Wahldrama zweiter Teil? - Was in Thüringen passieren kann

dpa Erfurt. Der Linke Bodo Ramelow gegen den AfD-Rechtsaußen Björn Höcke - das sind die Kandidaten beim zweiten Versuch, einen Thüringer Ministerpräsidenten zu wählen. Ein Coronavirus-Verdacht, der eine Abstimmungsverschiebung nötig gemacht hätte, bestätigt sich nicht.

Abgeordnete sitzen im Plenarsaal des Thüringer Landtages. Foto: Martin Schutt/dpa-Zentralbild/dpa

Abgeordnete sitzen im Plenarsaal des Thüringer Landtages. Foto: Martin Schutt/dpa-Zentralbild/dpa

Regierungskrise, bundesweite Empörung und etliche Rücktritte: Einen Monat nach der desaströsen Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten steht Thüringen erneut vor einer Zitterpartie.

Ein neuer Anlauf, bei dem wieder die AfD mitmischt, soll am Mittwoch die Dauerregierungskrise in dem Bundesland beenden.

Geprägt wird die Entscheidung von den schwierigen Mehrheitsverhältnissen im Landtag. Die Abstimmung birgt erneut ein Risiko - vor allem für den Linke-Politiker Bodo Ramelow, der erneut kandidiert und diesmal auf den Thüringer AfD-Partei- und Fraktionschef Björn Höcke als Gegenkandidaten trifft.

Ob die Wahl wie geplant stattfinden könnte, stand zuvor auf der Kippe. Es gab Verunsicherung wegen eines Coronavirus-Verdachtsfalls. Ein Abgeordneter der CDU-Fraktion befand sich deswegen in Quarantäne. Am Dienstagabend wurde nach Tests jedoch Entwarnung vom Gesundheitsministerium gegeben. Damit könne die Wahl des Ministerpräsidenten wie geplant stattfinden, teilte Landtagspräsidentin Birgit Keller mit. Ein Überblick:

Kann sich bei der Wahl das Desaster vom 5. Februar wiederholen?

Theoretisch ja, es ist aber etwas unwahrscheinlicher geworden. Vor einem Monat wurde Kemmerich im dritten Wahlgang mit Stimmen von AfD, CDU und FDP zum Regierungschef gewählt. Diesmal wollen weder CDU noch FDP einen eigenen Kandidaten in die Wahl schicken. Damit zeichnet sich ein Duell zwischen Ramelow und dem AfD-Rechtsaußen Höcke ab. Die AfD hat als zweitstärkste Fraktion 22 Sitze im Parlament. Es gilt als kaum vorstellbar, dass CDU und FDP Höcke wählen.

Kann Höcke Ministerpräsident werden?

Ja. Denkbar wäre dies, wenn Ramelow im ersten Wahlgang scheitern und die Linksfraktion ihren Kandidaten zurückziehen würde. Laut Thüringer Landesverfassung ist in den ersten beiden Wahlgängen jeweils die absolute Mehrheit nötig - also 46 Stimmen. Ramelows Wunschbündnis aus Linke, SPD und Grünen hat zusammen nur 42 Stimmen. Kommt es zu einem dritten Wahlgang, ist nur noch die relative Mehrheit nötig. Gewählt ist laut Landesverfassung, wer die meisten Stimmen erhält. Wäre Höcke in einem solchen dritten Wahlgang alleiniger Kandidat, könnte er nur mit AfD-Stimmen zum Ministerpräsidenten gewählt werden.

Welche Chancen hat Ramelow?

Der 64-Jährige zeigt sich zuversichtlich und verweist auf viele Gespräche mit Abgeordneten in den vergangenen vier Wochen. Er habe das Gefühl, dass er „ausreichend Stimmen von den demokratischen Fraktionen bekommt“. Und: „Zwischen dem Debakel vom 5. Februar und der Situation heute liegt die Erkenntnis, was es bedeutet, keine Landesregierung zu haben.“ Zudem haben Linke, SPD und Grüne mit der CDU vor gut einer Woche einen Kompromiss geschlossen - eine Art Stabilitätsvereinbarung, die niemand von den Beteiligten als Duldung einer rot-rot-grünen Minderheitsregierung bezeichnen will. Sie soll für eine begrenzte Zeit - bis zum nun festgelegten Neuwahltermin am 25. April 2021 - projektbezogen Mehrheiten im Parlament ermöglichen.

