Viel mehr als nur Deutschunterricht

Bürgerpreis-Kandidaten 2019: Weissacher Sprachhelferinnen bieten freiwillige Sprachkurse für geflüchtete Frauen an

Die Weissacher Sprachhelferinnen bieten geflüchteten Frauen nicht nur Hilfe beim Deutschlernen an, sondern sind auch Kulturvermittlerinnen und oft die einzigen weiblichen Bezugspersonen. Sie ersetzen somit Mütter, Tanten und Freundinnen, für Frauen, die ihre Heimat verlassen und jetzt in einem für sie fremden Land mit einer fremden Sprache und einer fremden Kultur leben.

Manchmal packen die Sprachhelferinnen Hannelore Laruelle, Karin Ries und Heilwig Kölle (von links) auch ein Wimmelbuch für Kinder aus und üben mit den geflüchteten Frauen so den Wortschatz und das Beschreiben von Alltagssituationen auf Deutsch. Foto: J. Fiedler

© Jörg Fiedler

Manchmal packen die Sprachhelferinnen Hannelore Laruelle, Karin Ries und Heilwig Kölle (von links) auch ein Wimmelbuch für Kinder aus und üben mit den geflüchteten Frauen so den Wortschatz und das Beschreiben von Alltagssituationen auf Deutsch. Foto: J. Fiedler

Von Silke Latzel

WEISSACH IM TAL. Deutsch lernen ist generell nicht leicht. Und noch schwerer ist es, wenn man in der eigenen Muttersprache weder lesen noch schreiben kann. Doch genau dieser Situation sind viele geflüchtete Frauen ausgesetzt. Allein in einem fremden Land, ohne richtige Verbindung zur Außenwelt durch Mütter, Tanten oder Freundinnen, oftmals mit vielen Kindern und damit mit zu wenig Zeit, um sich intensiv einem Sprachkurs zu widmen. In Weissach im Tal hat man diese besondere Situation schon im Jahr 2015 erkannt, als der Flüchtlingsstrom nach Deutschland besonders groß war.

Seitdem werden spezielle Sprachkurse für Frauen angeboten, die aufgrund ihrer familiären Situation oder ohne Bewilligung ihres Asylantrags keinen staatlich geförderten Sprachkurs besuchen können. „Oft sind diese Frauen auch ohne Schulbildung, können nicht lesen, schreiben oder rechnen“, erklärt Jennifer Reinert vom Weissacher Rathaus. „Das macht es dann auch für unsere Sprachhelferinnen nicht einfach, den Frauen Deutsch beizubringen.“

Doch Karin Ries, Hannelore Laruelle und Heilwig Kölle lassen sich von solchen Hindernissen nicht entmutigen. Sie sind drei von insgesamt elf Sprachhelfern, kümmern sich mit einer weiteren Frau speziell um die weiblichen Geflüchteten. Der Unterricht für die Frauen findet zweimal wöchentlich statt, dauert jeweils eineinhalb Stunden. Die Lernmaterialien werden von der Kommune bezahlt und zur Verfügung gestellt.

Fingerspitzengefühl und viel Geduld sind gefragt

Und dann geht es los, manchmal auch mit ganz einfachen Methoden: „Wir bauen über Bilder und Gesten den Wortschatz auf, versuchen Wortarten zu verknüpfen und Kontexte zu begreifen und erzählen zu lassen“, so Ries. Alles, was im Unterricht besprochen wird, ist am alltäglichen Leben orientiert, so zum Beispiel das Lesen von Busfahrplänen oder auch Werbeprospekten.

„Wir folgen keinem strengen Lehrplan, sondern lassen uns einfach auch manchmal von Impulsen leiten. Wenn das Wetter beispielsweise schön ist, gehen wir mit den Frauen ein Eis essen, da entstehen dann Gespräche und ganz tolle Themen, über die wir sprechen können“, erzählt Ries weiter und ergänzt: „Es geht um viel mehr als nur die Sprache, wir reden auch oft über Dinge, die die Frauen gerade beschäftigen, zum Beispiel das Thema Kinder. Und die Zeit nehmen wir uns dann auch.“ Trotzdem sei der Unterricht kein Kaffeekränzchen, die Themen werden gründlich vorbereitet und manchmal gibt es sogar Hausaufgaben.

Viel Geduld und Fingerspitzengefühl wird dabei von den Sprachhelferinnen gefordert. „Es geht einfach sehr langsam und man muss viele Dinge oft wiederholen, immer und immer wieder. Vor allem bei den Frauen, die nicht alphabetisiert sind. Da kann man auch nicht mit abstrakten Begriffen arbeiten, weil man die nicht mit Bildern darstellen kann“, so Ries. „Aber das Tempo müssen wir auch einfach akzeptieren“, sagt Hannelore Laruelle. Sie und die anderen Sprachhelferinnen engagieren sich ehrenamtlich, schenken den geflüchteten Frauen einen Teil ihrer eigenen Freizeit – und haben es noch nie bereut, da sind sie sich einig. „Wenn die Frauen kommen und sagen ,Ich war noch nie in der Schule, nur meine Brüder‘ und sie dann so stolz darauf sind, bei uns etwas zu lernen, das gibt einem unglaublich viel zurück“, so Laruelle lachend.

Das Angebot für die geflüchteten Frauen ist bewusst niederschwellig. Auch an die Kinderbetreuung ist gedacht: Eine junge Frau, die in der Verwaltung ihr Freiwilliges Soziales Jahr absolviert, kümmert sich während des Unterrichts um den Nachwuchs. Eine weitere Hürde, die oft genommen werden muss, ist laut Heilwig Kölle die Zeit zwischen den Unterrichtsstunden. „Natürlich, die Frauen kommen zweimal in der Woche zu uns, aber sonst sprechen sie kein Deutsch. Das ist schon schwierig, dann fehlt ihnen die Übung.“

Dass die Sprachhelferinnen für die Geflüchteten oft mehr sind als „nur Deutschlehrerinnen“, merken sie oft an kleinen Dingen. Dann sind sie plötzlich auch „Kulturvermittlerinnen“, beispielsweise wenn sie erklären müssen, wieso man überall bunte Eier und Hasen sieht. Oder wenn sie Dinge erzählen wie „Heute Nachmittag treffe ich mich mit einer Freundin in einem Café“ und dann in lauter fragende Gesichter blicken. Was daran so außergewöhnlich ist? „In manchen Herkunftsländern findet das Leben der Frau nur im Haus statt. Das ist ihr Reich, dort hat sie das Sagen. Der Mann ist unterwegs und arbeitet, die Frau kocht und kümmert sich um die Kinder. Einfach so in ein Café zu sitzen und sich mit Freundinnen zu unterhalten, ist für sie unvorstellbar.

Sie kennen es einfach nicht“, erklärt Reinert. Und genau deshalb sind ihre Sprachhelferinnen oft wichtig, denn sie können den geflüchteten Frauen zeigen, wie die Frauen in Deutschland leben.

In einer Serie stellt unsere Zeitung die Kandidaten aus unserem Verbreitungsgebiet vor, die beim Bürgerpreis Rems-Murr für den Leserpreis der Backnanger Kreiszeitung und der Murrhardter Zeitung nominiert sind.

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Erstellt:
22. Mai 2019, 06:00 Uhr

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