Vollbremsung auf der Überholspur

Anfang des Jahres herrschte bei d&b Audiotechnik in Backnang noch beste Stimmung: Hinter der Firma lag ein Rekordjahr und die Auftragsbücher waren randvoll. Dann kam Corona und stürzte den Hersteller von Beschallungstechnik in eine tiefe Krise.

Alarmstufe Rot bei d&b Audiotechnik: Um auf die Probleme der Branche hinzuweisen, hat das Backnanger Unternehmen am Montagabend sein Firmengebäude illuminiert. Foto: d&b

Alarmstufe Rot bei d&b Audiotechnik: Um auf die Probleme der Branche hinzuweisen, hat das Backnanger Unternehmen am Montagabend sein Firmengebäude illuminiert. Foto: d&b

Von Kornelius Fritz

BACKNANG. Am Firmensitz der d&b Audiotechnik bei der alten Spinnerei in Backnang wird kräftig gebaut. Dort, wo früher das Briefverteilungszentrum der Post war, entsteht gerade für rund 15Millionen Euro eine neue Produktionshalle für den Hersteller von professionellen Beschallungsanlagen und Soundsystemen. Baustart war im Januar. Damals war die Welt bei d&b noch in Ordnung: Um satte 28 Prozent war der Umsatz 2019 auf rund 170 Millionen Euro gestiegen, gerade hatte das Unternehmen einen Vertriebspartner in China übernommen und ein neues Büro in Los Angeles eröffnet. Weltweit beschäftigt d&b damit rund 700 Mitarbeiter, 470 davon am Stammsitz in Backnang.

Auch für 2020 standen die Zeichen auf Expansion. „Die Branche hat ein stabiles Wachstum und das Premiumsegment, in dem wir tätig sind, wächst sogar noch stärker“, erklärt Geschäftsführer Amnon Harman. Festivals, Konzerte und Shows boomen seit Jahren, was auch daran liegt, dass sie für Künstler inzwischen die wichtigste Einnahmequelle sind. Mit dem Verkauf von Tonträgern lässt sich in Zeiten von Streamingportalen nicht mehr viel Geld verdienen.

Die verhaltenen Konjunkturprognosen zu Jahresbeginn machten Harman deshalb kaum Sorgen. „Was dann passiert ist, hatte allerdings niemand auf dem Zettel“, erinnert sich der Firmenchef. Wegen der Coronapandemie wurden im März alle Großveranstaltungen von einem Tag auf den anderen verboten. Festivals wurden abgesagt, Theater, Konzerthallen und Fußballstadien blieben leer. Doch genau dort kommen die hochwertigen Lautsprecheranlagen aus Backnang zum Einsatz. Die Nachfrage brach ein, denn wer nicht weiß, wann er wieder öffnen darf, investiert auch nicht in neue Technik. Aktuell liegt das Auftragsvolumen laut Harman noch bei 20 Prozent des geplanten Werts – für d&b war es eine Vollbremsung auf der Überholspur.

Bereits Ende März beantragte das Unternehmen Kurzarbeit, mit den Mitarbeitern im Ausland wurde ein freiwilliger Gehaltsverzicht vereinbart. Auch der Vermieter war zu Zugeständnissen bereit. Für eine begrenzte Zeit könne man so die Krise überstehen, sagt Harman, zumal das Unternehmen in den fetten Jahren, die hinter ihm liegen, Rücklagen bilden konnte. „Wir sind sicher besser aufgestellt als die meisten anderen in unserer Branche.“ Trotzdem blickt Amnon Harman mit Sorge in die Zukunft. Denn während andere Branchen wie Gastronomie oder Hotellerie bereits von den Lockerungen bei den Coronaregeln profitieren, ist die Veranstaltungsbranche weiterhin zur Untätigkeit verdammt. Großveranstaltungen sind in Deutschland bis zum 31. Oktober verboten – mindestens. „Wir waren als Erste betroffen und gehören zu den Letzten, die immer noch im Lockdown sind“, beklagt Harman. Und es gebe noch keine Perspektive: „Für alle Branchen gibt es einen Fahrplan, wie es weitergeht. So ein Konzept fehlt für unsere Industrie bis jetzt“, kritisiert der Geschäftsführer. Er vermutet, dass das mit der fehlenden Lobby seines Berufszweigs zu tun hat: „In unserer Branche arbeiten viele Freiberufler, die nicht so gut in Lobbyverbänden organisiert sind.“

