Wald im Krisenmodus

Seit etwa zwei Jahren müssen die Revierförster und ihre Mitarbeiter auch in Murrhardt mit den Schäden durch Hitze, Trockenheit und Käfer zurechtkommen. Zwar bedeuten kurzzeitige Niederschläge und Kühle eine Verschnaufpause, aber der Forst wird sich verändern.

Die Förster Dieter Seitz und Andreas Schlär (von links) hoffen, dass gemischte Bestände eine gewisse Sicherheit bieten. Wichtig ist, dass keine großen Flächen absterben.

© Jörg Fiedler

Die Förster Dieter Seitz und Andreas Schlär (von links) hoffen, dass gemischte Bestände eine gewisse Sicherheit bieten. Wichtig ist, dass keine großen Flächen absterben.

Von Christine Schick

MURRHARDT. Von diesem Wandel gehen Dieter Seitz und Andreas Schlär aus. Sie betreuen die beiden Forstreviere in Murrhardt. Ihr Alltag hat sich in den vergangenen Jahren bereits deutlich verändert. Aus einer einst planerischen Tätigkeit ist eine stark reaktive geworden. „Der ganze Jahresrhythmus ist durcheinander, seit etwa zwei Jahren sind wir eigentlich nur noch dabei, die kaputten Bäume aus den Wäldern zu holen“, sagt Dieter Seitz. Andreas Schlär nickt. „Eigentlich betreiben wir im Moment eine Katastrophenforstwirtschaft, sind von der Aufarbeitung des Trocken-, Käfer- und Sturmholzes getrieben.“ Die Veränderung des Klimas, der Anstieg der Temperaturen und anhaltende Trockenheit haben ihre Spuren hinterlassen. „Der Wald ist nicht am, sondern über dem Limit“, sagt Seitz. Ein Zurück in den Normalzustand wird es nicht mehr geben. Das wird auf einer Exkursion deutlich – im Wald in der Nähe von Spielhof, das zu Kirchenkirnberg und damit zum südlich gelegenen Revier von Andreas Schlär gehört.

Das austretende Harz an einer Tanne zeigt an, dass sie sterben wird.

Schon am Waldrand zeigt sich: Im grünen Saum tauchen immer wieder abgestorbene Bäume auf. Es hat in dieser Woche zwar geregnet und auch die Temperaturen sind nicht allzu hoch. In Bezug auf die Durststrecke der letzten Jahre sind das aber kaum mehr als homöopathische Dosen. Für einen durchschnittlichen Monat (100 Millimeter Niederschlag pro Quadratmeter) fehlen dem Juni immer noch rund 30 Millimeter. Von Weitem ist das Klopfen eines Spechts zu hören. Für ihn ist der Tisch – die Käferlarven in den Bäumen – reich gedeckt. Der Schwäbisch-Fränkische Wald ist nach den Prognosen in Form von Karten zu den einzelnen Baumarten und Gebieten ein verwundbarer und schon verwundeter, sagt Dieter Seitz. Er zeigt auf eine abgestorbene Weißtanne. „Früher dachte man eigentlich, dass die Bäume aufgrund ihrer tieferen Wurzeln besser mit der Trockenheit zurechtkommen wie beispielsweise die Fichte.“ Andreas Schlär ergänzt: „Laubbäume sind in Bezug auf die Trockenheit anpassungsfähiger, weil sie im Extremfall ihre Blätter abwerfen und im nächsten Jahr wieder austreiben können.“ Das ist insofern ein Schutz, da Nadelbäume über ihre Nadeln immer auch Wasser abgeben. „Wir haben mittlerweile keine klassische Vegetationsruhe im Winter mehr, die Bäume stehen ganzjährig im Saft, Frost gibt es kaum noch.“

Insofern ist ihre Vorhersage: Der Wald wird nicht aussterben, aber er wird sich stark verändern. Fichte und Tanne werden eine untergeordnete Rolle spielen, und stark gemischte Bestände, so die Hoffnung, eine gewisse Sicherheit bieten.

Andreas Schlär zeigt nach unten: Das Waldgebiet ist durchzogen von Wassergräben, die schachbrettartig angelegt sind und auf die frühere Zeit mit ausgiebigen Niederschlägen verweisen. Für die jetzige Ära steht vielmehr eine Tanne, die noch grün ist, an der sich aber zahlreiche weiße Punkte finden – austretendes Harz. Sie ist bereits vom Käfer befallen und „wird den Sommer nicht mehr überstehen“, wie Dieter Seitz prognostiziert. An zwei Stellen setzt er die Spitzhacke an, um die Durchfeuchtung des Bodens zu testen. An der ersten, die über einem etwas lichteren und somit regendurchlässigeren Bereich liegt, hat der Boden gut Feuchtigkeit aufnehmen können, an einer Stelle nahe eines Baums sieht das schon anders aus. Hier sind es nur einige Zentimeter, bis man auf trockene Schichten stößt. Ein weiteres Standortproblem: der für den Keuper typische tonige Boden, der zwar eine starke Wassersättigung erreichen, gleichzeitig aber auch stark austrocknen kann und dann lange benötigt, bis er wieder in der Lage ist, Feuchtigkeit zu speichern. „Die Sandschicht, die in manchen Gebieten höher ist, federt das stärker ab, schafft einen gleichmäßigeren Wasserhaushalt“, sagt Schlär. Besonders hohe Schäden zeigen sich in Südlagen und bei tonreichen Standorten. Ebenso bei Flächen, die der Sonne und Hitze durch vorhandene Schäden stark ausgesetzt sind. Beispiele finden sich am Linderst, Gaisbühl, in Fornsbach genauso wie in Kirchenkirnberg. In Festmetern bilden sich die Schäden im vergangenen Jahr für das Revier von Dieter Seitz in 17000 Festmetern und 2020 bisher in 8000 Festmetern ab. Bei Andreas Schlär waren es 2019 ungefähr 12500 Festmeter, aktuell sind es 6000 Festmeter an Holz, das aufgrund von Käfer-, Trocken- oder Sturmschäden eingeschlagen worden ist.

