Vogelkundler warnen: Insektensterben massiver als gedacht

dpa/lsw Stuttgart. Jahrzehntelang nahmen Vogelkundler auf der Schwäbischen Alb auch die Insekten ins Visier - sie fingen sie, zählten und dokumentierten. Nun schlagen die Ornithologen Alarm: Die Zahl der winzigen Fliegen sei dramatisch gesunken, die Folgen würden unterschätzt.

Eine tote Biene mit Blütenpollen an den Hinterbeinen. Foto: Patrick Pleul/dpa-Zentralbild/ZB/Symbolbild

Eine tote Biene mit Blütenpollen an den Hinterbeinen. Foto: Patrick Pleul/dpa-Zentralbild/ZB/Symbolbild

Vogelkundler und Insektenforscher aus Baden-Württemberg warnen eindringlich vor einem drastischen Insektensterben und legen als Beleg eine neue Studie von der Schwäbischen Alb vor. Wissenschaftliche Zählungen hätten mit Blick auf die vergangenen 50 Jahre einen Rückgang der sogenannten wandernden Insekten auf der Schwäbischen Alb um bis zu 97 Prozent ergeben, sagte der Leiter der Forschungsstation Randecker Maar, Wulf Gatter, am Donnerstag in Stuttgart. „Was wir heute noch sehen, ist niederschmetternd“, sagte der Naturforscher und Ornithologe weiter. Vom Einbruch der Zahlen seien vor allem Schwebfliegen, aber auch Waffenfliegen und Schlupfwespen betroffen.

Zuletzt hatte eine Studie des Entomologischen Vereins Krefeld (EVK) 2017 weltweit Aufsehen erregt. Demnach hat die Gesamtmasse der Fluginsekten in Teilen Deutschlands in den vergangenen drei Jahrzehnten um mehr als 75 Prozent abgenommen.

Lars Krogmann, Entomologe vom Naturkundemuseum in Stuttgart, warnte eindringlich davor, die Folgen dieses Sterbens zu unterschätzen: „Je mehr Arten verschwinden, desto mehr gerät das Ökosystem aus den Fugen.“ Die Bedrohung sei „allgegenwärtig, sie ist permanent, und sie geht weiter zurück, als wir uns bewusst sein mögen“. Ursachen für den Trend seien die industrielle Landwirtschaft, Pflanzenschutzmittel, die zunehmende Überdüngung und die Versiegelung, also der Flächenverbrauch durch neue Siedlungen, neue Gewerbegebiete und Straßen.

Der naturschutzpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Markus Rösler, nannte das Ergebnis der Studie „einen katastrophalen Spiegel unseres menschlichen Umganges mit der Natur“. Er forderte, das Monitoring dauerhaft im Haushalt abzusichern und den Naturschutzetat auf 150 Millionen Euro pro Jahr zu erhöhen. Für den Naturschutzbund Deutschland mahnte dessen Artenschutzreferent Martin Klatt: „Die Ergebnisse müssen uns als Gesellschaft wachrütteln.“ Das Land müsse seine Agrarförderprogramme ökologisch noch effektiver gestalten, forderte er.

Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) verwies darauf, dass das Land die Ausgaben für den Naturschutz seit 2011 auf mittlerweile über 100 Millionen mehr als verdreifacht habe. Die Kritik reichte er weiter an Berlin und Brüssel: „Wir sind auch auf die Unterstützung des Bundes und der EU angewiesen“, sagte er. Die Förderung müsse an ökologische Standards ausgerichtet und Landwirte für ökologisches Wirtschaften belohnt werden.

Das Randecker Maar ist ein ehemaliger Vulkanschlot der Schwäbischen Alb und gehört zur Gemeinde Bissingen (Kreis Esslingen).

Zum Artikel

Erstellt:
29. Oktober 2020, 04:06 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen