Verwaltung ringt um Fachpersonal
Gute Wirtschaftslage macht sich auch in Landratsamt und Stadt Backnang bemerkbar – Landrat will Image aufbessern
Der berühmt-berüchtigte Fachkräftemangel macht auch vor Ämtern und Rathäusern im Rems-Murr-Kreis nicht halt. Es sei schwierig geworden, geeignetes Personal zu bekommen, sagt Landrat Richard Sigel. Beim Gehalt könne man mit der freien Wirtschaft nicht mithalten. Deshalb versucht die Verwaltung, an anderen Schrauben zu drehen.

© Pressefotografie Alexander Beche
„Mit den Gehaltsstrukturen in der freien Wirtschaft können wir nicht mithalten.“ Richard Sigel, Landrat
Von Lorena Greppo
WAIBLINGEN. Die Erkenntnis der vergangenen Jahren ist im Landratsamt Rems-Murr eine bittere: „Wir haben teilweise große Schwierigkeiten, Fachkräfte, aber auch geeignete Führungskräfte zu gewinnen.“ Damit steht der Kreis bei weitem nicht allein da: In der Landesverwaltung und Justiz sind nach neusten Zahlen 7 500 Stellen unbesetzt. Woran liegt‘s? Landrat Richard Sigel benennt gleich mehrere Faktoren: Man stehe in direkter Konkurrenz zu den Unternehmen im Kreis, die aufgrund der guten Wirtschaftslage ebenfalls auf Mitarbeitersuche sind. „Mit deren Gehaltsstrukturen können wir nicht mithalten“, räumt der Landrat ein. Denn Spielraum haben die Verwaltungschefs bei der Bezahlung kaum. Die Stelle des Fachbereichsleiters für IT habe man beispielsweise mehrmals ausschreiben müssen, erzählt Sigel. Er habe sogar schon feststellen müssen, dass auch Absolventen der Verwaltungshochschulen von den Betrieben angeworben wurden. Durch die florierende Wirtschaft haben aber auch die Ämter mehr zu tun: Arbeitserlaubnis, Baugenehmigung, Zulassung eines neuen Fahrzeugs – überall ist das Landratsamt involviert. „Wir haben alle Hände voll zu tun“, sagt der Landrat. Hinzu komme die altersbedingte Fluktuation in der Verwaltung, darauf müsse man sich frühzeitig einstellen. „Wir sind im regen Austausch mit jenen Mitarbeitern, die eventuell bald in den Ruhestand gehen“, erklärt Haupt- und Personalamtsleiterin im Landratsamt, Anna-Katharina Maier.
Von einem Mangel an Fachkräften will Timo Mäule, Haupt- und Personalamtsleiter der Stadt Backnang, nicht sprechen. „Wir können im Moment noch alle offenen Stellen besetzen.“ Dass die Arbeitsmarktsituation ausgesprochen angespannt ist, habe er aber ebenfalls wahrgenommen. Auch in Backnang habe man manche Stellen mehr als einmal ausschreiben müssen. Und auch in Backnang steht in den kommenden Jahren ein größerer Umbruch ins Haus: In den nächsten fünf Jahren scheiden allein 69 der 610 Mitarbeiter altersbedingt aus, blickt man auf die nächsten zehn Jahre, sind es gar 158. Die Stadtverwaltung habe in Erwartung dessen schon jetzt die Zahl der Ausbildungsstellen deutlich hochgefahren: Derzeit seien 54 Auszubildende beschäftigt. Doch auch Mäule weiß: „Früher hat man sich angesichts der Vielzahl an Bewerbern zurücklehnen können. Heute muss man sich als Arbeitgeber ins Zeug legen, aktiv auf die jungen Leute zugehen und sich nach außen hin gut präsentieren.“
Was also können die Arbeitgeber in der Verwaltung tun, um möglichen Bewerbern den Job schmackhaft zu machen? Sigel will vor allem eines: „Wir versuchen, vom verstaubten Image der Verwaltung wegzukommen.“ Das Landratsamt sei für viele einfach nur die Zulassungsstelle. „Dabei sorgen wir dafür, dass die Dinge im Landkreis funktionieren“, betont Sigel. Ihn würde es freuen, wenn seine Mitarbeiter in geselliger Runde genauso stolz von ihrem Beruf erzählten, wie die Angestellten der großen Betriebe aus der Region. Deshalb werbe der Landkreis inzwischen auch vergleichsweise offensiv und „frech“ auf Ausbildungsmessen. Jüngst habe man beispielsweise eine Fotobox aufgestellt und ein buntes Album ausliegen gehabt, in das sich die Jugendlichen eintragen konnten. „Wir wollen zeigen, dass es gar nicht so uncool ist, in der Verwaltung zu arbeiten. Man darf hier auch Spaß haben“, sagt der Landrat verschmitzt. Um dieses Selbstverständnis nach außen zu tragen, seien die Mitarbeiter auch an vielen Freizeitveranstaltungen mit einem eigenen Team präsent – etwa beim Drachenbootrennen oder bei Firmenläufen.
