Viel Glück!

Schornsteinfeger sind manchmal Lebensretter und besondere Begleiter – doch der Beruf hat sich verändert

Dem Volksmund nach bringen Schornsteinfeger Glück fürs neue Jahr. In Stuttgart-Ost drehen Bernd Kaczmarek und Uwe Grözinger als Kaminkehrer ihre Runden. Was erleben sie dabei?

Stuttgart Wenn der Chef diesen Blick hat, der schwer zu beschreiben ist, dann weiß der Uwe, dass er ihn besser in Ruhe lässt, oder aber, dass er ihn jetzt besonders gut striezen kann. Manchmal kracht es ordentlich zwischen den beiden. Aber das geht schnell wieder vorbei. Und meist haben sie es eh recht harmonisch, weil jeder weiß, was er am anderen hat: Uwe Grözinger den strukturierten Chef, der er selbst nicht sein will. Und Bernd Kaczmarek hat seinen Uwe, einen erfahrenen Meister, mit dem er hart schaffen, aber auch quatschen kann. „Eheähnlicher Zustand“ – so beschreiben es die zwei.

Dass sie mal gemeinsam als Vorgesetzter und Mitarbeiter den Schornsteinfegerbezirk Stuttgart-Ost mit rund 1100 Häusern betreuen würden, war nicht absehbar. Ja, in gewisser Weise haben sie damit ihre Rollen aus der Schulzeit getauscht. Damals, vor etwa 40 Jahren, kam Bernd Kaczmarek neu in die Realschulklasse Ostheim, in der Uwe Grözinger schon saß. Der Junge aus dem Stuttgarter Süden war nicht der fleißigste Schüler, musste vom Gymnasium auf die Realschule. Damit begann ihre Freundschaft.

Uwe Grözinger, der als Arbeiterkind in Ostheim aufgewachsen ist, war zielorientierter – zumindest, was seine Freizeit anging: Springreiten war sein Hobby. Als er mit der Schule fertig war, erzählte ihm ein alter Schornsteinfeger, dass das ein Beruf mit gutem Verdienst und viel Freizeit sei. Grötzinger wurde Lehrling in seinem Heimatbezirk. „Das mit dem vielen Geld hat nicht ganz gestimmt“, sagt er. Und nachdem ein Pferd auf ihn stürzte, musste er die Reiterei aufgeben. Seine Berufswahl bereut er trotzdem nicht.

In der Berufsschule in Ulm trafen sich die Klassenkameraden wieder. Die Lehrjahre Anfang der Achtziger – Grötzinger im Osten, Kacz­marek in Mitte – waren für beide dreckige, im wortwörtlichen Sinn. In vielen Häusern wurde noch mit Kohle und Holz gefeuert. „Wir haben von früh bis spät gefegt“, sagt Bernd Kaczmarek. Fegen, das hieß im Winter um sieben Uhr morgens rauf aufs Dach, den Schornstein kehren bei minus zehn Grad. Handschuhe und Funktionskleidung hatten die Lehrlinge keine. Oft haben sie sich die Hände blutig gescheuert an dem gefrorenen Seil. Danach ging es hinunter in den Heizungskeller, wo es gut 40 Grad heiß war, dann verschwitzt weiter aufs nächste Dach und immer so weiter.

Grözinger und Kaczmarek erzählen von einer Zeit, die viel weiter weg erscheint, als sie eigentlich ist: von hüttenartigen Gebäuden in der Gerberstraße, wo heute das Einkaufszentrum Gerber steht, in denen mit allem geheizt wurde, was es nur gab – und keiner kam kon­trollieren; von Terminen, die einfach zu vereinbaren waren, weil die Frauen meist nicht gearbeitet haben und es weniger Singlehaushalte gab; von Häusern am Neckartor, von denen aus man den gegenüberliegenden Park nicht sah, so dicht hing der Smog dazwischen, aber auch von dem erhebenden Gefühl, morgens auf dem Dach die ersten Spuren in den Schnee zu setzen.

Nach der Berufsschulzeit haben sich die zwei aus den Augen verloren, bis Bernd Kaczmarek im Jahr 2000 den Bezirk Ost übernahm und Uwe Grözinger, der dort schon arbeitete, sein Mitarbeiter wurde. Es passte gleich wieder zwischen ihnen. „Wir behandeln einander so, wie wir selbst gern behandelt werden wollen“, sagt Uwe Gözinger. Und auch sonst passt es weltanschaulich recht gut: Beider Herz schlägt eher links. Außerdem haben sie diese Fähigkeit zur Selbstironie. Man könnte vielleicht sagen: Die Kollegen und Freunde nehmen die Welt ernst, aber sie können auch mal über sich selbst darin lachen.