Zum Vergleich: Kreisweit waren es vergangenes Jahr 85000 Festmeter Schadholz, 2020 bisher 50000 Festmeter in Kommunal- und Privatwäldern. Dagmar Wulfes, Leiterin des Kreisforstamts, geht davon aus, dass sich die Zahlen 2020 ähnlich entwickeln wie im vorigen Jahr. „2018 waren wir das erste Mal damit konfrontiert, dass die Erde bis in zwei Meter Tiefe ausgetrocknet gewesen ist“, sagt sie. War die Fichte schon lange abgehängt, habe da auch die Tanne Probleme bekommen. „Das führt dazu, dass die Feinwurzeln abreißen und sich die Wurzelmasse reduziert.“ Das kann letztlich auch Laubbäume wie die Buche treffen. „Bei den Schäden liegt der Schwerpunkt im Kreis auf dem Murrtal, also Murrhardt und Sulzbach an der Murr.“ Auch der Welzheimer Wald ist nicht in dem Ausmaß betroffen, wobei für Wulfes genauso die tonigen Böden und Südlagen ausschlaggebend sind. Und wie sieht die Zukunft aus? Einerseits setzen die Förster auf einen Mix aus Naturverjüngung, Vielseitigkeit von Baumarten sowie einem gleichzeitigen Experimentieren mit hitze- und trockenresistenteren Vertretern. „Eiche und Heimbuche können Trockenheit noch besser ab“, sagt Andreas Schlär. Die Förster müssen sichergehen, dass der Wald nicht flächig abstirbt und ganze Hänge ins Rutschen geraten. Leitlinie ist eine an den Standort angepasste Bewirtschaftung mit Naturverjüngung (Bäume pflanzen sich durch ihre Samen selbst fort), aber auch gezielte Pflanzung.

Naturverjüngung, Mischwald und hitze- und trockenresistente Arten

Dagmar Wulfes ergänzt später: „Durch reine Naturverjüngung bekommen Sie keinen Baumartenwechsel hin.“ Deshalb braucht es auf Flächen, auf denen Fichte und Tanne sich nicht mehr halten können, eine Alternative – wie Esskastanie, Baumhasel, Elsbeere, Speierling und Douglasie sowie mehr Eichen. Die Kreisforstamtsleiterin geht von einem laubbaumbetonten Wald aus, „und wir werden noch stärker als schon in den letzten 30 Jahren auf einen Mischwald setzen“.

Der Gang durch den gestandenen, älteren Wald führt an die Grenze zu einem Stück eines Privatwaldbesitzers, die kaum beispielhafter dafür sein könnte. Auf dem privaten Gebiet sind viele Tannen zu sehen – eine Reihe von majestätischen Exemplaren steht in einer Fläche mit zahlreichen jungen Bäumen. Allein auf Tanne zu setzen mit einer sehr geringen Durchmischung, „stellt mittlerweile ein hohes Betriebsrisiko dar“, sagt Schlär. Auch vermutet er, dass relativ viel Holz eingeschlagen wurde. Monokulturen und industrielle Bewirtschaftung des Waldes werden sich Kommunen und private Waldbesitzer künftig auch im übertragenen Sinne nicht mehr leisten können. Letztlich sei der Wald ein Abbild der Gesellschaft, spiegle die Probleme wie übermäßiger Ressourcenverbrauch und seine Folgen, so die beiden Förster. Insofern müssten diese auch gesamtgesellschaftlich gelöst werden. Vor Ort können Seitz und Schlär nur versuchen, in den Wäldern die Weichen zu stellen und Privatwaldbesitzer ganz praktisch zu unterstützen. Der schnelle Euro – abgesehen davon, dass der Holzpreis aufgrund der Mengen, die durch die Schäden verfügbar sind, im Keller ist – jedenfalls sollte nicht das einzige Kriterium sein, so Schlär. Auch damit der Wald Rohstofflieferant bleiben kann.

Sonst eher ein Bild, das sich im Bannwald zeigt: Tote Bäume, aus denen sich der Specht die Käferlarven holt. Doch es sterben in kurzer Zeit viele Bäume, da die anhaltende Trockenheit für einen Teil des Tannenbestands nicht mehr kompensierbar ist. Fotos: J. Fiedler

© Jörg Fiedler

Sonst eher ein Bild, das sich im Bannwald zeigt: Tote Bäume, aus denen sich der Specht die Käferlarven holt. Doch es sterben in kurzer Zeit viele Bäume, da die anhaltende Trockenheit für einen Teil des Tannenbestands nicht mehr kompensierbar ist. Fotos: J. Fiedler

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Erstellt:
20. Juni 2020, 06:00 Uhr

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