Umfrage in Baden-Württemberg
Vertrauen in Politik und Staat sinkt: „Da kommt etwas ins Rutschen“
Weniger Toleranz gegenüber Vielfalt, Zweifel an freier Meinungsäußerung. Auch in Baden-Württemberg werden die Menschen skeptischer, wie aus einer Umfrage der Bosch-Stiftung hervorgeht.

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Beim Christopher Street Day wird betont, wie wichtig Vielfalt ist. Wie denken die Bürger darüber? Das hat eine Studie der Robert-Bosch-Stiftung beleuchtet.
Von Jan Sellner
In den vergangenen sechs Jahren hat sich die Einstellung der Bürgerinnen und Bürger zu den Themen Vielfalt, Akzeptanz der politischen Entscheidungsträger und auf freie Meinungsäußerung auch in Baden-Württemberg signifikant verändert. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Befragung der Robert-Bosch-Stiftung und der Constructor University Bremen im Rahmen des sogenannten „Vielfaltsbarometers zum Stand des Zusammenlebens“, deren Auswertung für das Land jetzt in Stuttgart vorgestellt wurde. Demnach sinkt die Zustimmung zu gesellschaftlicher Vielfalt in Baden-Württemberg deutlich. Gleichzeitig nimmt die Polarisierung im Land zu.
Akzeptanz von ethnischer Herkunft stark gesunken
Befragt wurden bundesweit knapp 4800 Menschen von 16 Jahren an aufwärts, davon 518 in Baden-Württemberg. Es ging um die Frage, wie sehr sie Diversität bei ethnischer Herkunft, Religion, sexueller Orientierung, sozioökonomischer Schwäche, Lebensalter, Geschlecht und Behinderung akzeptieren. Die Bosch-Stiftung nennt dies die „sieben Dimensionen von Vielfalt“. Auffallend dabei: Die Akzeptanz von ethnischer Herkunft ist im Vergleich zu einer gleichlautenden Umfrage von 2019 stark gesunken – von 74 auf 58 auf einer Skala von 0 bis 100 Punkten.
Deutliche Akzeptanz-Rückgänge stellt die Bosch-Stiftung auch in den Bereichen Religion (minus zehn auf jetzt 35 Punkte), sexuelle Orientierung (ebenfalls minus zehn auf 66 Punkte) und sozioökonomische Schwäche (minus neun auf 50 Punkte) fest. Lediglich beim Geschlecht ergaben sich höhere Werte gegenüber 2019 (plus fünf auf jetzt 72 Punkte). Im bundesweiten Vergleich liegt Baden-Württemberg mit einem Akzeptanzwert von insgesamt 62 Punkten (2019: 68 Punkte) auf Platz 13, wobei die Länder nur wenige Punkte trennen. Am besten schneidet Schleswig-Holstein ab (68 Punkte). Der Bundesdurchschnitt beträgt 63 Punkte. Im Vielfaltsbarometer 2019 waren es noch 68 Punkte.
55 Prozent der Befragten sind der Meinung, man dürfe seine Meinung nicht mehr frei äußern
Bei der Erhebung im Mai wurde auch danach gefragt, wieviel Vertrauen die Baden-Württemberger in die aktuelle Bundesregierung haben. Das Ergebnis: 50 Prozent der Befragten haben nur ein geringes oder überhaupt kein Vertrauen. 30 Prozent haben teilweise Vertrauen und 14 Prozent großes Vertrauen. 2019, unter Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärten nur 25 Prozent der Befragten im Südwesten, dass sie kein Vertrauen in die Bundesregierung hätten. In der aktuellen Erhebung äußerten sich die Befragten auch dazu, ob sie sich und ihre Anliegen in der Politik ausreichend repräsentiert fühlten. Die Antwort: 47 Prozent antworteten mit nein, 25 Prozent mit ja, 14 Prozent gaben an, „überrepräsentiert“ zu sein. Auch hier haben sich die Werte verschlechtert.