Aber auch inhaltlich müsse sich die Kreisverwaltung nicht verstecken, sind sich Sigel und Maier einig. Schließlich sei man – inklusive Schulen, Kliniken, und der Abfallwirtschaft – einer der größten Arbeitgeber im Kreis mit einem weitreichenden Spektrum an Berufen. Auch würden derzeit verschiedene Arbeitszeitmodelle erprobt. „Auf unseren Vorstoß zu einer flexibleren Aufstellung der Arbeitszeiten haben wir viel positive Rückmeldung bekommen“, sagt Anna-Katharina Maier. Es müsse selbstverständlich sein, dass das Privatleben gut mit dem Beruf vereinbar sei – gerade auch bei Eltern. Deshalb gebe es auch die Möglichkeit zum Home Office. Zudem sei es inzwischen Standard in der Kreisverwaltung, dass alle Azubis und auch viele weitere Mitarbeiter mit Tablets ausgestattet sind. „Das schafft Flexibilität“, erklärt Landrat Sigel. Und einen weiteren Vorteil habe die Arbeit in der Verwaltung: Der Job sei vergleichsweise krisensicher. „Wer bei uns einen Job hat, behält ihn meist auch ziemlich lange.“
Zwar bietet auch die Stadtverwaltung die Möglichkeit des mobilen Arbeitens mit Tablets, diese Option werde aber kaum nachgefragt. „Wir haben die Beliebtheit anfangs vielleicht sogar überschätzt“, räumt Mäule ein. Zumal das Arbeiten von zu Hause aus nicht in allen Bereichen der Verwaltung möglich ist – schließlich müsse ja auch noch wer im Bürgeramt sitzen. Die flexiblen Arbeitszeiten sieht aber auch der Backnanger Hauptamtsleiter als einen der größten Pluspunkte der Stadtverwaltung. „Eine Regelung wie bei uns in Backnang gibt es so kaum“, sagt Mäule. Die Beschäftigten können das doppelte Wochensoll an Überstunden ansammeln – bei einer Arbeitszeit von 39 Wochenstunden sind das also 78 Stunden. Diese könne man dann als Gleitzeit flexibel abbauen. Davon profitierten beide Seiten. „In Hochphasen brauchen wir das“, schildert der Hauptamtsleiter die Seite der Stadt. Für manchen Mitarbeiter sei es angenehmer, in manchen Wochen mehr zu arbeiten und dafür im Anschluss zwei Wochen freizuhaben. Gleichzeitig sei aber auch attraktiv, dass die Arbeitszeit aufgrund der Tarifbindung klar geregelt ist. „In der Bauwirtschaft, wo die Firmen sich vor Aufträgen derzeit kaum retten können, lastet ein extremer Druck auf den Mitarbeitern.“ Viele arbeiteten weit über das normale Maß hinaus – und kämen damit irgendwann nicht mehr klar. „Manche wollen dann einfach nur noch in geregelte Bahnen kommen.“
Zudem sei die Möglichkeit, in geringerem Umfang etwa aus der Elternzeit zurückzukommen bei den Mitarbeitern hoch geschätzt, berichten sowohl Mäule als auch Sigel. Diese Flexibilität ermögliche es, Familie und Arbeit gut zu vereinbaren – auch dann, wenn ein Familienmitglied gepflegt werden müsse. Und auch die Möglichkeit, den Arbeitsbereich vergleichsweise unkompliziert zu wechseln, sei ein Vorteil der Verwaltungen.
