Nahostkonflikt
Warten auf Hilfe in Gaza - Erschöpft von Hunger und Angst
Jede Familie soll alle fünf Tage ein Hilfspaket in einem Verteilzentrum im Gazastreifen abholen. Der Weg dorthin ist oft mühsam und gefährlich.

© Abdel Kareem Hana/AP/dpa/Abdel Kareem Hana
Palästinenser tragen in Rafah im südlichen Gazastreifen Kisten mit Lebensmitteln, die von der Gaza Humanitarian Foundation, einer von den USA unterstützten und von Israel anerkannten Organisation, geliefert wurden.
Von alp/dpa
Im Gazastreifen ist ein neues System zur Verteilung humanitärer Hilfe angelaufen. In dem Verteilungszentrum der Gaza Humanitarian Foundation (GHF) in Rafah im Süden des Küstenstreifens drängen sich Hunderte von Menschen. Sie haben leere Taschen und Plastikbehälter mitgebracht. Viele von ihnen mussten mehrere Stunden lang zu Fuß durch Kriegsgebiet laufen, um das Zentrum zu erreichen. Doch sie sind bereit, das Risiko auf sich zu nehmen, um Lebensmittel für sich und ihre Familien zu sichern.
Langer Fußmarsch auf der Suche nach Lebensmitteln
Der 36-jährige Ahmed Baschir ist mehr als zwölf Kilometer weit gelaufen, um das Zentrum zu erreichen. „Meine Füße und mein Rücken tun weh“, sagt er. Ein Paket mit Lebensmittel für seine Kinder sei jedoch für ihn ein „Sieg“, erklärt der Vater. „Alles, was ihren Hunger für ein paar Tage dämpfen kann.“ Das Paket enthält Mehl, Reis, Nudeln, Zucker, Salz und Tee. Damit könne man etwa eine Woche lang auskommen, sagt Baschir. „Jeden Morgen wache ich auf und frage mich, ob ich meine Kinder heute ernähren kann.“ Gleichzeitig habe er das Gefühl, durch die Hilfslieferungen manipuliert zu werden. „Sie wollen, dass wir vergessen, woher wir kommen“, sagt der Binnenvertriebene, der mit seinen Kindern in der humanitären Zone Al-Mawasi lebt.
Dschalal Hamatu, ein Vater von drei Kindern, sagt in bitterem Ton: „Die Welt diskutiert über unsere Existenz, während wir hungern. Aber wir brauchen keine Ansprachen. Wir brauchen Brot.“
Während der Verteilung der Lebensmittel in dem neuen Zentrum in Rafah kommt es zeitweise zu chaotischen Szenen. Zahlreiche Palästinenser stürmen nach vorn, Mitarbeiter der US-Firma ziehen sich angesichts des Ansturms zurück, Wachleute feuern Warnschüsse in die Luft. Kurz darauf sei jedoch die normale Arbeit wieder aufgenommen worden, teilt die Gaza-Stiftung mit.
Israel stoppte im März die Hilfslieferungen
Israel blockierte im März sämtliche Hilfslieferungen nach Gaza und beendete kurz darauf auch die Waffenruhe mit der Hamas. Damit sollte der Druck auf die Hamas erhöht werden, die letzten Geiseln freizulassen.
Nach israelischen Angaben werden derzeit noch mindestens 20 Geiseln im Gazastreifen festgehalten, die am Leben sind. Sie befinden sich seit fast 600 Tagen in der Gewalt der Hamas oder anderer Terrorgruppen. Bei drei weiteren Entführten ist unklar, ob sie noch leben. Zudem befinden sich die Leichen von 35 Verschleppten dort.
Auslöser des Gaza-Kriegs war das schlimmste Massaker in der Geschichte Israels, das die Hamas und andere Terrorgruppen am 7. Oktober 2023 verübt hatten.
