Journalist in Gaza

Warum der Tod von Anas al-Sharif Fragen zum Schutz von Journalisten aufwirft

Anas al-Sharif wird bei einem Luftangriff in Gaza getötet. Sein Tod entfacht eine Diskussion über den Umgang mit Journalisten und der Pressefreiheit in diesem Gebiet.

Der Journalist Anas al-Sharif wurde bei einem Angriff der IDF getötet (Archivfoto).

© AFP

Der Journalist Anas al-Sharif wurde bei einem Angriff der IDF getötet (Archivfoto).

Von Gülay Alparslan

„Wenn meine Worte euch erreichen, dann hat Israel es geschafft, mich zu töten und meine Stimme zum Schweigen zu bringen“ – das sind die letzten Worte von Anas al-Sharif. Der 28-jährige Journalist und Vater zweier Kinder wurde am 10. August zusammen mit fünf weiteren Journalisten gezielt von der israelischen Armee getötet. Es war ein Luftangriff auf ein Pressezelt in Gaza-Stadt. Mit Anas al-Sharif starb einer der prominentesten Reporter, die noch aus dem Norden des Gazastreifens berichteten.

Die israelische Armee bestätigte die Tötung al-Sharifs auf ihrem X-Account und erklärte, er habe eine „Terrorzelle der Hamas“ geleitet. Beweise dafür legte sie nicht vor. Israels Armeesprecher Avichai Adraee veröffentlichte bereits vor al-Sharifs Tod wiederholt Beiträge, in denen der Reporter unter anderem als „Sprachrohr intellektuellen Terrors“ bezeichnet wurde.

Internationale Organisationen wie das Komitee zum Schutz von Journalisten (CPJ) und die UN-Sonderberichterstatterin Irene Khan hatten frühzeitig vor der drohenden Ermordung al-Sharifs gewarnt. Khan bezeichnete die israelischen Vorwürfe als „unbegründete Anschuldigungen“ und sprach von einer gezielten Strategie, die darauf abziele, „die Wahrheit zu unterdrücken“.

„Es geht um die Deutungshoheit im Krieg“

Dass Journalisten wie al-Sharif gezielt getötet werden, sei kein Zufall, sondern Ausdruck einer systematischen Logik, so der Politikwissenschaftler und Friedensforscher Prof. Dr. Werner Ruf. Der 86-Jährige war viele Jahre Professor für Internationale Politik an der Universität Kassel, arbeitete als EU-Berater und beschäftigt sich seit Jahrzehnten intensiv mit der Nahostpolitik. Im Gespräch mit unserer Redaktion verweist er auf eine zentrale Leerstelle im medialen Diskurs: „Die Menschen in Gaza wurden bisher nicht als Subjekte wahrgenommen. Sie sind entweder Tote oder Terroristen – nie glaubwürdige Akteure.“ Das betreffe insbesondere auch Journalistinnen und Journalisten.

Es sei kein Zufall, dass ausgerechnet die Stimmen, die über das Leid vor Ort berichten, als Erstes zum Schweigen gebracht würden und man anschließend ohne Beweise behaupte, sie seien Terroristen, so Ruf, „da geht es nicht um Tatsachen, sondern um die Deutungshoheit im Krieg“.

Dass Israel keine ausländischen Journalistinnen und Journalisten in den Gazastreifen lässt, ist laut Ruf Teil einer gezielten Strategie: „Wenn unabhängige Beobachter nicht zugelassen werden, bleibt einzig Al Jazeera übrig. Israel lässt keine Kontrollinstanz zu und streut dann Zweifel an der einzig verbleibenden Quelle“, erklärt Ruf und stellt mit Blick auf die ausgesperrten internationalen Medienvertreter die Frage: „Es sind doch alles Freunde, oder? Kann man denen etwa allen nicht trauen?”