Gibt es irgendwelche Wahlgarantien für den Linke-Politiker?

Nein, die CDU erklärt, ihre Fraktion werde Ramelow nicht wählen - die Fraktion, von einzelnen Abgeordneten ist nicht die Rede. Und es gibt Signale in Richtung Ramelow - wie die Wahl von Chefunterhändler Mario Voigt zum neuen CDU-Fraktionsvorsitzenden. Einziges Druckmittel von Linker, SPD und Grünen ist die Drohung mit einer schnellen Neuwahl im Frühsommer, sollte Ramelow erneut scheitern. Die 30 nötigen Unterschriften, um eine Auflösung des Parlaments zu beantragen, bekommen die drei Parteien locker zusammen. Um eine Neuwahl zu beschließen, ist jedoch eine Zwei-Drittel-Mehrheit nötig. Ohne die Stimmen von AfD oder CDU käme diese nicht zustande.

Wie verhält sich die FDP?

Sie will bei der Ministerpräsidentenwahl den Plenarsaal verlassen, um ihre Ablehnung sowohl von Ramelow als auch Höcke auszudrücken. „Wenn sie dokumentieren wollen, dass sie beide Kandidaten ablehnen, können sie an dem Wahlgang nicht teilnehmen“, sagte der Sprecher der Thüringer FDP-Fraktion, Thomas Philipp Reiter. Die Stimmzettel sähen keine Nein-Stimmen vor. „Eine Enthaltung ist kein Nein“, erklärte er. Es gebe einen Fraktionsbeschluss dazu.

Ramelow gegen Höcke - was könnte das bewirken?

Es könnte die Reihen der anderen Fraktionen durch die Polarisierung mehr schließen, als wenn Ramelow allein antritt, heißt es beispielsweise bei den Grünen. Es zerstört aber auch einen Plan von Linke-Chefin Susanne Hennig-Wellsow. „Wenn Bodo Ramelow im ersten Wahlgang nicht gewählt ist, werden wir die Auflösung des Parlaments und Neuwahlen beantragen“, hat sie angekündigt. Nun muss der Frontmann der Linken im schlimmsten Fall alle Runden durchhalten, wenn er Höcke nicht das Feld überlassen will. Und dann droht wieder der unberechenbare dritte Wahlgang.

Welche Szenarien werden noch diskutiert?

Dass es möglicherweise bei der Wahl im Landtag zu Unregelmäßigkeiten kommt - beispielsweise, indem das Wahlgeheimnis durch Fotos oder andere Tricksereien verletzt wird.

Die Thüringer AfD schickt ihren Landespartei- und Fraktionschef Björn Höcke in die Ministerpräsidentenwahl am 4. März in Erfurt. Foto: Martin Schutt/dpa-Zentralbild/dpa

Die Thüringer AfD schickt ihren Landespartei- und Fraktionschef Björn Höcke in die Ministerpräsidentenwahl am 4. März in Erfurt. Foto: Martin Schutt/dpa-Zentralbild/dpa

Mario Voigt, neuer CDU-Fraktionschef im Thüringer Landtag, ist zum neuen Chef der Thüringer CDU-Landtagsfraktion gewählt worden. Foto: Martin Schutt/dpa-Zentralbild/dpa

Mario Voigt, neuer CDU-Fraktionschef im Thüringer Landtag, ist zum neuen Chef der Thüringer CDU-Landtagsfraktion gewählt worden. Foto: Martin Schutt/dpa-Zentralbild/dpa

Kann sich nicht sicher sein, wirklich zum Ministerpräsidenten von Thüringen gewählt zu werden: Bodo Ramelow. Foto: Martin Schutt/dpa-Zentralbild/dpa

Kann sich nicht sicher sein, wirklich zum Ministerpräsidenten von Thüringen gewählt zu werden: Bodo Ramelow. Foto: Martin Schutt/dpa-Zentralbild/dpa

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Erstellt:
3. März 2020, 07:53 Uhr

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