Vor allem die Gemeinschaft zählt

Leben auf dem Land Die Rolle der Kirche wird auch in den ländlichen Gebieten immer geringer. Aber viele Menschen wollen weiterhin ihren Glauben leben und sind der Kirche zumindest noch als Symbol des Glaubens verbunden.

Im ländlichen Raum sind die Kontakte noch persönlicher. Ute von Brandenstein etwa ist Pfarrerin der evangelischen Kirchengemeinde Großerlach/Grab und unterrichtet in der Grundschule auch noch Religion. Deshalb ist sie auch bei den Jüngeren gut bekannt.  Fotos: A. Becher

© Alexander Becher

Im ländlichen Raum sind die Kontakte noch persönlicher. Ute von Brandenstein etwa ist Pfarrerin der evangelischen Kirchengemeinde Großerlach/Grab und unterrichtet in der Grundschule auch noch Religion. Deshalb ist sie auch bei den Jüngeren gut bekannt. Fotos: A. Becher

Von Simone Schneider-Seebeck

Backnang. „Die Bedeutung der Kirche hat jeder für sich zu verantworten“, sagt Pfarrer Julius Ekwueme von der katholischen Seelsorgeeinheit Oppenweiler/Kirchberg an der Murr. Er betrachtet den Begriff „Kirche“ daher auch von drei Seiten. Einerseits gibt es da die Institution Kirche. Seiner Beobachtung nach nimmt das Verhältnis zwischen den Menschen und der Institution ab, unabhängig davon, wo man lebt. Kirchenaustritte machen sich überall bemerkbar. „Die Menschen werden der Institution gegenüber kritischer“, so der stellvertretende Dekan des Dekanats Rems-Murr. Das muss jedoch nicht zwingend mit weniger Glauben einhergehen. „Die Menschen wollen ihren Glauben leben und sind der Kirche als Symbol des Glaubens verbunden“, hat er beobachtet. Das zeigt sich vor allem beim ehrenamtlichen Engagement innerhalb der Kirchengemeinden. Viele Gläubige möchten sich nicht vorschreiben lassen, wie die Beziehung zu Gott auszusehen habe, deshalb müsse zwischen Institution und persönlichem Glauben unterschieden werden.

Als drittes Element macht Julius Ekwueme die Kirche als Ort der Ruhe aus. Dabei kommt seiner Ansicht nach den ländlichen Regionen tatsächlich eine stärkere Bedeutung zu, denn hier geht es gemächlicher zu als in den Städten. So würden Urlauber gern Orte der Stille aufsuchen, um zur Ruhe zu kommen. Nicht umsonst seien Orte mit Klöstern bei Touristen sehr beliebt. Zudem ist der Kirchturm häufig das Wahrzeichen einer kleineren Gemeinde, etwas, das sich über die anderen Gebäude erhebt und weithin sichtbar ist. „Man merkt auch, dass es eine gewisse Sehnsucht nach der Kirche als Gebäude gibt“, hat der Seelsorger festgestellt, „besonders in der Advents- und Weihnachtszeit oder in der Osterzeit.“

Die Kirche bewegt viel im Ort

und bietet zahlreiche Angebote an

„Auf dem Land ist die persönliche Identifikation mit der Kirche größer“, scheint es Roland Schlichenmaier. Er ist Vorsitzender des evangelischen Kirchengemeinderats in Brüden. Die Kirche bewege viel im Ort, auch werden hier zahlreiche Gruppen angeboten, vor allem der aktuelle Pfarrer Körner habe viel für die Jugend getan. Dennoch sieht er, dass immer mehr Menschen der Kirche den Rücken kehren. Was sicher auch daran liege, dass die Kirche ihr soziales Engagement nicht öffentlich genug mache. Viele Kirchenmitglieder wüssten gar nicht, wohin beispielsweise Kirchensteuer und Spenden fließen.

Momentan steht in der Gemeinde ein Pfarrerwechsel an und Schlichenmaier ist überzeugt davon, dass es schwieriger sei, eine vakante Stelle auf dem Land als in der Stadt zu besetzen. Das führt er unter anderem auch auf die vielfältigen Aufgaben durch die verstreuten Teilorte zurück.

Ute von Brandenstein ist Pfarrerin der evangelischen Kirchengemeinde Großerlach/ Grab. „Grundsätzlich denke ich schon, dass die Kirche auf dem Dorf ein ganz gutes Standing hat“, sagt sie. Allerdings: „Die Kirche als Institution verliert auch auf dem Land an Bedeutung“, hat sie festgestellt, auch sie weiß von Kirchenaustritten.

Oft kenne man im ländlichen Raum Pfarrerin oder Pfarrer persönlich, das sieht sie als großen Vorteil einer kleineren Gemeinde an, etwa wenn man sich – zumindest vor Corona – auf Dorfveranstaltungen trifft. Dadurch verbindet man eher ein Gesicht, eine Person mit der Institution Kirche. Und da sie an der Grundschule Großerlach Religionsunterricht gibt, ist sie auch den jüngeren Gemeindemitgliedern bekannt.

Allein in Kirchberg an der Murr finden sich über 30 Angebote der evangelischen Kirche – Kindergruppen, Jungscharen, Sportgruppen, Chöre und, und, und. „Egal woher man kommt, jeder ist willkommen“, sagt Elke Currle. Sie ist im Vorstand des CVJM Kirchberg und fasst mit diesem Satz zusammen, was die kirchlichen Gruppen im Ort so attraktiv macht. Von Belang ist sicher auch, dass der christliche Glaube in vielen Familien schon seit Generationen eine wichtige Rolle spielt. „Das wird von Generation zu Generation weitergegeben.“ Und durch das Beispiel in der Familie erleben dann auch die Kinder das Positive, das durch den Glauben vermittelt wird: „Glaube stärkt.“ Zudem bieten die verschiedenen kirchlichen Angebote für Menschen jeden Alters die Möglichkeit, sich ehrenamtlich zu engagieren. „Wenn junge Leute solch eine Arbeit machen, etwa als Jungscharleiter, dann können sie sich in einem geschützten Raum ausprobieren“, ist Currle überzeugt und verweist auf die positiven Aspekte für die Persönlichkeitsbildung.

Zudem herrsche in einem Dorf nicht so eine starke Fluktuation wie in der Stadt, vermutet sie, man kennt sich untereinander, es gibt ein Zusammengehörigkeitsgefühl. Und ein Vorteil der zahlreichen kirchlichen Angebote im Vergleich zu anderen Organisationen – es ist für die ganze Familie etwas dabei. So wird beim CVJM das Augenmerk vor allem auf die Familienarbeit gelegt, beispielsweise durch Vernetzung von Familien untereinander, Familienerlebnisse, Impulse für Erziehung und Partnerschaft. Das spricht auch Personen an, die nicht unbedingt zum „engeren“ kirchlichen Kreis gehören.

Was sich aus den Beispielen herauskristallisiert – nicht die Institution an sich steht im Vordergrund. Es ist mehr die Gemeinschaft, die zählt, und oft auch die Angebotsbreite, die die Kirche auf dem Land auszeichnet. Nah am Menschen dran und ganz persönlich.

In der Serie „Leben auf dem Land“ beleuchten wir verschiedene Aspekte des dörflichen Lebens in unserer Region genauer.

Portal auf der Nordseite der Kirche in Grab.

© Alexander Becher

Portal auf der Nordseite der Kirche in Grab.

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Erstellt:
19. Februar 2022, 16:00 Uhr

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