Die Wandlung des Marco Rubio
Vom Widersacher zu Donald Trumps „Super-Marco“
Für Marco Rubio war Donald Trump einst ein „Trickbetrüger“, Wladimir Putin nannte er „Mörder“. Jetzt stützt der US-Außenminister bedingungslos den Kreml-Kuschelkurs seines Präsidenten.

© AFP/Brendan Smialowski
Marco Rubio ist bei offiziellen Terminen im Weißen Haus immer dabei – auf einem goldenen Sofa.
Von Karl Doemens
Bei öffentlichen Terminen im Oval Office ist Marco Rubio stets dabei. Im dunklen Anzug, gedeckter Krawatte und mit unausgeschlafenen Gesichtsausdruck sitzt er zwei Meter neben Donald Trump in der Mitte einer goldenen Couch. Dort, wo man am tiefsten versinkt. Zwischen dem einen Kopf größeren Finanzressort-Chef Scott Bessent und dem ebenfalls hoch gewachsenen Vizepräsidenten J.D. Vance kann man ihn auf dem Sofa leicht übersehen.
Einmal, im Februar, schien es, als würde sich der Einserjurist wirklich am liebsten unsichtbar machen. Da beschimpften der US-Präsident und sein Stellvertreter den Präsidenten der von Russland überfallenen Ukraine vor laufenden Kameras so, als sei er der Kriegsverbrecher. „Sie sind in einer sehr schlechten Position“, blaffte Trump Wolodymyr Selenskyj an: „Sie spielen mit dem Leben von Millionen Menschen.“ Derweil rutschte Rubio mit versteinerter Miene und verkrampften Händen immer tiefer in das Sitzmöbel.
Moment der Fremdscham?
Zuschauer rund um die Welt waren überzeugt, einen Moment der Fremdscham zu erleben. Immerhin hatte Rubio in seiner Zeit im Senat als hart gesottener „Russland-Falke“ gegolten und die angebliche Schwäche des damaligen Präsidenten Barack Obama im Umgang mit dem Kreml angeprangert. Entsprechend laut war das Aufatmen in vielen europäischen Hauptstädten gewesen, als Trump im vorigen November den Sohn kubanischer Einwanderer als Secretary of State nominierte. Das sei ein sehr gutes Zeichen für die Ukraine, hieß es. Auch die Demokraten im Senat stimmten der Personalie zu.
Wie sehr sie sich getäuscht hatten, wurde 40 Minuten nach Selenskyjs Rauswurf aus dem Weißen Haus klar. Da setzte Rubio auf der Plattform X eine Ergebenheitsadresse ab: „Danke, @POTUS (der offizielle Account des Präsidenten), dass Sie für Amerika auf eine Weise einstehen, wie kein Präsident zuvor den Mut hatte.“ Mancher traute seinen Augen nicht. „Kumpel, hast Du das geschrieben?“, postete der demokratische Abgeordnete Eric Swalwell: „Wir haben Dich gesehen. Du hast Trump angeschaut, als wäre er ein durchgeknallter Alter, der Dich bei Deinem ersten Date bloßstellt. Erzähl uns keinen Scheiß! Zeig mal Eier!“
Mächtiger als der legendäre Kissinger
Die liberale Welt war geschockt. Aber im Trump-Kosmos erlebt Rubio seither einen atemberaubenden Aufstieg. Der Präsident hat ihn mit zusätzlichen Aufgaben überhäuft wie den Kaminsims im Oval Office mit goldenem Trödel. Neben seinem Hauptjob als Außenminister ist der 54-Jährige inzwischen Insolvenzverwalter der Entwicklungsbehörde USAID, staatlicher Archivist und Nationaler Sicherheitsberater. „Minister für Alles“ hat ihn die „New York Times“ genannt. Selbst als möglichen Nachfolger hat Trump ihn ins Gespräch gebracht. So viel Macht hatte nicht einmal der legendäre Henry Kissinger. „Wann immer ich ein Problem habe, rufe ich Marco“, berichtete der Präsident kürzlich: „Der kriegt das gelöst.“
Nun erhält der Tausendsassa ein weiteres Mandat: Beim Treffen der acht europäischen Spitzenpolitiker mit Trump am Montag wurde verabredet, dass Rubio mit den Europäern einen Vorschlag für Sicherheitsgarantien erarbeiten soll, die als Voraussetzung für potenzielle Friedensgespräche zwischen dem ukrainischen Präsidenten und Kreml-Chef Wladimir Putin gelten. Nach Trumps Willen soll alles wahnsinnig schnell gegen. Von einer oder zwei Wochen ist die Rede. Doch zwischen den Erwartungen der Europäer an die Amerikaner und der Neigung des Präsidenten, irgendwelche Zusagen für ein 8000 Kilometer entferntes Land abzugeben, das ihn jenseits der dortigen Rohstoffvorkommen nicht interessiert, liegen Welten.
