Von der Heilkraft des Wassers

Heute vor 201 Jahren wurde „Wasserdoktor“ Sebastian Kneipp geboren. Seine Behandlungen sind heute noch aktuell. Auch bei der ersten Veranstaltung des Backnanger Naturheilvereins in diesem Jahr geht es um dieses Thema.

Jutta Soehnle vom Naturheilverein (vorne) kneippt mit Seminarteilnehmern im Wassertretbecken in Unterbrüden. Foto: Alexander Becher

© Alexander Becher

Jutta Soehnle vom Naturheilverein (vorne) kneippt mit Seminarteilnehmern im Wassertretbecken in Unterbrüden. Foto: Alexander Becher

Von Simone Schneider-Seebeck

Backnang. „Handle nicht unvernünftig gegen dich selbst.“ Diese Handlungsempfehlung gab Pfarrer Sebastian Kneipp, der heute vor 201 Jahren im oberschwäbischen Stephansried geboren wurde. Eigentlich ein so einfacher und auch nachvollziehbarer Rat, der doch so selten befolgt wird. Als Pfarrer kam er 1855 nach Wörishofen, das unter seinem Einfluss schließlich zum Kurort wurde. Kneipps Bekanntheit wuchs, auch wenn er weiterhin gegen Gegner seiner Methoden zu kämpfen hatte. Von vielerlei Seiten geehrt starb er 1897.

Kneipp ist vielen durch das Wassertreten bekannt. So finden sich an mehreren Orten in der Region Kneipp-Becken, die besonders in der warmen Jahreszeit gern zur Abkühlung genutzt werden. Doch wer sich in die kalten Fluten stürzt, sollte vorab und währenddessen das eine oder andere beachten. Aus diesem Anlass bot der Naturheilverein Backnang ein Kneipp-Seminar am Wassertretbecken Unterbrüden an.

Optimal gewählt ist dieser Abend. Tagsüber hatte das Thermometer an der 30-Grad-Marke gekratzt, perfekte Voraussetzungen für eine Einführung in das Thema Wasser. Doch bevor die Teilnehmergruppe die Erkenntnisse des Bad Wörishofener Pfarrers praktisch anwenden darf, steht zunächst die Theorie, in die Birthe Kneissl vom Naturheilverein Backnang einführt: „Unser Herrgott hat uns mit dem Körper auch die Pflicht auferlegt, ihn zu umsorgen.“ Nach einem kurzen Überblick über Kneipps Leben und Wirken erläutert sie die Grundsäulen des Kneipp’schen Therapiekonzepts: Ordnungs-, Ernährungs-, Bewegungs-, Hydro- und Hydrothermo- sowie Phytotherapie. Ein ganzheitliches allumfassendes Konzept, zu dem sowohl Vorbeugung als auch Nachbehandlung und selbstverständlich auch die Behandlung an sich gehören.

Wichtig ist zudem, dass nicht jede Art von Therapie oder Behandlung bei jeder Person gleich anschlägt. Manch einer spricht eher auf das Wassertreten an, anderen gefällt das Armbad besser. Zudem gibt es körperliche oder gesundheitliche Voraussetzungen, unter denen diese Behandlungsansätze nicht geeignet sind. Darauf weisen während des Seminars sowohl Birthe Kneissl als auch Seminarleiterin Jutta Soehnle immer wieder hin. Ein achtsamer Umgang mit dem eigenen Körper und dessen Bedürfnissen zum jeweiligen Zeitpunkt, darüber müsse jeder Teilnehmer und auch jeder Anwender für sich selbst entscheiden.

Am Anfang steht das Aufwärmen, Hände und Füße müssen warm sein

Jutta Soehnle: „Man muss für sich selbst entscheiden, was einem guttut. Dabei kann man natürlich auch abwechseln.“ Beispielsweise an einem Tag Wasser treten, am nächsten ein Armbad nehmen. Zu Beginn steht zunächst das Aufwärmen, denn Hände und Füße müssen warm sein. So nutzen denn auch die Seminarteilnehmerinnen und -teilnehmer die Möglichkeiten rund um das idyllisch gelegene Wassertretbecken: barfuß über die gemähte Wiese spazieren, Kräftigungsübungen und Atemübungen machen. Und dann: „Wenn Sie das Gefühl haben, Sie haben warme Füße, dann los“, ermuntert Jutta Soehnle.

