Rechtsradikale und Islamisten
„Vielfalt“ mit Wolfsgruß: Die Netzwerke türkischer Extremisten in Sindelfingen
Nach dem OB-Kandidaten Max Reinhardt erreicht die Affäre um die Nähe zu Grauen Wölfen und türkischen Islamisten in Sindelfingen einen Migrantenverein und eine Wählervereinigung.

© imago/Lars Berg
Der Wolfsgruß: Das Erkennungszeichen der türkisch-rechtsextremistischen Grauen Wölfe.
Von Michael Weißenborn
In Sindelfingen ist von Vielfalt viel die Rede. In der Kommunalpolitik, unter Bürgern und besonders im zurückliegenden OB-Wahlkampf. Das ist auch angebracht angesichts der kulturellen und ethnischen Vielfalt der rund 65 000 Einwohner der Mercedes-Stadt, in der gut jeder Zweite auf eine Migrationsgeschichte blickt. Allerdings, das zeigen Recherchen unserer Zeitung, meinen nicht alle Beteiligten, die diesen Begriff im Mund führen, dasselbe. Manche sogar regelrecht das Gegenteil.
Das freundliche Gesicht der Extremisten?
Da ist zum Beispiel Cengiz Karakas. Der rührige türkischstämmige Endvierziger, technischer Angestellter bei Mercedes-Benz und Kandidat bei der OB-Wahl im Mai. Im Ehrenamt ist er Vorsitzender des Migrantenvereins „Karandere Freundschafts- und Kulturverein in Sindelfingen“. Und fungierte für den OB-Kandidaten Max Reinhardt (FDP) als Kontaktperson in die türkische Gemeinde. Ist Karakas das freundliche Bindeglied zu den Extremisten? Und welche Rolle spielt Bauentwickler Ilhan Salik, Beisitzer im Sindelfinger FDP-Vorstand und Sponsor des Groß-Fastenbrechens auf dem Marktplatz? Fragen dazu ließ er unbeantwortet.
Unter den Gästen des separaten Fastenbrechens von Reinhardt und FDP befanden sich in diesem Frühjahr und auch 2024 – wie berichtet – Vertreter der islamistischen Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG), des Nationalen Vereins Türkischer Arbeitnehmer, wie der Ableger der rechtsextremen Grauen Wölfe in Sindelfingen heißt, der Union Internationaler Demokraten (UID) Böblingen, Lobby der AKP-geführten Regierung, und des salafistischen Deutschsprachigen Islamischen Zentrums (DIZS) – alle im Visier des Landesverfassungsschutzes.
Laut den Experten ist die Ideologie der rechtsextremistischen Grauen Wölfe alles andere als der Vielfalt zugewandt. Sie ist vielmehr geprägt von einem überhöhten Türkentum, von Antisemitismus, Rassismus, Hass auf Minderheiten und einem autoritären Führerkult. Auch die Islamisten der IGMG lehnen die liberale Demokratie ab, und Ditib gerät als verlängerter Arm von Staatschef Recep Tayyip Erdoğan immer wieder in die Schlagzeilen.
Karakas kann unmöglich entgangen sein, dass der Ehrenpräsident seines Kulturvereins ein glühender Anhänger der Grauen Wölfe ist: Bei Facebook spart Zeki Tekin, bis Oktober 2021 Sindelfinger Ditib-Chef und Mercedes-Pensionär, nicht mit Wolfsgrüßen, gedenkt des Todestags des Gründers der Graue-Wölfe-Partei MHP oder posiert mit Kindern, die das Erkennungs- und Begrüßungszeichen der Rechtsradikalen zeigen. Karakas selbst, der bei den Kommunalwahlen 2024 für die CDU kandidiert hat, zeigt in den sozialen Medien keinerlei Distanz im Umgang mit den Extremisten. Auf einem Foto, das der Nationale Verein Türkischer Arbeitnehmer im Februar 2024 gepostet hat, ist er umringt von Männern, die den Wolfsgruß zeigen. Auch sein Freundschaftsverein zeigt Fotos von Treffen mit den Grauen Wölfen oder vom Hallenfußball mit der UID.
