Vor dem Regen herrscht lange Trockenheit

Die Freude der Landwirte über den Regen in den vergangenen Tagen ist groß. Doch das Wasser kommt für viele Pflanzen zu spät. Der Hitzesommer hat bereits erbarmungslos zugeschlagen. Die Folge: Bauern müssen bewässern und Futter nachkaufen. Zudem steigen die Betriebskosten.

Das Futter ist in diesem Jahr das Problem. Oft müssen die Landwirte bereits ihre Vorräte aus den Silos holen. Archivfoto: Alexander Becher

© Pressefotografie Alexander Becher

Das Futter ist in diesem Jahr das Problem. Oft müssen die Landwirte bereits ihre Vorräte aus den Silos holen. Archivfoto: Alexander Becher

Von Ute Gruber

Rems-Murr. Die letzten dürren Halme haben dann im Juli noch die Pferde abgeknabbert, seitdem ist die große Weide verwaist. Unbarmherzig hat der Dürresommer den engagierten Tierwohlplänen der jungen Landwirtschaftsmeisterin einen Strich durch die Rechnung gemacht.

Den 75 fleißigen Milchkühen wollte der Familienbetrieb im Schwäbischen Wald etwas Gutes tun für Leib und Seele und hat ihnen eine große, stallnahe Wiese als Weide eingezäunt. Nach anfänglicher Skepsis wurde das Angebot mit begeisterten Galoppsprüngen in Besitz genommen. Doch mit beginnender Hitze im Juni kehrte Ernüchterung bei den Wiederkäuern ein: Kaum draußen, stürzten sich Heerscharen von Bremsen auf die Weidegänger. Nach maximal zwei Stunden waren alle freiwillig wieder im kühlen Stall. Vorübergehend brachte ein nächtlicher Weidegang Linderung, aber dann wuchs mangels Regen nichts mehr nach – im Gegenteil: Das vorhandene Gras wurde weniger. Das Projekt wurde abgebrochen.

Auch auf dem Murrhardter Bioland-Betrieb Wacholderhof wurden die 20 Limpurger Mutterkühe mit Nachzucht zwei Monate vor der Zeit wieder aufgestallt. Jetzt fressen sie statt frischen Wiesengrüns schon das konservierte Winterfutter. Betriebsleiter David Burkhardt wird deshalb den Viehbestand vor dem Winter abstocken. Er berichtet von unglaublichen 50 Grad Celsius, die er im Ackerboden gemessen hat, von seinem Gemüse, das ohne Bewässerung und Mulchschicht verdorrt wäre und von Kartoffeln, die sogar in der Erde Brandflecken bekommen hätten.

Große Wege und aberwitzige Preise, um die Futtersilos zu füllen

Andere Betriebe nehmen große Wege und aberwitzige Preise in Kauf, um ihre Futtersilos zu füllen, besonders beim Mais und vor allem aus Hohenlohe, wo es noch weniger geregnet hat als im Schwäbischen Wald und der Mais flächendeckend notreif wurde. Denn bei uns wird vielerorts von einem guten ersten Silageschnitt Anfang Mai (am Muttertag!) berichtet, danach kam eine Regenperiode, das verbliebene Heugras wurde alt und minderwertig. Ein zweiter Schnitt und – Ende Gelände. Die Sommermahd ist mangels Regen komplett ausgefallen.

Während es vergangenes Jahr dank Regen Masse gab, es aber an Sonnenschein und damit Futterqualität mangelte („Das Futter melkt nicht“), fehlt dieses Jahr der Faktor Wasser. Beides führt dazu, dass seit einem Jahr deutschlandweit weniger Milch erzeugt wird als sonst. Milch ist knapp und damit teurer geworden. Die gestiegenen Betriebskosten tun ihr Übriges.

Wie mit dem Trockenstress im Grünland umgehen? Nicole Schneider vom Beratungsdienst Milchvieh und Futterbau analysiert mit Landwirten aus dem Murrhardter Raum die Lage vor Ort in Hinterwestermurr: „Hier wächst dieses Jahr kein Schnitt mehr.“ Foto: Ute Gruber

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Wie mit dem Trockenstress im Grünland umgehen? Nicole Schneider vom Beratungsdienst Milchvieh und Futterbau analysiert mit Landwirten aus dem Murrhardter Raum die Lage vor Ort in Hinterwestermurr: „Hier wächst dieses Jahr kein Schnitt mehr.“ Foto: Ute Gruber

Wo noch genug Futter vom Vorjahr da ist und der heurige Mais einigermaßen ergiebig war wie im Backnanger Raum, werden daher die Kühe fleißig gemolken. Also sind bisher auch Schlachtkühe rar und teuer. Aus anderen Regionen wie Oberfranken, wo die Dürre auch den Mais frühzeitig erwischt hat, kommen aber anscheinend an der Viehzentrale in Crailsheim schon seit Wochen zunehmend Milchkühe zur Schlachtung.