Rubios klare Meinung zu Putin
Anders als Trumps ahnungsloser Ukraine-Unterhändler Steve Witkoff weiß Rubio, worüber er spricht. Im Senat hat er einst gefordert, die Separatisten im Osten der Ukraine als Terrorgruppe einzustufen und US-Firmen alle Investitionen in Russland zu verbieten. Mit Putin stimme etwas nicht, twitterte er einen Tag nach der russischen Invasion im Februar 2022 als damaliger Vizevorsitzender des Geheimdienstausschusses: „Er war schon immer ein Mörder, aber sein Problem ist jetzt anders und bedeutend.“
Inzwischen steht Rubio in Trumps Diensten und klingt ganz anders. „Die Vereinigten Staaten haben der Ukraine in den vergangenen drei Jahren geholfen und wollen den Krieg beenden“, verkündete er im April. „Aber es ist nicht unser Krieg.“ Wenn ein Friedensschluss nicht möglich sei, müssten die USA eben „weiterziehen“. Auch in Europa ahnt man seither, dass Trumps neuer Super Marco mit dem alten Transatlantiker nicht mehr viel gemein hat.
„Immerhin keine Beschimpfungen“
Als der deutsche Außenminister Johann Wadephul (CDU) Ende Mai zu seinem Antrittsbesuch im Washingtoner Stadtteil Foggy Bottom eintraf, hatte sein amerikanischer Amtskollege nur 45 Minuten Zeit. Nur kurz trat man im prunkvollen Treaty Room im siebten Stock des Außenamtes vor die Kameras. Ein Grinsen, ein Händeschütteln und Abgang. Nach 30 Sekunden war es vorbei.
Dafür hatte Rubio seinem Gast vorab einen Post auf X entgegen geschleudert, in dem er die Einstufung der AfD als „gesichert rechtsextremistisch“ durch den Verfassungsschutz kritisierte: „Das ist keine Demokratie – das ist verkappte Tyrannei.“ Für den Minister einer Regierung, die kritische Staatsanwälte feuert, das Militär in der Hauptstadt einsetzt und „woke“ Kunst aus den Museen verbannt, war das eine kühne Bemerkung. „Mister Secretary, denken Sie immer noch, dass Deutschland eine Tyrannei ist?“, rief ein Berliner ZDF-Reporter dem Amerikaner beim Fototermin zu. Rubio verzog keine Miene. Wadephul schaute stumm zur Seite. Auch hinter verschlossenen Türen vertrat Rubio loyal die Trump-Linie. „Da gibt es kein Augenzwinkern“, berichtete ein Mitglied der deutschen Delegation. Immerhin gebe es „auch keine Beschimpfungen“.
„Gehirntransplantation abgeschlossen“
Frühere Kollegen im US-Kongress drücken das unfreundlicher aus. „Rubios MAGA-Gehirntransplantation ist abgeschlossen“, ätzte der demokratische Senator Chris van Hollen in der „Washington Post“. (MAGA steht für den Trump-Slogan „Make America great again“). Jener Marco Rubio, der Demokratie, Menschenrechten und Meinungsfreiheit als Teil der US-Außenpolitik sah, sei verschwunden.
Tatsächlich hat der in Miami geborene Sohn kubanischer Einwanderer in seinem Politikerleben eine erstaunliche Metamorphose durchlaufen. Unterstützt von der Tea-Party war er 2010 im Alter von 39 Jahren in den US-Senat gewählt worden. Der konservative Politiker trat für mehr Haushaltsdisziplin, eine harte Haltung gegenüber China und Russland und strenge Grenzkontrollen ein. Gleichzeitig kämpfte er jedoch dafür, den Millionen bereits in den USA lebenden illegalen Migranten einen Weg zur Staatsbürgerschaft zu eröffnen.
Rubio wird zum Höfling
Das von ihm propagierte Einbürgerungsgesetz scheiterte im Repräsentantenhaus. Doch der ambitionierte Sohn eines Barkeepers und eines Zimmermädchens pokerte höher: Er bewarb sich für die republikanische Kandidatur zur Präsidentschaftswahl 2016. Sein Wahlkampfbuch hieß „Amerikanische Träume“ und handelte von der Wiederherstellung der Aufstiegschancen für alle. Seinen Konkurrenten Donald Trump, der mit düsteren ausländerfeindlichen Parolen auf Stimmenfang ging, nannte Rubio einen „Trickbetrüger“ und prophezeite, Trump werde nichts als Chaos schaffen.
Trump seinerseits verspottete den 1,75 Meter großen Rubio als „Little Marco“. Und der drehte eilig bei. 2023 schrieb er ein neues Buch. Es hieß: „Das Jahrzehnt der Dekadenz. Wie unsere verwöhnten Eliten Amerika ruiniert haben“. Der konservative Weltverbesserer von einst machte sich das rechtspopulistische Narrativ zu eigen. Und wurde zum Höfling seines einstigen Widersachers.