Rassismus – nur eine „unterschiedliche Sichtweise“?
Auf Nachfrage beteuert Karakas, er lehne „jegliche Form von Extremismus, Rassismus oder Ausgrenzung ausdrücklich ab“. Der Austausch mit religiösen und kulturellen Vereinen diene „der Integration, dem gegenseitigen Verständnis und der Förderung des friedlichen Zusammenlebens“. Er trete „für einen kritischen, aber respektvollen Umgang miteinander ein – gerade dort, wo es unterschiedliche Sichtweisen gibt“. Tekin ließ eine Anfrage unbeantwortet.
Das „Bündnis der Vielfalt Sindelfingen“ warb zur Kommunalwahl 2024 ebenfalls mit Kandidaten, die die „Vielfalt unserer Stadt“ repräsentieren sollten. Bei näherem Hinsehen aber entpuppen sich einige ihrer Vertreter als überraschend homogen: So verrät Neu-Gemeinderat Serdar Sevik seine Sympathien für die Grauen Wölfe. Etwa wenn er im Herbst 2021 „gefällt mir“ postet, wenn ein Sindelfinger Funktionär bei Instagram stolz mit Wolfsgruß posiert. Und Sevik sympathisiert bei Instagram auch mit der islamistisch-nationalistischen Seriyye-Stiftung.
Hinweise auf seine Einstellung verrät er auch in einem Kommentar bei Facebook von Ditib in Sindelfingen im Februar. Dort schreibt er zum Besuch des SPD-Bundestagsabgeordneten Macit Karaahmetoglu zornig, dass der Bundestag „voller Verräter“ sei, „die nichts mit dem Türkentum zu tun haben – allen voran Cem Özdemir“. Und sein überhöhtes Selbstbild eines religiösen Türken in Abgrenzung gegenüber Säkularen oder Nicht-Muslimen klingt wie eine Drohung: „Unsere Zeit wird kommen – wir, die wir mit der Stirn im Gebet, mit dem Tekbir auf den Lippen, als Türken leben!“ (Anmerkung der Redaktion: Tekbir bedeutet „Gott ist größer“).
Auch bei Ramazan Bicer vom Bündnis der Vielfalt, beratendes Mitglied im Jugend- und Sozialausschuss, ist die Nähe zu den Grauen Wölfen unübersehbar. Ungeniert zeigt er sich bei Instagram im Wahlkampf neben dem örtlichen Graue-Wölfe-Chef. „Danke an meine fleißigen Freunde, die mir immer zu Hilfe eilen“, schreibt er bei Facebook. Die Sindelfinger Extremisten hatten beim Plakataufhängen geholfen. Auch in der Fahrradgruppe der Rechtsradikalen ist Bicer aktiv. Sevik und Bicer reagierten nicht auf eine Anfrage.
Seit Jahren warnen Experten, dass es zur Strategie vor allem der Grauen Wölfe gehört, über Mandate in der Kommunalpolitik politisch Einfluss zu erlangen. Den Extremismus-Experten Erol Ünal überrascht auch die Eintracht von Ditib, IGMG und Grauen Wölfen nicht: „Viele dieser Akteure teilen eine gemeinsame Vorstellung davon, wie Gesellschaft aussehen soll: religiös geprägt, kulturell homogen und klar nach außen abgegrenzt.“ Seit 2018 werde die Türkei von einer Volksallianz aus Regierungspartei AKP und rechtsextremer MHP regiert. Daher der „starke Einfluss in den ideologischen Vertretungen der Diaspora“, so Ünal.
Zur Überschneidung von türkischem Rechtsextremismus und Islamismus konstatiert er: „Die Türkisch-Islamische Synthese verbindet seit den 1970er Jahren Nationalismus mit konservativ-islamischen Werten.“ Unter Staatschef Erdoğan sei diese Verbindung noch enger geworden. Seine Regierung habe die Religion zunehmend politisiert und mit nationalistischer Rhetorik aufgeladen. „So entsteht ein gesellschaftliches Klima, in dem sich viele Menschen über Nation und Glaube selbst aufwerten und zugleich Andersdenkende abwerten.“