Erheblich ist aus Sicht der Bosch-Stiftung auch der Rückgang beim Thema freie Meinungsäußerung. Nur noch 33 Prozent der Befragten in Baden-Württemberg sind der Meinung, man dürfe seine Meinung frei sagen. Eine Mehrheit von 55 Prozent bestreitet, dass dies so ist. Vor sechs Jahren vertraten 32 Prozent diese Ansicht. Neu ist auch, dass Alter „keine Rolle mehr spielt“, wie Ferdinand Mirbach, Co-Autor der Studie, erläuterte. Auch unter Jüngeren sei die Akzeptanz von Diversität in der Gesellschaft zurückgegangen.
Die Bosch-Stiftung sieht sich Angriffen von Rechtsaußen ausgesetzt
Für Bernhard Straub, Geschäftsführer der Robert-Bosch-Stiftung, sind die Ergebnisse der Befragung Ausdruck dessen, „dass einiges ins Rutschen gekommen ist“. Die Positionen in der Gesellschaft würden sich zunehmend verhärten. Auf der einen Seite herrsche Sprachlosigkeit, auf der anderen Seite Entrüstung. Die Bürger fänden immer weniger zueinander und die Ideologie, Sprache und Haltung der extremen Rechten greife Raum. Gleichzeitig stellt Straub besorgt fest, „dass Akteure der Zivilgesellschaft“ verstärkt „delegitimiert“ und ihre Gemeinnützigkeit und Überparteilichkeit angegriffen würde. Für die Bosch-Stiftung stellte er klar: „Wir machen keine Parteipolitik. Unsere Basis sind Werte, aus denen sich ein klares Profil und entsprechende Projekte ableiten.“ Die Demokratie gehöre zur DNA der Stiftung, betonte Straub: „Dafür werden wir das Wort ergreifen und künftig noch sichtbarer werden.“
Seinen Ausdruck findet das in dem Jahresschwerpunkt „Unsere Demokratie, unsere Verantwortung“. Die „Kernfähigkeit“ der Robert-Bosch-Stiftung sei es, Menschen zusammenzubringen, sagte Straub. Dies könne durch verschiedene Möglichkeiten der Begegnung, des Dialogs und gemeinsamen Lernens „über gesellschaftliche Gräben hinweg“ erfolgen.
Demokratiebildung
ProjekteFür Projekte zur Förderung der Demokratiebildung stellt die Robert-Bosch-Stiftung in diesem Jahr rund elf Millionen Euro bereit Dazu zählen „Hallo Bundestag“, „Allzeitorte“ und das Medienprojekt „#usethenews“. Dadurch soll das Vertrauen in die Politik gestärkt und die Nachrichtenkompetenz speziell von Kindern und Jugendlichen gefördert werden. Das in Baden-Württemberg neu eingeführte Fach Medienkompetenz alleine reiche nicht aus, sagte die Teamleiterin Bildung, Andrea Preußker. Lehrer in allen Fächern müsse das notwendige Handwerkszeug an die Hand gegeben werden. Erstmalig vergibt die Robert-Bosch-Stiftung im Rahmen des Deutschen Schulpreises in diesem Jahr einen Preis Demokratiebildung, gemeinsam mit der Heidehof-Stiftung. Die Preisverleihung findet am 30. September in Berlin statt. 65 Schulen haben sich beworben – keine aus der Landeshauptstadt Stuttgart.
Gesundheit Weil „Demokratie mit vielen gesellschaftlichen Bereichen verwoben ist“, wie Geschäftsführer Bernhard Straub betont, ist auch das neue „Port-Gesundheitszentrum“ des Bosch Health Campus in Stuttgart Teil der Demokratie-Projekte. Es legt einen besonderen Fokus auf unterversorgte Menschen und sucht diese auf. Dahinter steht die von Katja Vonhoff, Leiterin des Robert Bosch Centrums für Innovationen im Gesundheitswesen, vorgetragene Überzeugung, „dass Gesundheit eine Brücke für gesellschaftlichen Zusammenhalt ist und damit ein Fundamt für demokratisches Engagement.“ jse