Umstrittenes Verteilungssystem gestartet
Der umstrittene Hilfsmechanismus sieht laut der zuständigen, vor wenigen Monaten neu gegründeten GHF vor, dass ein Vertreter jeder palästinensischen Familie alle fünf Tage zu einem Verteilungszentrum geht, um dort ein Hilfspaket abzuholen. Bisher seien rund 8.000 Lebensmittelpakete verteilt worden, teilte die Organisation mit. Jedes Paket könne 5,5 Menschen für 3,5 Tage ernähren. Insgesamt seien es 462.000 Mahlzeiten.
Nach ersten Angaben können in den ersten Wochen nur sechs von zehn Bewohnern des Küstenstreifens mit dem neuen Mechanismus versorgt werden. Der Gazastreifen ist flächenmäßig kleiner als das kleinste deutsche Bundesland Bremen. Dort leben rund zwei Millionen Palästinenser.
Manche Anwohner sind misstrauisch
Einige Menschen im Gazastreifen äußern Skepsis und Misstrauen gegenüber dem neuen System. „Wir wissen nicht, wer dahintersteckt“, sagt etwa Ibrahim Abdul Dschawad, der in der Stadt Gaza im Norden des Gebiets wohnt. Die Menschen, glaubt er, hätten Angst, dass die Betreiber mit der israelischen Armee zusammenarbeiten und es in den Verteilungszentren Festnahmen oder Druck geben könnte, israelischen Geheimdiensten zu helfen.
Das von der Hamas kontrollierte Innenministerium rief die Einwohner auf, den neuen Verteilmechanismus zu boykottieren. Die Terrororganisation behauptet, das neue System sei Teil einer nachrichtendienstlichen Operation zur Informationsbeschaffung.
„Wir wollen keine Hilfe durch unbekannte Gruppen“, sagt Abu Chalid, ein älterer Mann, der eigentlich aus Beit Lahia im Norden des Gebiets kommt. Er war während des Kriegs nach Nuseirat, das im Zentrum des Gazastreifens liegt, geflüchtet. Auch er teilt die Sorge über mögliche Festnahmen in den neuen Verteilungsstellen. „Wir vertrauen dem UNRWA, weil es seit Jahrzehnten hier ist“, sagt der Palästinenser, der früher Bauer war.
Für das UN-Palästinenserhilfswerk (UNRWA) arbeiten rund 13.000 Menschen im Gazastreifen. Israel wirft der Organisation vor, von der Hamas unterwandert zu sein.
UN halten den neuen Hilfsmechanismus für gefährlich
Mit den zunächst vier Verteilungsstellen im Süden und im Zentrum des Gazastreifens will Israel die UN und andere internationale Hilfsorganisationen umgehen. Israel will eigenen Angaben zufolge auch verhindern, dass die Hamas Lieferungen stiehlt und Geld damit verdient. UN-Vertreter kritisieren jedoch, dass Israel bislang keine Beweise dafür vorgelegt hat, dass die Hamas Hilfsgüter abzweigt.
Die Vereinten Nationen halten den neuen Hilfsmechanismus für wenig effektiv und zu gefährlich. Viele Menschen müssten weite und teils unsichere Wege zurücklegen – durch aktive Kampfgebiete. Für Ältere und Kranke sei dies kaum zu bewältigen.
Auch die Krankenschwester Ibtisam Abu Salem aus dem Zentrum des Küstenstreifens kritisiert den neuen Mechanismus: „Die Hilfe sollte von den Vereinten Nationen koordiniert werden, nicht von einer unbekannten Stiftung.“ Zudem würden bei jeder neuen Evakuierungsaufforderung der israelischen Armee Hilfen erneut unterbrochen.
Viele Menschen berichten, sie seien erschöpft - nicht nur von der Angst vor Angriffen, sondern auch von den Fluchtaufforderungen des Militärs. Israels Armee hatte erst am Montag vor einer geplanten Offensive die Bewohner der meisten Orte im südlichen Gazastreifens dazu aufgerufen, diese zu verlassen.