Verhalten dreier Räte auf dem Prüfstand

Kirchberger Gemeinderäte müssen im Zusammenhang mit einer Wasserschutzzone über Befangenheit von Kollegen befinden

Es ist eine kuriose Situation: Im Kirchberger Gemeinderat geht es im Oktober 2019 um die Stellungnahme der Kommune zu einer neuen Wasserschutzzone. Alle Gremiumsmitglieder sind befangen. Normalerweise muss deshalb ein Beauftragter für die Gemeinde sprechen. Drei Räte aber scheren aus und rücken nicht vom Tisch ab. Am Donnerstag soll nun der Gemeinderat laut Beschlussempfehlung die drei Abweichler für befangen erklären, sollten diese nicht inzwischen ihre Haltung geändert haben.

Die Schutzzone III umfasst den weitaus größten Teil der Fläche von Kirchberg an der Murr. Quelle: Landratsamt Rems-Murr/Grafik: BKZ

Die Schutzzone III umfasst den weitaus größten Teil der Fläche von Kirchberg an der Murr. Quelle: Landratsamt Rems-Murr/Grafik: BKZ

Von Ingrid Knack

KIRCHBERG AN DER MURR. Fakt ist laut Gemeindeordnung: Sind alle Gemeinderäte befangen, muss ein extra dafür eingesetzter Beauftragter eine Stellungnahme ans Landratsamt abgeben. Denkbar wäre in einem solchen Fall, dass die Gemeinde diese Person vorschlägt, es könnte sich dabei auch um einen Mitarbeiter der Verwaltung handeln, lässt Landratsamtspressesprecherin Martina Keck auf Nachfrage wissen. Dieser Aspekt ist bisher noch nicht in einer öffentlichen Ratssitzung so deutlich thematisiert worden.

Ein kurzer Rückblick: Weil es bei der Neuabgrenzung des Wasserschutzgebiets für den Tiefbrunnen Lerchenberg um die Befangenheit von Räten geht, die nicht nur in den bereits existierenden Wasserschutzzonen I und II, sondern auch in der neuen Schutzzone III Eigentum oder Pachtgrundstücke haben oder wegen familiärer Verbindungen betroffen sind, dürfte rein rechtens kein Gremiumsmitglied, einschließlich Bürgermeister Frank Hornek, abstimmen.

Das Ausmaß der Befangenheit ist erst relativ kurz vor der Sitzung erkannt worden. Eigentlich hätte ein Vertreter des Landratsamts in die Sitzung kommen sollen. Weil es aber keine Diskussion hätte geben können, wenn niemand mehr in der Ratsrunde sitzt, so die Argumentation von Bürgermeister Frank Hornek, lud dieser den Vertreter just am Tag der Sitzung wieder aus. Wären alle Gremiumsmitglieder bei diesem Tagesordnungspunkt vom Tisch abgerückt, wäre es an der Gemeinde Kirchberg gewesen, bei der Rechtsaufsichtsbehörde als Ultima Ratio die Bestellung eines Beauftragten zu beantragen. Dieser hätte dann für die Kommune die Stellungnahme zur Überarbeitung und Neuabgrenzung der über 80 Prozent des Gemeindegebiets umfassenden Wasserschutzzone an das Umweltschutzamt abgegeben. So sieht es die Gemeindeordnung vor. Pressesprecherin Martina Keck: „Der Beauftragte könnte ein Beamter der Gemeinde sein. Der Beauftragte kann in der Stellungnahme die Anregungen/Interessen und gegebenenfalls Bedenken der Gemeinde gegenüber dem Umweltschutzamt darstellen, sodass diese Punkte in den Abwägungsprozess einbezogen werden.“

Wasserschutzgebiete in dieser Dimension gibt es auch in der Nachbarschaft

Es kam aber anders. Drei Gemeinderäte sahen nicht ein, dass sie in dieser Sache nicht ein Wörtchen mitreden dürfen: Christoph Berroth (UBK), Erich Drexler (Gesundes Gemeinwesen) und Martin Wolf (Freie Liste Kirchberg). Während Drexler und Wolf sitzen blieben, wechselte Berroth als zweiter stellvertretender Bürgermeister auf Horneks Platz. Und zwar mit den Worten: „Ich habe zwar auch Eigentum in dem Gebiet, aber ich sehe es nicht ein, dass ich mich ausschalten lasse. Es ist für mich kein rechtsstaatliches Vorgehen, ein Schutzgebiet über den gesamten Ort auszubreiten.“ Wobei Letzteres keine Seltenheit ist. „Das Wasserschutzgebiet Tiefbrunnen Wasenäcker I und II in der Nachbargemeinde Burgstetten ist genauso groß wie das Wasserschutzgebiet Tiefbrunnen Lerchenberg in Kirchberg. Die Wasserschutzgebiete in Winnenden sind noch größer“, so Keck.

Hätte sich, wie Berroth gehofft hatte, noch ein vierter Gemeinderat für nicht befangen erklärt und wäre es zu einer Beratung oder gar zu einer Stellungnahme gekommen, wäre diese sofort wieder Makulatur gewesen. Auch auf einen solchen Fall wird in der Gemeindeordnung eingegangen. „Wenn ein befangener Gemeinderat bei der Beratung und Beschlussfassung mitwirkt, ist der Beschluss nach Paragraf 18, Absatz 6, Satz 1 der Gemeindeordnung rechtswidrig. Diese Rechtsfolge ist unabhängig davon, ob die Befangenheit nicht beachtet wurde, oder ob das Gremium die Befangenheit zuvor zu Unrecht verneint hat“, gibt Keck Auskunft.

Die im Grunde eindeutige Lage ist aufgrund der Vorgänge in der Oktobersitzung verzwickt. Oder auch nicht. Denn die Abweichler scheinen mit ihrem Protest nichts erreichen zu können. In der Beschlussvorlage zur nächsten Sitzung ist zu lesen: „Nachdem das Landratsamt bereits auf die Befangenheit hingewiesen hatte, hat auf erneute Nachfrage auch der Gemeindetag Baden-Württemberg auf eine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (VGH BW) aus dem Jahr 1995 hingewiesen, wonach bei Landschaftsschutzgebieten Befangenheit für Grundstückseigentümer und Pächter besteht.“ Diese Rechtsprechung sei entsprechend auch für Wasserschutzgebiete angewandt worden. Nun geht es in der Donnerstagssitzung darum: „Sollten die drei Gemeinderäte sich weiterhin nicht für befangen erklären, hat der Gemeinderat über die Befangenheit des jeweiligen Gemeinderats zu beraten und zu beschließen.“

Rüdiger Burkhardt, der Fachbereichsleiter Boden- und Grundwasserschutz beim Landratsamt Rems-Murr, erklärt auf Anfrage: „Ich habe den Eindruck, dass man in der ganzen Diskussion das Positive am Wasserschutz vergisst. Kirchberg hat mit dem Tiefbrunnen einen natürlichen Schatz, den es zu schützen gilt.“ Gerne ist das Landratsamt bereit, so Keck, dem Wunsch der Gemeinde nachzukommen und über den Zweck und das Verfahren öffentlich zu informieren. „Eine große öffentliche Informationsveranstaltung halten wir jedoch für zu viel des Guten. Gerne informieren wir im Rahmen einer Gemeinderatssitzung. So war es auch bereits für die Sitzung am 10. Oktober 2019 geplant.“

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Erstellt:
19. Februar 2020, 11:30 Uhr

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