Vorgezogene Parlamentswahl

Wahlüberraschung in den Niederlanden

Die sozialliberale Mitte-Partei D66 gewinnt wohl die meisten Sitze. Der Rechtspopulist Wilders zeigt sich enttäuscht über das eigene Abschneiden.

Rob Jetten, Chef der sozialliberalen Partei D66 hat nach ersten Prognosen die Wahl in den Niederlanden knapp gewonnen. Damit ist er wahrscheinlich der nächste Premier in Den Haag.

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Rob Jetten, Chef der sozialliberalen Partei D66 hat nach ersten Prognosen die Wahl in den Niederlanden knapp gewonnen. Damit ist er wahrscheinlich der nächste Premier in Den Haag.

Von Knut Krohn

Überraschung in den Niederlanden. Ersten Prognosen zufolge hat die sozialliberale Mitte-Partei D66 die vorgezogenen Parlamentswahlen gewonnen. Laut der auf Nachwahlbefragungen beruhenden Prognose des Meinungsforschungsinstituts Ipsos von Mittwochabend entfielen auf die D66 um Parteichef Rob Jetten 27 von 150 Sitze. Auf dem zweiten Platz folgt PVV von Geert Wilders mit 25 Sitzen. Für den umstrittenen Rechtspopulisten ist das eine schwere Niederlage, da er im Vergleich zur letzten Wahl 2023 weit über zehn Sitze verliert. Er räumte auch sofort ein, dass sein Ergebnis hinter den Erwartungen zurückgeblieben ist. „Der Wähler hat gesprochen“, schrieb Wilders am Abend auf X. „Wir hatten auf ein anderes Ergebnis gehofft.“ Hinter Wilders landete die rechtsliberale Partei VVD und kam demnach auf 23 Sitze, dahinter bliebt mit 20 Sitzen die linksgerichtete Groenlinks/PvdA unter Führung des ehemaligen EU-Klimakommissars Frans Timmermans.

Rob Jetten wird wohl neuer Permierminister

Der 38-jährige Rob Jetten hat damit die besten Aussichten, Regierungschef in Den Haag zu werden, denn schon vor der Wahl hatten die großen Parteien betont, keine Koalition mit dem politisch unzuverlässigen Geert Wilders bilden zu wollen. Der hatte im Sommer im Streit um neue Asyl-Gesetze seine Minister aus dem damaligen Kabinett zurückgezogen und damit die Niederlande in eine politische Krise gestürzt.

Der Name von Rob Jetten wurde im Vorfeld der Wahl zwar immer wieder genannt, doch wurde ihm allenfalls der Part als Juniorpartner in einer Koalition der Mitte zugetraut. Ihm ist es gelungen seine Partei D66 mit progressiven Themen wie Bildung, Digitalisierung und Klima vor allem für jüngere Wähler attraktiv zu machen. Motivierend wirkte offensichtlich auch sein dynamisches und optimistisches Auftreten - und auch die Aufforderung an seine Landsleute, stolz auf die Niederlande zu sein. Gleichzeitig hat Jetten geschickt die veränderte, nach rechts gerückte politische Stimmung im Land aufgegriffen und seiner sozialliberalen Partei einen konservativeren Anstrich verpasst. Deutlich hörbar war das beim Thema Migration, wo er eine deutlich härtere Gangart fordert. Auf Wahlveranstaltungen lästerte er gerne auch über „woke“ Regenbogen-Zebrastreifen.

Der enttäuschte Timmermans tritt zurück

Eine kleine Enttäuschung ist der Ausgang für den Konservativen Henri Bontenbal und den Sozialdemokraten Frans Timmermans, die sich zuletzt in allen Umfragen ein Kopf-an-Kopf-Rennen um den zweiten Platz hinter Geert Wilders geliefert hatten. Der 42-jährige Bontenbal hatte den konservativen Christdemokraten (CDA) zu einem sensationellen politischen Comeback verholfen. Bei der letzten Wahl im Jahr 2023 war die einst mächtige Partei mit blamablen 3,3 Prozent der Stimmen in die Bedeutungslosigkeit abgerutscht. Nun gewann er wohl 14 Sitze hinzu, doch für Bontenbal muss sich dieser Sieg dennoch wie eine Niederlage anfühlen. Frans Timmermans, der mit seinem Zusammenschluss von Sozialdemokraten und Grünen, wohl fünf Sitze verliert, hat unmittelbar nach Bekanntgabe der Ergebnisse die Konsequenzen gezogen. „Mit schwerem Herzen trete ich als Parteivorsitzender zurück“, sagte der 64-Jährige am Mittwochabend vor seinen Anhängern.

Jettens geschickte politische Schachzüge

Es liegt nun wahrscheinlich in den Händen von Rob Jetten, die Mitte-Rechts-Parteien zu einer stabilen Regierung zusammenzuführen – und vor allem das Vertrauen der Bürger wieder zu gewinnen. Die scheinen in den Jahren des unaufhörlichen Parteienstreits und politischen Durchwurstelns den Glauben verloren zu haben, dass die etablierten Politiker in der Lage sind, die größten Probleme des Landes zu lösen. Das erklärt auch den Aufstieg von Geert Wilders, der in seinem politischen Auftreten allein auf Konfrontation und Destruktion setzt. Er hatte mit seinem Spott über das politische Establishment und seinen apokalyptischen Aussagen etwa beim Thema Migration leichtes Spiel bei den Wählern.

Die niederländischen Wählerinnen und Wähler haben nach übereinstimmender Meinung von Analysten in jedem Fall zum überwiegenden Teil deutlich gemacht, dass sie genug haben von Chaos und Streit. Sie wollen, dass die Parteien zusammenarbeiten und drängende Probleme angehen wie Wohnungsnot, Probleme bei Asyl und Migration, hohe Kosten für Gesundheit, Schadstoffemissionen der Landwirtschaft, Klimaschutz. Und genau das hat der frühere Klimaminister Rob Jetten versprochen.

Parteien wollen rasch erste Gespräche führen

In den ersten Interviews betonten die Chefs der größten Parteien am Abend nach der Wahl, dass sie die große Verantwortung übernehmen und rasch erste Gespräch führen würden. Dazu wird ein sogenannter „Formateur“ ernannt, der im niederländischen System die Verhandlungen leitet, um die Regierungskoalition zu bilden. Einige der Parteien bekundeten im Wahlkampf ihr Bestreben, eine schnelle Regierungsbildung bis Weihnachten herbeiführen zu wollen. Die Erfahrung zeigt allerdings, dass dies eine sehr optimistische Einschätzung ist.

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Erstellt:
29. Oktober 2025, 23:26 Uhr

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