Neuer Nato-Plan
Wächst die Bundeswehr um ein Drittel?
Die Nato will aufrüsten und laut Verteidigungsminister Pistorius muss die Bundeswehr dafür um bis zu 60.000 aktive Soldaten wachsen. Ist das noch ohne Wehrpflicht zu schaffen?

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Soldaten der Bundeswehr: Die Truppe könnte nach Angaben von Verteidigungsminister Pistorius um Zehntausende Männer und Frauen aufgestockt werden.
Von Tobias Heimbach
Die Nato hat ein massives Aufrüstungsprogramm beschlossen. Auch Deutschland wird deutlich mehr beitragen müssen. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hat angekündigt, dass die Bundeswehr 60 000 aktive Soldaten mehr brauche. Nur: Wo sollen die herkommen? Das Wichtigste in Fragen und Antworten.
Was hat die Nato beschlossen?
Am Donnerstag hat sich die Nato beim Treffen der Verteidigungsminister auf neue Ziele geeinigt. Ausgehend von der Bedrohungslage – vor allem durch Russland – haben die Planer Vorgaben für die militärischen Fähigkeiten gemacht. In der Folge bekommen die einzelnen Mitgliedsstaaten vorgegeben, was sie für die Wehrhaftigkeit der Allianz beitragen sollen.
Was hat Pistorius gesagt?
Boris Pistorius leitet sein Statement nonchalant ein: „Gute Morgen meine Damen und Herren, ich hoffe, Sie haben gut geschlafen“, begrüßte er die Journalisten am Donnerstag vor Beginn des Nato-Treffens in Brüssel. Dann sagte er etwas, was zweifellos die Schläfrigkeit jedes Zuhörers hinwegfegte: „Wir gehen davon aus – das ist aber auch nur eine Daumengröße, um es klar zu sagen – dass wir rund 50 000 bis 60 000 Soldatinnen und Soldaten in den stehenden Streitkräften mehr brauchen als heute.“ Pistorius sagte, man kläre noch, wie etwa die Teilstreitkräfte ausgestattet sein müssen.
Pistorius sprach auch davon, dass man neue Großverbände bilden wolle. „Das macht man nicht nebenbei, das wird ein Kraftakt“, sagte er. Dafür kommen offenbar neue Brigaden, also Einheiten mit rund 5000 Soldaten in Frage. Die Grundvoraussetzungen dafür seien geschaffen worden, sagte Pistorius. Denn mit der Ausnahme der Verteidigungsausgaben von der Schuldenbremse kann das Budget der Bundeswehr in den kommenden Jahren quasi ohne Beschränkung wachsen.
Kann man diese Zahlen ohne Wehrpflicht überhaupt erreichen?
Seit Jahren versucht die Bundeswehr, mehr Soldatinnen und Soldaten zu gewinnen, bislang mit wenig Erfolg. Laut der 2016 eingeläuteten „Trendwende Personal“ soll die Zahl bis 2031 auf 203 000 Männer und Frauen steigen. Doch seit Jahren stagniert die Truppenstärke bei etwa 181 000, auch wenn es zuletzt mehr Bewerbungen gab. Derzeit wird ein neuer Wehrdienst vorbereitet, der allerdings nicht verpflichtend ist. Doch noch bevor die ersten Rekruten überhaupt ihren Dienst angetreten haben, stellt Pistorius das neue Format wieder in Frage. Am Donnerstag sagte er: „Gleichzeitig wird sich die Frage natürlich stellen: Reicht der neue Wehrdienst aus über die nächsten Jahre?“
Auch Patrick Sensburg, Chef des Reservistenverbandes zweifelt daran. Denn er beziffert den Bedarf der Bundeswehr sogar noch höher. „Meine Schätzung lautet: Wir brauchen etwa 300 000 Soldaten in der aktiven Truppe“, sagte er dieser Redaktion. Er betont dabei: „Es wird kaum möglich sein, diese Zahl ohne Wehrpflicht zu erreichen.“ Diese solle seiner Ansicht nach auch für Frauen gelten.
Diese würde allerdings eine Grundgesetzänderung erfordern. Um diese vorzubereiten, sollte die Bundesregierung nach Meinung von Sensburg eine landesweite Volksbefragung anstreben über die Frage, ob die Wehrpflicht auch für Frauen gelten soll. Er sagte: „Meine Überzeugung ist: Die Menschen haben die Zeichen der Zeit erkannt und werden dafür stimmen.“ Wenn sich eine Mehrheit dafür ausspräche, dann sei das ein starkes Signal an den Bundestag, dies auch per Grundgesetzänderung umzusetzen, so Sensburg.
Was spricht gegen eine Wehrpflicht?
Sara Nanni, verteidigungspolitische Sprecherin der Grünen, ist gegen einen verpflichtenden Dienst. „Jetzt eine allgemeine Wehrpflicht wieder einzuführen, wäre ein Sabotageakt gegen die Bundeswehr“, sagte sie dieser Redaktion. So viele junge Menschen auszubilden, würde zu viel Personal binden. „Unter dem Strich würde die Truppe militärisch schwächer dastehen als vorher“, betonte Nanni. Sie setzt darauf, die Bundeswehr attraktiver zu machen und auch Soldaten dazu zu ermutigen, länger Dienst zu tun. Denn ihrer Ansicht nach würde es viel zu lange dauern, die Wehrpflicht einzuführen, so die Grünen Politikerin. „Diese Zeit haben wir schlicht nicht.“