Unter den „weichen Faktoren“, die die Arbeit bei der Stadt Backnang attraktiver machen sollen, sticht vor allem das Gesundheitsmanagement hervor. Zahlreiche Workshops – etwa zum Gestalten einer Pause – stünden den Mitarbeitern auch außerhalb der Arbeitszeiten zur Verfügung. „Dieses Angebot wird viel mehr nachgefragt als beispielsweise das mobile Arbeiten“, erzählt Mäule. Das Kursprogramm sei im vergangenen Jahr komplett ausgebucht gewesen. Vor allem die Kurse Selbstbehauptung und Krav Maga, die ausschließlich für Frauen angeboten werden, seien rege nachgefragt. Damit noch nicht genug: Angebote zur Weiterbildung, Schallschutzmaßnahmen, Installation von Wasserspendern, Ausflüge, Headsets für telefonlastige Stellen, Digitalisierungsprojekte zur Arbeitsentlastung – Landratsamt und Stadtverwaltung lassen sich einiges einfallen, um den Arbeitsplatz attraktiv zu gestalten. „Diese Soft-Faktoren machen viel aus“, weiß Landrat Sigel. Und auch Timo Mäule findet: „Unsere Fürsorge für die Mitarbeiter spricht sich herum.“ Es gebe kaum eine bessere Werbung für den Arbeitgeber als zufriedene Mitarbeiter. Zumal in Backnang verstärkt Mitarbeiter aus den eigenen Reihen in Führungspositionen berufen würden. „Das zeigt, dass Leistung belohnt wird und es hier bei uns gute Chancen gibt, im Beruf weiterzukommen“, sagt Mäule. Das motiviere die Beschäftigten zusätzlich.
Moderater Stellenzuwachs in Landratsamt und Stadt Backnang Info Gemäß dem haushaltsrechtlichen Stellenplan für 2018 gibt es im Landratsamt Rems-Murr-Kreis 1346,85 vollzeitäquivalente Stellen. Mit Stand vom 1. Juli 2018 sind 1546 Menschen in Voll- und in Teilzeit (auch Personen, die sich derzeit in Elternzeit befinden) beim Landratsamt beschäftigt. Im Stellenplan 2008 gab es 1295,05 Stellen. Somit gab es innerhalb von zehn Jahren einen Stellenzuwachs von 51,8 Stellen. Das entspricht knapp vier Prozent. Einen der größten Stellenzuwächse hatte das Landratsamt im Zuge der jüngsten Flüchtlingskrise. Allerdings wurden viele Stellen nur befristet geschaffen und wurden inzwischen teilweise wieder abgebaut. In den vergangenen Jahren ist aber auch mit zusätzlichen Aufgaben der Personalbedarf, insbesondere im Sozialbereich, stetig gestiegen. Eine Spitze hierbei war die Umsetzung der Ergebnisse einer Organisationsuntersuchung im Kreisjugendamt mit 84,65 vollzeitäquivalenten Stellen. Die Stadt Backnang beschäftigt derzeit 610 Mitarbeiter, was einem Umfang von 456,9 Stellenanteilen entspricht. Zudem sind 54 Auszubildende in der Backnanger Verwaltung beschäftigt – Tendenz steigend. Mehr als 56 Prozent der Beschäftigten arbeiten in Teilzeit. In den vergangenen zehn Jahren sei der Stellenumfang in der Kernverwaltung lediglich um 1,4 Stellen erhöht worden, sagt Haupt- und Personalamtsleiter Timo Mäule. Anders verhalte sich das im Erziehungsbereich. Dort verzeichne die Stadt Backnang eine Steigerung des Stellenumfangs um mehr als die Hälfte.
„Heute muss man sich als Arbeitgeber ins Zeug
legen und aktiv auf die jungen Leute zugehen.“ Timo Mäule, Haupt- und Personalamtsleiter