Verteidiger fordert Freispruch für alle Angeklagten

Riesige Unterschiede in den Plädoyers beim Geldwäscheprozess – „Magere Indizien“ würden für hohe Haftstrafen nicht ausreichen

Verteidiger fordert Freispruch für alle Angeklagten

© BilderBox - Erwin Wodicka

Von Peter Schwarz

SCHORNDORF/WAIBLINGEN. 13 Jahre Haft für den ersten Angeklagten, wie Oberstaatsanwalt Michael Wahl gefordert hat? Nein, kontert die Verteidigung, er sei „freizusprechen“ und „für die Zeit der zu Unrecht erlittenen Untersuchungshaft sogar zu entschädigen“. Zwölf Jahre für den zweiten Angeklagten, wie Wahl will? Mitnichten, widersprechen die Anwälte – „freisprechen“ und „entschädigen“! Sechseinhalb für den dritten Angeklagten, dreieinhalb für die vierte Angeklagte? Freispruch, halten die Rechtsbeistände dagegen, und noch mal Freispruch! Alles oder nichts, hopp oder topp – mit Dampflokwucht prallen die Positionen aufeinander am Ende des wohl größten Geldwäscheprozesses, den es in Süddeutschland je gegeben hat.

Die Schorndorfer Firma Noble Glitter (Name geändert) hat zwischen Sommer 2017 und Januar 2018 insgesamt 45 Millionen Euro in bar nach Dubai geschafft: im Handgepäckkoffer bei Flugreisen. Das Geld wurde offiziell ausgeführt und ordnungsgemäß beim Zoll angemeldet, Buchhaltungsunterlagen legen nahe: Es handelte sich um Einnahmen aus legalem Goldverkauf, die dazu dienten, in Dubai neue Goldeinkäufe zu tätigen. Die Anklage aber glaubt: Der angebliche Goldhandel war nur Fassade – in Wahrheit ging es darum, aus holländischen Drogengeschäften stammende Summen unverdächtig nach Arabien zu schleusen. Deshalb die Forderung: 13 Jahre für einen Dubaier Geschäftsmann, zwölf für den Schorndorfer Noble-Glitter-Chef, dreieinhalb für seine Frau, die im Büro arbeitete, sechseinhalb für einen Geldkurier.

Geldwäsche bedeutet: Schmutzige Scheine sauber aussehen lassen. Der Tatbestand aber gilt nur dann als erwiesen, wenn es gelingt, die illegale Herkunft der Summen zu belegen. Welches Blatt hält die Anklage in den Händen? Welche Spuren führen nach Holland, welche ins Rauschgiftmilieu?

Erstens: Nachweislich fuhr der Noble-Glitter-Kurier öfter nach Holland – ein „mageres Indiz“, finden die Verteidiger, schließlich habe die Schorndorfer Goldhandelsfirma eine Filiale in Amsterdam gehabt. Zweitens: Einmal wurde der Kurier bei der Rückreise von Grenzpolizisten mit 1,5 Millionen Euro im Kofferraum erwischt – nun ja, „bislang ist Bargeld Gott sei Dank noch nicht verboten und abgeschafft“, kommentiert der Anwalt Stefan Holoch.

Drittens: Der Kurier traf erwiesenermaßen einmal auf einem Parkplatz einen wegen eines Drogendelikts vorbestraften Niederländer – aber dieser Mann sei ein ganz kleines Licht und eindeutig kein wichtiger Drogenboss, betonen die Anwälte. Viertens: Der Noble-Glitter-Chef machte am Telefon, wie Abhöraktionen offenbarten, immer wieder verdächtige Andeutungen und prahlte zum Beispiel, er kenne holländische Drogenbarone – haltloses „Gequatsche“ eines Mannes mit „Hang zur Wichtigtuerei“, sagen die Verteidiger. Und das, argumentieren sie, war’s auch schon. Obwohl Ermittler die Verdächtigen neun Monate lang observierten, gelang es nie, eine einzige Drogenübergabe zu dokumentieren oder wenigstens Verbindungen zu mächtigen Hintermännern aus der Rauschgift-Schattenwirtschaft zu belegen.

Der Bonner Anwalt Martin Heising – in diesem Verfahren von Anfang an Wortführer der sechsköpfigen Verteidigerriege – findet auch zum Abschluss die knackigsten Formulierungen: Ankläger Wahl sei bei seinem Versuch, die Vortat im Drogenmilieu glaubhaft zu machen, „als Tiger gestartet“, um „als Bettvorleger“ zu landen, seine „Beweisführung“ habe „den Namen nicht verdient“ und unterschreite die „Mindestanforderungen. So funktioniert Juristerei nicht, tut mir leid, Herr Oberstaatsanwalt.“

Während Heising das rhetorisch süffigste – und fachlich, dank vieler Verweise auf Urteile des Bundesgerichtshofs, fulminanteste – Plädoyer hält, setzt seine Kollegin Margrete Haimayer die emotionalsten Akzente: Sie vertritt die Gattin des Noble-Glitter-Chefs. Dies, sagt Haimayer, sei eine Frau, die „brav und tapfer zu funktionieren“ hatte und in der Buchhaltung nur tat, was man ihr sagte, ohne die Geschäftsdetails zu verstehen. In dieser Ehe – er Türke, sie türkischstämmige Deutsche – „gibt der Mann was vor, und die Frau hat zu springen“. Auch die Angeklagte selber meldet sich ein letztes Mal zu Wort: Nie habe sie sich etwas zuschulden kommen lassen „außer Parkverstößen oder harmloser Geschwindigkeitsüberschreitung“. Sie habe ihrem Mann „blind vertraut“, „nichts von Drogen oder Geldwäsche geahnt“ und ein „normales Leben“ geführt; das nun „in Schutt und Asche“ liege. Dieser Prozess sei eine „traumatische Erfahrung“, sie leide unter Angststörungen und kämpfe mit Depressionen. „Bitte glauben Sie mir: Ich bin unschuldig!“ Die Urteilsverkündung erfolgt am Donnerstag.

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Erstellt:
23. Januar 2020, 06:00 Uhr

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