Eines der Erfolgsrezepte ihrer Zusammenarbeit ist sicherlich die klare Aufgabenteilung, die ihr Beruf mit sich bringt. Zu den Kunden ziehen sie meist getrennt los, begleitet vielleicht von einem Gesellen, Azubi oder Praktikanten. Kaczmarek in seiner italienischen Ape mit dem Kaminfeger drauf, Grötzinger oft zu Fuß. Ihr Schnittpunkt ist die Werkstatt in der Haußmannstraße. Hier treffen sie sich in einem etwa sechs Quadratmeter großen Büro, um eine Zigarette zu rauchen, einen Kaffee zu trinken, Termine zu besprechen so wie jetzt: Eine Kundin meldet sich. Sie wäre noch kurz da, man könne vorbeikommen. „Da musst du bald hin“, sagt Kaczmarek. Uwe Grötzinger schultert seinen Rucksack und geht los.

Während der Mitarbeiter draußen bei den Menschen ist, sitzt der Chef an seinem Schreibtisch, stellt Rechnungen und Bescheinigungen aus, gibt Statistiken für das Emissionskataster weiter, das erhebt, wo im Land mit welchem Brennstoff geheizt wird.

Sein Beruf sei heute auch viel Beratung, sagt Bernd Kaczmarek. Wenn es zum Beispiel staatliche Zuschüsse für die Umrüstung alter Ölheizungen gibt, dann spricht er Kunden an, für die das infrage kommt. Oder wenn ein Altbau saniert wird, dann sorgen die Kaminkehrer dafür, dass die Schornsteine, die für Holz und Kohle und 350 Grad Celsius ausgelegt waren, an die neuen Anlagen mit ihren 80 Grad angepasst werden. Viele aktuelle Debatten schlagen sich direkt auf sein Geschäft durch, sagt Kaczmarek. Die Feinstaubdebatte natürlich: Kaminbesitzer wollen von ihm wissen, wie lange sie noch mit welchem Gerät heizen dürfen. Oder die Diskussion über die zunehmende Zahl der Shisha-Bars: „Wenn der Gesetzgeber mal auf die Idee kommen sollte, dass der Kohlenstoffmonoxid-Wert überwacht werden muss, könnte das an uns hängen bleiben.“

Aber nicht nur die Politik kommt den Schornsteinfegern bisweilen nahe, auch die Menschen, die sie besuchen. Es gibt die rührenden Geschichten wie die der alten Frau, die für Grözinger den Kaffeetisch gedeckt hat, wenn er klingelt. Es gibt die lustigen Anekdoten wie die der jungen Frau, die Kaczmarek nackt empfing, weil sie dachte, ihr Liebhaber stehe vor der Tür. Und es gibt die schlimmen Geschichten wie die des Selbstmörders, den Grözinger in einer Wohnung fand.

Wenn die Schornsteinfeger den Klingelknopf drücken, dann öffnet sich auch die Tür zu einem Leben, das sie mal über viele Jahrzehnte begleiten und mal nur ganz kurz und von dem sie nie wissen, wie es sich von einem zum anderen Besuch verändert hat. Geburten, Scheidungen, neue Partnerschaften, Kinder, die groß werden und ausziehen. Manchmal, sagt Bernd Kaczmarek, müssten sie auch die gebotene Diskretion überwinden und sich einmischen. Einmal fanden sie einen Mann, der einen Schlaganfall hatte, und neben ihm seine überforderte Frau. Einmal kam ihnen eine verwahrloste, dehydrierte Seniorin entgegen. In beiden Fällen wählten sie den Notruf und retteten den Leuten sehr wahrscheinlich das Leben.

Aber Grözinger und Kaczmarek nehmen auch am Leben des Anderen teil. Sie standen einander schon bei Hochzeiten und Trennungen zur Seite, im Lauf der Jahre sind sie die Art von Freunde geworden, die wissen, dass sie auch in einer Notlage anrufen könnten – und der andere wäre sofort da.

Wenn ihre Generation in rund zehn Jahren mal in Rente gehe, sagt Kaczmarek, dann habe die Gesellschaft ein Problem, denn wie für fast alle Handwerksberufe werde es auch für die Kaminkehrer immer schwieriger gute Leute zu finden, die den Beruf erlernen wollen. „Jugendlichen wird vermittelt, dass sie nur mit Abitur und Studium etwas wert sind“, sagt Kaczmarek und seine Augen, die sonst so zugewandt lächeln, verengen sich. Wahrscheinlich ist das der Blick, von dem Uwe Grözinger gesprochen hat.

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Erstellt:
31. Dezember 2018, 03:14 Uhr

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