Groß ist daher das Interesse an der Grünlandbegehung zum Thema „Umgang mit dem Trockenstress im Grünland“, welche der Beratungsdienst (BD) Milchvieh und Futterbau Rems-Murr dieser Tage angeboten hat. Über 20 zumeist junge Landwirte ließen sich von Nicole Schneider vom BD und Hans Koch von der Baywa auf den Wiesen von Harald Wurst zeigen, wie man den Zustand von Boden und Pflanzenbestand beurteilt und welche Maßnahmen ergriffen werden sollten. Fachmann Hans Koch ist überzeugt, dass der Grundversorgung des Bodens mit Kationen, vor allem Kalzium, also Kalk, und Kalium, bei der Trockenresistenz der Bestände eine elementare Bedeutung zukommt: „Der Boden muss erst mal von Grund auf saniert werden, sonst gelingt die Nachsaat nicht.“

Denn so trostlos wie hier in Hinterwestermurr sieht es bei fast allen Milchbauern in der Region Murrhardt aus: braune, ausgetrocknete Hänge, wo sonst saftiges Grünfutter steht. Der Hauch von Grün, der sich jetzt nach dem Regen der letzten Woche darüberlegt, entpuppt sich beim näheren Hinsehen überwiegend als tiefwurzelnder Löwenzahn, Spitzwegerich, Schafgarbe – Kräuter, die wohl schmackhaft sind, aber wenig Masse bringen. Oder im schlimmsten Fall als der gefürchtete, äußerst robuste Ampfer, der mit seiner ausladenden Blattrosette alles im Umkreis erstickt, dessen Samen mehr als 30 Jahre im Boden lebensfähig bleiben, der aber von Kühen und anderen Grasfressern gänzlich verschmäht wird. Er ist der Feind jedes Grünlandbauern.

Mindestens zwei Grünlandschnitte sind ausgefallen

Einhellig wird in der heutigen Runde der Praktiker festgestellt, dass durch die Hitze und Trockenheit dieses Sommers mindestens zwei Grünlandschnitte ausgefallen sind – Futter, das spätestens im nächsten Frühjahr fehlen wird. Aktuell sei die Lage dagegen noch entspannt, weil vom regenreichen Sommer 2021 noch genügend Futterreserven in den Fahrsilos und auf den Heuböden lagern würden. Vorzeitig zu Ende ist heuer allerdings bei allen die Weidesaison. Ralf Klenk aus Mettelberg, der seine Nachzuchtrinder der Fitness wegen auf die Weide schickt, musste dort dieses Jahr zum ersten Mal zufüttern, weil alles ausgetrocknet war. „Und letztes Jahr haben wir das Wasserfass mit der Seilwinde aus der Weide ziehen müssen, so nass war’s da“, schüttelt er den Kopf.

Brigitte Kübler vom Waltersberg hofft auf einen rettenden, späten Schnitt im Oktober, wie er im ersten Hitzejahr 2003 möglich war, allerdings werde es dann knapp mit der Gülleausbringung: „Das dürfen wir ja inzwischen ab dem 1. November nicht mehr.“ Die vielen Verordnungen zu Klima- und Umweltschutz haben den Landwirten die Arbeit nicht gerade leichter gemacht. „Als ob das ständige Jonglieren mit den Wetterbedingungen nicht schon anspruchsvoll genug wäre.“

Es müssen dringend neue Versuche gemacht werden

„Normal war bis vor sieben Jahren etwas anderes als heute“, stellt Pflanzenspezialist Koch fest und reklamiert, dass an den landwirtschaftlichen Fachschulen und Universitäten Themen gelehrt würden, die nicht mehr aktuell seien. „Es müssen dringend neue Versuche gemacht werden.“ – „Wir müssen die Winterfeuchte besser nutzen, wenigstens auf dem Acker“, stellen die Rinderhalter fest und haben schon eine Idee: Grünroggen über den Winter zur Ganzpflanzensilage im Frühjahr. „Mit etwas Glück gelingt danach auch noch der Mais. Dann ernten wir zweimal.“ Auf dem Grünland haben viele zuletzt noch einen Säuberungsschnitt gemacht – in der Hoffnung, dass vielleicht doch noch etwas wächst.

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Erstellt:
19. September 2022, 06:00 Uhr

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