Allerdings wird davor noch der „Storchengang“ geübt. Denn im Becken pflügt man nicht einfach nur durchs Wasser. Begonnen wird mit dem herzfernen Körperteil, dem rechten Bein. Vorsichtig hinein ins Wasser, dann folgt das linke Bein. Das rechte Bein komplett aus dem Wasser heben, dann wieder eintauchen. Das gleiche mit dem linken Bein. Die Füße am Boden dann von Zeh bis Ferse abrollen. Zur Balanceunterstützung dient das Geländer in der Mitte. Konzentration ist angesagt, damit man nicht das Gleichgewicht verliert. Fast hat es etwas Meditatives, sieht man der Gruppe zu, die so konzentriert durch das Wasser wandert.

„Wer das Gefühl hat, es wird kalt, geht heraus und macht eine Pause“, so die Seminarleiterin. Manch einer verlässt das Becken nach der ersten Runde, andere schließen eine zweite an. Wieder auf trockenem Boden streicht man zunächst das Wasser mit beiden Händen ab, der Rest trocknet bei diesen Temperaturen flugs von selbst. Zum Aufwärmen empfiehlt Soehnle lockeres Gehen: „Ich möchte Sie ermuntern, zu spüren, was Sie brauchen.“

Bei der zweiten Runde sind die Teilnehmer sogar zwei oder drei Bahnen unterwegs. „Jetzt spüren Sie den Unterschied im Vergleich zum ersten Mal. Wie fühlen Sie sich?“ Die eine fühlt sich erfrischt, die andere steht besser. Jutta Soehnle, die auch Reflexzonentherapie anbietet, erklärt: „Was in Ihren Füßen ist, das ist im ganzen Menschen.“ Daher ihr Rat: „Achten Sie auf Ihre Füße.“

Nach einer kleinen Trinkpause geht es zum Armbad. Auch hier gilt: erst langsam mit dem rechten, dann mit dem linken Arm eintauchen, etwa bis zur Mitte des Oberarms, dann leicht auf- und abpumpen, höchstens 30 Sekunden lang. Teilnehmerin Ingeborg Pfaff ist höchst angenehm überrascht: „Heidenei! Jetzt kribbelt es und es ist angenehm. Und es ist gleich wieder warm.“ An diesem Kneipp-Abend wird der ganzheitliche Aspekt besonders deutlich. Es geht nicht nur um das Wasser, sondern auch darum, in sich hineinzuhören, aber auch die Umwelt bewusst wahrzunehmen, achtsam zu sein. Für sich selbst zu entdecken, was guttut. Den Teilnehmerinnen und Teilnehmern gefällt es. „Man fühlt sich jetzt gut und erfrischt. Es ist sehr angenehm“, so der Tenor.

Vielleicht gar nicht so schlecht, dass Jutta Soehnle diesmal den Aspekt der körperlichen Ertüchtigung etwas außen vor gelassen hat, wie sie schmunzelnd verrät: „Zum Kneippen gehört eigentlich auch Holz spalten. Aber darauf habe ich heute verzichtet.“

Der Hydrotherapeut und Naturheilkundler Sebastian Kneipp

Kaltes Wasser Als junger Mann litt Sebastian Kneipp (vermutlich) an Tuberkulose, keine Behandlung zeigte Wirkung. 1848 kam ihm das Werk „Unterricht von Krafft und Würkung des frischen Wassers in die Leiber der Menschen“ von Johann Siegmund Hahn in die Hände. Dadurch inspiriert behandelte er sich mit kaltem Wasser. Dies führte nach seinen Angaben zur Genesung. Die Wasserkuren führte er weiterhin fort und behandelte heimlich nach seinen Erkenntnissen. Aufgrund verschiedener Klagen wurde ihm die Behandlung Kranker untersagt. Mit Ausbruch einer Choleraepidemie nahm er diese jedoch wieder auf; später wurde ihm die Heilung von 42 Erkrankten zugeschrieben.

Seine Schriften Sebastian Kneipp veröffentlichte mehrere Werke, die sich mit Landwirtschaft befassten, 1886 erschien „Meine Wasser-Kur“, gefolgt von „So sollt ihr leben“ und weiteren Büchern über Gesundheit.

Regeln Zu den Regeln Kneipps für eine gesunde und ganzheitliche Lebensweise zählen: Stärke dich täglich mit einfachen Kneipp-Anwendungen. Finde Spaß an Bewegung. Ernähre dich vollwertig. Verzichte auf Giftstoffe.

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Erstellt:
17. Mai 2022, 16:00 Uhr

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