Israel halte „Informationsmonopol“ aufrecht

Ruf sieht darin ein „Informationsmonopol“, das Israel gezielt aufrechterhalte, um unabhängige Berichterstattung zu unterbinden. Für ihn steht fest: „Es kann keinen anderen Grund geben, Journalisten aus Gaza auszusperren, als dass man nicht will, dass berichtet wird, was dort passiert.“

In deutschen Medienhäusern wie der ARD oder Bild-Zeitung werde die israelische Perspektive oft nahezu widerspruchslos übernommen – ein strukturelles Problem, so Ruf: „Dass die Behauptungen der israelischen Armee regelmäßig ungeprüft übernommen werden, während palästinensische Stimmen entweder nicht zu Wort kommen oder als Hamas-nah diskreditiert werden, ist eine gefährliche Schieflage.“ Diese einseitige Darstellung trage dazu bei, dass israelisches Handeln kaum hinterfragt werde – obwohl die Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) als Kriegspartei agierten. Die gezielte Tötung von Journalistinnen und Journalisten stelle zudem einen klaren Verstoß gegen internationales Recht dar. Die Genfer Konventionen verpflichten Kriegsparteien zum Schutz von Medienschaffenden in Konfliktzonen.

Hinzu komme eine koloniale Denkweise, die sich auch in der deutschen Medienlandschaft widerspiegele. Ruf verweist auf ein tief verankertes Narrativ, demzufolge Israel ein „Bollwerk des Westens gegen die Barbarei“ sei. Diese Vorstellung von Israel als Vorposten der Zivilisation gegen eine vermeintlich rückständige arabische Welt prägt laut dem Experten bis heute westliche Wahrnehmungen des Konflikts.

Festhalten an Menschenrechten eine Form der Solidarität

„Die Gleichsetzung von Israel mit dem Judentum verstellt den Blick für eine nüchterne Analyse“, so Ruf. Wer die israelische Regierung kritisiert, werde schnell in die Nähe des Antisemitismus gerückt. Dabei sei gerade das Festhalten an Menschenrechten und Pressefreiheit eine Form der Solidarität mit den Werten, die nach Auschwitz hätten gelten sollen. „Indem wir Israel und das Judentum gleichsetzen, laufen wir Gefahr, echte Antisemitismus-Kritik zu entwerten und gleichzeitig die Menschenrechte der Palästinenser zu relativieren.“

Ruf fordert ein Umdenken im Journalismus. Deutsche Medien sollten mit lokalen palästinensischen Reporterinnen und Reportern in Gaza zusammenarbeiten. Ihre Stimmen müssten als gleichwertig anerkannt werden – als notwendige Perspektiven. „Man darf nicht vergessen: Das sind Kolleginnen und Kollegen. Wir machen uns mitschuldig, wenn wir ihre Stimmen zum Schweigen bringen, indem wir ihre Glaubwürdigkeit anzweifeln und untergraben.“

⚠️To Whom It May Concern,The occupation is now openly threatening a full-scale invasion of Gaza.For 22 months, the city has been bleeding under relentless bombardment from land, sea, and air.Tens of thousands have been killed, and hundreds of thousands wounded.If this… — أنس الشريف Anas Al-Sharif (@AnasAlSharif0) August 10, 2025

Eine dieser Stimmen, die endgültig verstummt ist, war die von Anas al-Sharif. Er wusste, dass seine Berichterstattung ihn zur Zielscheibe machte – und berichtete dennoch weiter über das Leid in Gaza. In seinem letzten Beitrag auf X schrieb er: „Wenn dieser Wahnsinn nicht endet, wird Gaza in Trümmern liegen. Die Stimmen seines Volkes werden verstummen, ihre Gesichter werden ausgelöscht sein – und die Geschichte wird euch als stille Zeugen eines Genozids erinnern, den ihr nicht aufzuhalten versucht habt.“

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Erstellt:
15. August 2025, 13:08 Uhr
Aktualisiert:
15. August 2025, 13:33 Uhr

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