Verwirrspiel um angebliche Schlägerei

Verfahren vor dem Backnanger Amtsgericht nach Zeugenvernehmung eingestellt

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Von Hans-Christoph Werner

BACKNANG. Der Aushang im Amtsgericht lässt eine große Sache erahnen. Ein 35-jähriger Kaufmann aus Backnang ist der Körperverletzung angeklagt. Sechs Zeugen sind geladen. Der Angeklagte hat keinen Verteidiger.

Der Staatsanwalt verließt die Anklageschrift. Im August vergangenen Jahres soll es in der Fußgängerzone zu einer tätlichen Auseinandersetzung gekommen sein. Der Angeklagte soll einem anderen mit der Faust ins Gesicht geschlagen haben. Jener sei darauf zu Boden gegangen. Von nennenswerten Verletzungen ist nicht die Rede. Und wie immer fügt der Staatsanwalt den Standardsatz hinzu: Die Strafverfolgung sei aufgrund des öffentlichen Interesses geboten.

Der Angeklagte weist die Vorwürfe zurück. Sein Bruder sei an der Sache beteiligt gewesen. Per Telefon sei er zu dem kleinen Lebensmittelgeschäft beordert worden, weil sich da offensichtlich etwas zusammenbraue. Mit einem Fahrzeug sei ein Grill angeliefert worden. Diesen Grill habe dann der Ladenbesitzer „weggenommen“. Von Anfang an leidet die Verhandlung unter der Zweisprachigkeit. Der Angeklagte macht lange Ausführung, unterstreicht seine Ausführungen mit ausdrucksstarken Handbewegungen. Die Übersetzerin muss zusehen, dass sie auch zum Zuge kommt. Aufgrund der Menge des Gesagten kann sie dann nur zusammenfassend die Aussagen des Angeklagten wiedergeben. Vor allem, sagt der Angeklagte, habe er nicht verstanden, worum es bei der Auseinandersetzung ging. Er sagt es so: „Was war das Problem?“ Er weiß es nicht. Die Richterin nimmt die Vernehmungsprotokolle der Polizei zur Hilfe. Hat gar der andere, der Geschädigte, zuerst versucht, den Angeklagten zu schlagen? Hat der Angeklagte zur Unterstreichung seiner Kampfbereitschaft ein Messer gezogen? Der Angeklagte weist auch diese Anschuldigung strikt von sich. Zwei der geladenen Zeugen, so gibt die Richterin bekannt, können nicht aussagen. Sie sind unbekannt verzogen. Der Angeklagte weiß, dass sie angeblich im Gefängnis sitzen. Die Richterin wundert’s, dass sie davon nichts weiß. Ein 24-jähriger Lagerist sagt aus. Er hat kein Messer gesehen. Und auch nur dies, dass einer zuschlug, ein anderer zu Boden ging. Der Schläger, so hat er sich gemerkt, hat eine Glatze und einen roten Bart. Bei seiner zweiten Vernehmung habe ihm die Polizei ein Foto gezeigt und er habe darauf den Schläger erkannt. Auf die ausdrückliche Nachfrage der Richterin weist er auf den Angeklagten und sagt: „Ich glaube, der Schläger ist da.“ Ein weiterer Zeuge gibt erst an, dass er nichts weiß und nichts gesehen habe. Aber er war an dem fraglichen Tag vor Ort. Viele Leute seien herumgestanden. Was das Problem gewesen sei, habe er nicht ausfindig machen können. Dann gibt er an, doch eine Schlägerei gesehen zu haben. Aber er will mit der ganzen Sache nichts zu tun. Und wie er dazu kam, heute als Zeuge aussagen zu müssen, weiß er auch nicht. Er hat es sichtlich eilig, aus seiner Zeugenrolle wieder herauszukommen. Der nächste Zeuge, ebenfalls 24 Jahre alt, Auszubildender, weiß von vielen Leuten am Tatort. Aber er hat nichts gesehen und infolgedessen weiß er auch von nichts.

Nach einer guten halben Stunde beendet die Richterin das Verwirrspiel. Der Angeklagte habe keine Vorstrafen. Es sei niemand zu Schaden gekommen. Die Verfahren gegen andere Beteiligte der angeblichen Schlägerei seien von der Staatsanwaltschaft wegen mangelnden Tatverdachts eingestellt worden. Die Widersprüche zum Geschehen seien nicht aufzuklären. Eine Fortsetzung der Verhandlung mache für sie keinen Sinn. Darum schlägt sie vor, das Strafverfahren einzustellen. Der Staatsanwalt pflichtet dem bei. Der in der Anklageschrift geäußerte Verdacht habe sich durch die Zeugenvernehmung nicht erhärtet.

Und so war’s dann auch. Was erst nach einer umfangreichen Verhandlung aussah, ist nach 40 Minuten beendet.

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Erstellt:
9. Oktober 2019, 06:00 Uhr

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