Dabei sind in Deutschland rund eine Million Menschen in der Veranstaltungswirtschaft tätig – vom Künstler über den Bühnenarbeiter bis zum Sicherheitsdienst. Zum Vergleich: In der Automobilindustrie, von der in der Politik so oft die Rede ist, arbeiten nur rund 830000 Menschen. Um auf die Probleme der Branche hinzuweisen, hat sich deshalb auch d&b Audiotechnik an der „Night of Light“ beteiligt und sein Firmengebäude am Montagabend rot angestrahlt.

Dass im März angesichts explodierender Infektionszahlen erst einmal alle Veranstaltungen abgesagt wurden, kann Amnon Harman nachvollziehen. Jetzt, wo es Lockerungen in fast allen Bereichen gebe, müsse man aber auch wieder über Veranstaltungen sprechen. Denn auch für diesen Bereich gebe es Konzepte, um die Ansteckungsgefahr gering zu halten, etwa mit personalisierten Eintrittskarten, festen Sitzplätzen und größeren Abständen. Gerade im Sommer wäre unter freiem Himmel vieles möglich, glaubt der Firmenchef und verweist auf Australien und Neuseeland, wo bald schon wieder erste Rockkonzerte stattfinden sollen. Wichtig wäre vor allem, dass es ein fixes Datum für den Neustart gibt, sagt Uwe Henne, Marketingmanager bei d&b. Denn die meisten Veranstaltungen hätten einen langen Vorlauf. Und solange man nicht wisse, wann es weitergeht, könne man auch nichts planen.

Auch vom Konjunkturprogramm der Bundesregierung ist man bei d&b enttäuscht: Die Mehrwertsteuersenkung bringe seiner Branche nichts, sagt Harman. Vielmehr hätte er sich gezielte Investitionsanreize für den Eventbereich gewünscht. „Das wäre die Chance gewesen, Deutschland als führenden Kulturstandort in Europa zu positionieren.“

Seine Ziele für 2020 hat d&b Audiotechnik schon einmal nach unten korrigiert. Geschäftsführer Harman hofft auf eine leichte Erholung im letzten Quartal. Dann könnte bis zum Jahresende vielleicht noch die Hälfte des Vorjahresumsatzes erreicht werden. Auf das Niveau von 2019 werde man aber wohl frühestens 2022 wieder kommen, vermutet der Geschäftsführer. Sollte es eine zweite Welle geben sogar noch später.

Trotzdem will das Backnanger Unternehmen unbedingt alle Mitarbeiter an Bord halten, denn am langfristigen Aufwärtstrend der Branche werde Corona nichts ändern. Amnon Harman kann sich vorstellen, dass sich die Eventkultur kurzfristig dahingehend verändert, dass es künftig weniger Massenevents und mehr qualitativ hochwertige Veranstaltungen geben wird. „Das würde uns entgegenkommen“, sagt Harman, schließlich ist das Backnanger Unternehmen qualitativ und preislich im Premiumsegment positioniert. Die hoch qualifizierten Mitarbeiter werde man deshalb noch dringend brauchen, prophezeit der Firmenchef. Genau wie die neue Produktionshalle, die Anfang 2021 fertig sein soll.

Vollbremsung auf der Überholspur

„Für alle Branchen gibt es einen Fahrplan, wie es weitergeht. So ein Konzept fehlt für unsere Industrie bis jetzt.“

Amnon Harman, Geschäftsführer d&b Audiotechnik

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Erstellt:
25. Juni 2020, 06:00 Uhr

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