Wandel dank Ideen, Gärtnern und Hühnern

Neun Jahre nach ihrer Gründung befindet sich die Solidarische Landwirtschaft Großhöchberg in einem Prozess der Umorganisation. Ziel: Klare Strukturen schaffen, in Bezug auf die Vollversorgung vorankommen und die Zusammenarbeit mit dem benachbarten Rinderbetrieb ausweiten.

Leben seit dem Herbst auf dem Gelände der Demeter-Gärtnerei und ermöglichen es der Solawi seit Neuestem, Eier anzubieten: 75 Hennen und vier Hähne, die durch Ziegen vor Mardern, Füchsen und Greifvögeln geschützt werden. Foto: A. Becher

© Alexander Becher

Leben seit dem Herbst auf dem Gelände der Demeter-Gärtnerei und ermöglichen es der Solawi seit Neuestem, Eier anzubieten: 75 Hennen und vier Hähne, die durch Ziegen vor Mardern, Füchsen und Greifvögeln geschützt werden. Foto: A. Becher

Von Nicola Scharpf

Spiegelberg. So unscheinbar wirkt die Demeter-Gärtnerei, ein Stück außerhalb von Großhöchberg gelegen: Gewächshäuser, Beete, ein paar Schuppen, eine eingezäunte Hühnerschar, allerhand landwirtschaftliches Gerät. Dabei geht es hier um viel mehr als nur die Produktion von Gemüse in Demeter-Qualität. Hier ist auch eine Haltung, eine Lebensform entstanden. Es wird solidarisch gewirtschaftet – eine Gruppe von Verbrauchern trägt die Kosten des Betriebs, die Ernte wird geteilt. Seit die Solidarische Landwirtschaft (Solawi) vor neun Jahren an den Start ging, ist sie im Wandel. Im Moment befindet sie sich mitten in der Umorganisation. Starker Motor dahinter: Florian Keimer, Inhaber und Betriebsleiter der Gärtnerei, der in der Solawi seine Berufung gefunden hat.

Mit 13 Mitgliedern hat die Solawi im März 2013 begonnen. Im Jahr 2019 hatten sich ihr bereits 83 Mitglieder angeschlossen. Dann kam Corona. „Corona hat uns zugespielt“, sagt Gärtnermeister Keimer. „Die Menschen waren zu Hause, mussten sich selbst versorgen und hatten Zeit, sich mit dem Thema Ernährung zu beschäftigen.“ Im ersten Coronajahr, 2020, verdoppelte sich die Mitgliederzahl auf 160, inzwischen sind es 210 Solawistas, die jede Woche freitags in elf Verteilräumen ihren Anteil an Gemüse und anderen Produkten aus der Gärtnerei abholen können. Bedarfsorientierte Individualverteilung nennt sich das. Ganz neu dabei: Es gibt Eier.

Im vergangenen Herbst haben 75 Hennen und vier Hähne aus der gemeinnützig geführten Ökologischen Tierzucht gGmbH das in Eigenleistung von Gärtnereimitarbeitern gebaute, grün angestrichene Hühnermobil in Großhöchberg bezogen. Inzwischen scharrt, gackert und kräht es auf der am Hang gelegenen, mit Elektrozaun umfriedeten Fläche nicht nur. Es meckert auch, denn vier Ziegen als Schutz gegen Füchse, Marder und Greifvögel haben im Hühnermobil ebenfalls ihr Zuhause. Und die Hennen haben mit dem Legen begonnen. Dass die Solawi ihren Mitgliedern nun Eier anbieten kann, ist der Ausweitung des festen Mitarbeiterstamms im vergangenen Jahr zu verdanken. Ein Herr der Hühner gehört seitdem fest zum Team – genauso wie eine Gärtnerin, eine Gärtnermeisterin, ein Werkzeugmacher und aktuell fünf Gemüsegärtnerauszubildende, die die nicht staatliche Freie Ausbildung Süd durchlaufen und im Dorf zusammen in einer Gärtner-WG leben. „So sind Kompetenzen in den Betrieb dazugekommen“, freut sich Keimer.

Zur resilienzfähigen Entwicklung gehört, nicht aufs Ehrenamt zu setzen

Für dieses Jahr plant die Solawi, Lager- und Wirtschaftsräume zu erweitern sowie einen großen Schritt bei der Bewässerung zu tun, indem der Bau eines Sammelbeckens angestoßen wird – wobei der Weg durch die behördlichen Genehmigungsverfahren und Instanzen noch nicht beschritten wurde. „Wir sind mitten im Prozess des Umorganisierens“, sagt Florian Keimer über den derzeitigen Stand der Solawi. „Wir wollen uns resilienzfähig entwickeln“, benennt er ein Ziel. Dazu gehört, Bewässerungsmöglichkeiten auszubauen, um gegen Trockenphasen gewappnet zu sein. „Es ist ein enormer Spagat, das wirtschaftlich und ökonomisch sowie zugleich nachhaltig und resilient hinzubekommen.“ Zur resilienzfähigen Entwicklung gehört auch, nicht aufs Ehrenamt zu setzen. „Die Solawi lebt zwar von der Initiative ihrer Mitglieder. Gleichzeitig ist es nicht das Ziel, sie durch Ehrenamt zu betreiben, sondern dass die Mitarbeiter davon leben können. Das Budget von gesunder Lebensmittelverfügbarkeit soll nicht durch Ehrenamt ermöglicht werden.“ Ein weiteres Ziel ist, dass sich die Solawi zum Vollversorgungsbetrieb entwickelt. Daher soll die bereits bestehende Kooperation mit dem benachbarten Demeter-Betrieb für Mutterkuhhaltung ausgeweitet werden, sodass die Solawi in Zukunft auch Fleisch oder womöglich sogar Milchprodukte anbieten kann. Manches vegan lebende Solawi-Mitglied kann dieser Idee zwar nichts abgewinnen, aber Keimer argumentiert mit dem Stichwort Hofkreislauf, der als Grundgedanke in der Demeter-Philosophie steckt. Der Hof wird als lebendiger Organismus betrachtet, in dem alle Teile unterstützend ineinandergreifen. „Man kann die Tierwelt dabei nicht wegdenken. Das Tier gehört mit in den Kreislauf. Kuhmist zum Beispiel ist unser schwarzes Gold. Wir machen daraus eigenen Kompost und haben das Ziel, eigene Pflanzerde für Jungpflanzen herzustellen.“ Ein Traum – Keimer unterscheidet deutlich zwischen Träumen und Zielen – wäre, eigenes Saatgut herzustellen oder auch ein größeres Gewächshaus zu haben oder Milchvieh zu halten. „Das Thema Melken ist eine große Hürde.“

