt.

Auch wenn Tobias R. nach bisherigen Erkenntnissen der Behörden keine Kontakte zu bekannten Rechtsextremisten unterhielt. In diesen Kreisen stößt sein Anschlag auf Interesse. Ein Kanal, der eine seiner Video-Botschaften im Internet verbreitet, nennt sich Kommando 18. In der Szene steht die Zahl 18 für A und H, den ersten und den achten Buchstaben des Alphabets, die Initialen von Adolf Hitler.

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Erstellt:
20. Februar 2020, 15:14 Uhr

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