Gefahr für endemische Tierarten

Vogelgrippevirus breitet sich in der Antarktis aus

Längst sind nicht mehr nur Vögel betroffen: In der Antarktis sind unzählige Robben mit dem H5N1-Virus infiziert. Forschende sind alarmiert.

Das Vogelgrippevirus infiziert in der Antarktis auch Säugetieren wie Krabbenfresser-Robben.

© imago/Westend61

Das Vogelgrippevirus infiziert in der Antarktis auch Säugetieren wie Krabbenfresser-Robben.

Von Barbara Barkhausen

Die Krabbenfresser-Robben dösen entspannt im Sonnenlicht der Antarktis, ahnungslos, dass ein tödlicher Feind schon unter ihnen wütet. Ein Virus, das die entlegensten Winkel des Planeten erreicht hat und von Tier zu Tier übertragen wird. Eine Infektion endet für die betroffenen Tiere oft tödlich.

Bislang sind 15 Tierarten in der Region mit dem Vogelgrippevirus H5N1 nachgewiesen worden – darunter Seevögel, Pinguine und auch Robben. „Wir haben jetzt definitiv Nachweise in den meisten Robbenarten der Antarktis“, erklärte die australische Forscherin Meagan Dewar, die kürzlich von ihrer vierten Expedition in diesem Jahr zurückkehrte, gegenüber dem australischen Sender ABC. „Andere Teams fanden heraus, dass Antarktische Seebären und See-Elefanten stark betroffen sind, Krabbenfresser und Weddellrobben sind ebenfalls gestorben, und bei einigen Seeleoparden wurde das Virus ebenfalls festgestellt.“

Es besteht die Gefahr, dass Pinguine asymptomatische Träger des Virus sind

Besonders beunruhigend: Der Erreger, der 2023 über Zugvögel aus Südamerika eingeschleppt wurde, scheint sich anders zu verhalten als erwartet. Zunächst dachte die Forscherin, sie würde „Hunderte, wenn nicht Tausende tote Pinguine“ sehen – aber das sei nicht der Fall gewesen. Dies bestätigt auch die Virusökologin Michelle Wille: „In der Antarktis und Subantarktis sehen wir bislang hauptsächlich Todesfälle bei Braunen und Südpol-Skuas, während bei anderen Arten wie den Pinguinen nur wenige Infektionen oder Todesfälle festgestellt wurden“, schrieb sie in einer E-Mail. Damit besteht aber auch die Gefahr, dass Pinguine asymptomatische Träger sein könnten.

Die Virusökologin berichtete zudem von den teils erschreckenden Auswirkungen auf die Tiere. Denn das Virus greift das Gehirn an und dies bedeutet: Tiere zeigen neurologische Symptome wie Koordinationsstörungen und die Unfähigkeit, aufzustehen. „Außerdem sehen wir Atemnot“, schrieb Wille. Bei einigen Arten seien zudem Entzündungen und andere Veränderungen der Augen festgestellt worden. Viele Tiere verenden qualvoll.

Mit den gleichen molekularen Werkzeugen, die auch bei der Covid-19-Bekämpfung eingesetzt wurden, untersucht Wille derzeit Hunderte von Proben von Skuas, Pinguinen und Robben am WHO-Kooperationszentrum für Influenza in Melbourne. Die Analysen sollen zeigen, wo und wie sich das hochpathogene H5N1 auf dem antarktischen Kontinent ausbreitet. Erste Ergebnisse deuten darauf hin, dass das Virus an den gleichen Orten wie im Vorjahr vorkommt – doch es gibt auch Berichte über Fälle weit entfernt vom ursprünglichen Infektionsherd, was zeigt: Der Erreger breitet sich aus. So hat die Vogelgrippe bereits die subantarktischen Inselgruppen Crozet und Kerguelen erreicht, über 7000 Kilometer entfernt vom ersten antarktischen Infektionsherd, der Inselgruppe Südgeorgien. Französische Forschende meldeten dort Ende 2024 „beispiellose und alarmierende Sterblichkeitsraten bei südlichen See-Elefanten“; auch Königspinguine, Eselspinguine und Braune Skuas gehörten zu den Opfern.

„Weltweit katastrophale Auswirkungen auf Wildtiere“

Von Kerguelen aus sind es weniger als 500 Kilometer bis zu Australiens entlegenen Heard- und McDonald-Inseln, einem Hotspot für Artenvielfalt und potenziell neue Wirte. Sollte das Virus diesen Sprung schaffen, könnte der nächste Schritt auf das australische Festland führen. „Es gibt viele Gebiete, von denen wir schlicht nicht wissen, ob die Vogelgrippe dort bereits angekommen ist – und wenn ja, in welchem Ausmaß“, sagte Dewar gegenüber dem Sender ABC. Auch aus nördlicher Richtung droht Gefahr: Zugvögel, die von der Nordhalbkugel zurückkehren, könnten das Virus mitbringen. Grundsätzlich habe die Erkrankung „weltweit katastrophale Auswirkungen auf Wildtiere“, so Wille. Beispielsweise sei ein Drittel aller Basstölpel weltweit daran gestorben. Für die Tierwelt in der Antarktis und Subantarktis stelle das hochpathogene H5N1 eine „sehr reale Bedrohung“ dar.

Hinzu kommt, dass ihre Forschung auch nahelegt, dass eine Einschleppung nach Australien nicht mehr eine Frage des „Ob“, sondern nur noch des „Wann“ ist. Besonders beunruhigend ist, was passieren könnte, wenn der Erreger auf Australiens endemische Tierarten trifft: Beuteltiere wie Koalas und Kängurus oder Meeressäuger wie der Australische Seebär. Schon jetzt befürchten Experten und Expertinnen, dass gefährdete Arten ausgelöscht werden könnten.

Mit jeder Übertragung wächst das Risiko, dass sich das H5N1-Virus besser an Säugetiere anpasst

Neben den ökologischen Folgen steht auch die Gefahr für den Menschen im Raum. Weltweit wurden seit 2020 laut der Weltgesundheitsorganisation WHO 112 Infektionen bei Menschen gemeldet, darunter ein australisches Kleinkind, das sich in Indien infizierte, aber wieder gesund wurde.

Die meisten Fälle traten zuletzt in den USA auf, wo sich das Virus zwischen Rindern verbreitet. Zwar stuft die WHO das Risiko für die Allgemeinbevölkerung derzeit noch als gering ein, doch mit jeder Übertragung von Säugetier zu Säugetier wächst die Wahrscheinlichkeit, dass sich das Virus besser an Säugetiere – und damit auch an den Menschen – anpasst.

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Erstellt:
5. Juni 2025, 14:38 Uhr

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