Erklärtes Ziel dagegen ist, klarere Strukturen zu schaffen dahingehend, wie eine Woche in der Solawi aussehen soll. „Wir wollen in der Organisationsstruktur einen einfachen Alltagsweg bahnen“, so Keimer. Dahinter steht Lean Farming, ein Konzept, das aus der Autobranche für die Landwirtschaft adaptiert wurde. „Im Prinzip geht es um die Frage: Wie richte ich meine Straße am einfachsten ein?“ Ein Solawi-Mitglied ist für einen Autohersteller in diesem Bereich beruflich tätig und hilft mit, die Ideen der Solawi auf ihre Machbarkeit zu prüfen, Prozesse und Abläufe im Betrieb systematisch zu optimieren.

Bei all dem will Keimer auch das Zwischenmenschliche im Blick behalten, damit Solidarität und Achtsamkeit den Umgang miteinander prägen. „Diese Ziele motivieren einen enorm“, sagt der Familienvater. „Es macht Spaß für Menschen zu arbeiten, die das wertschätzen.“ Damit sie es wertschätzen können, ist Transparenz wichtig. So entsteht bei den Mitgliedern Vertrauen. „Dann geht es ins Miteinander. Das ist die Basis. Wenn die Mitglieder wissen, wofür sie zahlen, zahlen sie von Herzen gerne.“

Termine, Abläufe und Angebote in der Demeter-Gärtnerei

Termine Am Samstag, 19. Februar, findet die Mitgliederversammlung der Solidarischen Landwirtschaft statt – wegen der Coronamaßnahmen online. Deshalb bietet die Solawi Großhöchberg zur Vorbereitung für Interessierte einen Informationsabend an, der ebenfalls online am Donnerstag, 27. Januar, um 19.30 Uhr stattfindet. Außerdem wird unter Berücksichtigung der aktuell gültigen Coronabestimmungen eine Begehung der Gärtnerei am Sonntag, 6. Februar, um 14 Uhr angeboten. Treffpunkt ist der Parkplatz am Friedhof in Großhöchberg. Für die Veranstaltungen ist eine Anmeldung nötig per E-Mail an solawi@grosshoechberg.de oder unter 07194/9535005. Zusätzliche Infos gibts unter www.grosshoechberg.de.

Ablauf Per E-Mail erfahren die Mitglieder der Solawi immer montags, was verteilt werden soll und welche Zusatzprodukte angeboten werden. Am Dienstag kommt der Rücklauf der Mitglieder. Mittwoch und Donnerstag wird bedarfsgerecht geerntet und die Individualverteilung wird vorbereitet. Am Freitag haben die elf Verteilräume in Großhöchberg, Oppenweiler, Murrhardt, Schorndorf, Winnenden, Waiblingen, Engelberg, Ludwigsburg, Benningen, Wackershofen und Schwäbisch Hall geöffnet. „Verteilräume entstehen dort, wo die Menschen Interesse haben“, sagt Florian Keimer. „Wir würden sehr gerne auch in Backnang einen Verteilraum eröffnen.“

Finanzierung Die Mitglieder bezahlen jeden Monat einen bestimmten Betrag und bekommen dafür jede Woche einen Anteil an der Ernte. An einem monatlichen Richtwert, der aktuell bei 107 Euro liegt, können sich die Mitglieder orientieren und entsprechend ihren finanziellen Möglichkeiten einen Betrag für die bei der Mitgliederversammlung stattfindende Bieterrunde abgeben. Wer mehr hat, gibt mehr, wer weniger hat, gibt, was er kann. Kommt der notwendige Betrag zusammen, kann das neue Wirtschaftsjahr beginnen. Ansonsten gibts eine weitere Bieterrunde.

Spielgruppe Es gibt Bestrebungen, auf dem Gelände der Demeter-Gärtnerei einen Hofkindergarten zu etablieren. Derzeit treffen sich die Beteiligten der Gründungsinitiative weiterhin in Form einer privat organisierten Spielgruppe. Es ist auch geplant, Jahresfeste für Kinder sowie jahreszeitlich angepasste, handfeste und naturnahe Projekte an Wochenenden anzubieten.

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Erstellt:
25. Januar 2022, 06:00 Uhr

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