Abhilfe bei Atemnot

Warum uns tiefe Seufzer so guttun

Was haben Seufzer, die Entwicklung von Frühchen und Atemnot bei Erwachsenen miteinander zu tun? Forscher aus Zürich haben interessante Fakten rund um die Lungengesundheit herausgefunden.

Forscher haben eine physikalische Erklärung für das befreiende Gefühl in der Brust gefunden, das sich nach einem tiefen Seufzer oft einstellt.

© Imago/Steinach

Forscher haben eine physikalische Erklärung für das befreiende Gefühl in der Brust gefunden, das sich nach einem tiefen Seufzer oft einstellt.

Von Markus Brauer

Die Lunge dehnt sich beim Einatmen aus, beim Ausatmen zieht sie sich zusammen. Bei dieser Bewegung leistet das Gewebe und seine Oberfläche einen Widerstand. Die Flüssigkeit auf der Lungenoberfläche verringert diesen Widerstand – insbesondere nach tiefen Atemzügen.

Durch das ausgeprägte Dehnen und Stauchen der Lungenflüssigkeit ordnen sich deren Komponenten in idealer Weise an: Unter einer steifen Grenzschicht liegen weichere Schichten, was einen leichter atmen lässt.

Atemnot-Syndrom bei Frühchen

Mehr als die Hälfte aller Frühchen, die vor der 28. Schwangerschaftswoche zur Welt kommen, entwickeln kurz nach der Geburt ein Atemnot-Syndrom. Ihre Lungen sind noch nicht ausgereift.

Deshalb produzieren sie zu wenig von der magisch anmutenden Flüssigkeit, welche die Oberflächenspannung in der Lunge reduziert. In der Folge fallen einige Lungenbläschen in sich zusammen und die Lunge bekommt nicht genug Sauerstoff.

Lunge wird verformbarer

Bis vor 40 Jahren bedeutete das meist der Tod. Doch dann entwickelten gegen Ende der 1980er-Jahre Kinderärzte ein lebensrettendes Verfahren: Sie extrahierten die Flüssigkeit aus Tierlungen und spritzten sie in die Lunge der Frühchen ein.

„Bei Neugeborenen funktioniert das sehr gut“, sagt Jan Vermant, Professor für weiche Materialien an der ETH Zürich. „Die Flüssigkeit benetzt die ganze Oberfläche, die Lunge wird dadurch verformbarer – oder um es mit einem technischen Ausdruck zu sagen – nachgiebiger.“

Wenn bei Erwachsenen die Lungen versagen

Doch auch bei Erwachsenen können die Lungen versagen. So entwickelten während der Corona-Pandemie rund 3000 Personen in der Schweiz ein akutes Atemnotsyndrom. Erwachsenen hilft es allerdings nicht, wenn man oberflächenaktive Flüssigkeit aus Tierlungen in ihre Lunge spritzt.

„Das zeigt, dass es nicht nur um eine Verringerung der Oberflächenspannung geht“, erklärt Vermant. „Wir denken, dass auch mechanische Spannungen in der Flüssigkeit eine wichtige Rolle spielen.“

Seine Forschungsgruppe hat in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern aus Spanien, Belgien und den USA mit ausgeklügelten Messverfahren untersucht, wie sich die Lungenflüssigkeit verhält, wenn sie im Labor aufgespannt und wieder verdichtet wird.

Vergleichbaren Bewegungen ist die Flüssigkeit auch in unseren Körpern unterworfen, wenn sich die Lunge beim Einatmen ausdehnt und beim Ausatmen wieder zusammenzieht. Die Forscher haben ihre Ergebnisse in der Fachzeitschrift „Science Advances“ veröffentlicht.

Erklärung für das befreiende Gefühl in der Brust

In ihren Versuchen haben die Forschenden die Bewegungen von normalen und von besonders tiefen Atemzügen simuliert – und dabei jeweils die Oberflächenspannung der Flüssigkeit gemessen.

„Diese Spannung beeinflusst, wie nachgiebig die Lunge ist“, erklärt Vermant. Dabei gilt: Je nachgiebiger die Lunge, desto weniger Widerstand beim Ein- und Ausdehnen und desto einfacher das Atmen.

Mit ihren Messgeräten stellten die Forscher fest, dass die Oberflächenspannung nach tiefen Atemzügen deutlich abnimmt. Offenbar gibt es eine physikalische Erklärung für das befreiende Gefühl in der Brust, das sich nach einem tiefen Seufzer oft einstellt. Die Erklärung gründet auf der Tatsache, dass der dünne Film, den die Lungenflüssigkeit auf der Lungenoberfläche bildet, aus mehreren Schichten besteht.

„Direkt an der Grenze zur Luft gibt es eine etwas steifere Oberflächenschicht, darunter liegen mehrere Schichten, die im Vergleich zur Schicht an der Oberfläche weicher und zarter sein sollten“, erläutert Maria Novaes-Silva, Erstautorin der Studie.

Wie sie experimentell nachgewiesen hat, kehrt diese Schichtung mit der Zeit in einen Gleichgewichtszustand zurück, wenn sich die Flüssigkeit gar nicht oder bei einer flachen Atmung nur wenig bewegt.

Mehrschichtige Strukturen rekonstruieren

Es braucht ab und zu einen tiefen Atemzug, um diese ideale Schichtung wiederherzustellen. Mit ihren Analysen haben die Forschenden aufgedeckt, dass das ausgeprägte Strecken und Stauchen der Lungenflüssigkeit dazu führt, dass sich die Zusammensetzung der äusseren Schicht verändert.

„Es reichern sich gesättigte Lipide an, dadurch wird die Grenzfläche dichter bepackt“, konstatiert Novaes-Silva. Und Vermant ergänzt: „Das ist ein Zustand ausserhalb des thermodynamischen Gleichgewichts, der nur mit mechanischer Arbeit aufrechterhalten werden kann.“

Auch aus der klinischen Praxis ist bekannt, dass sich der Lungenwiderstand mit der Zeit allmählich verändert und dass das Atmen bei konstant flacher Atmung immer schwerer fällt. Die Messungen im Labor scheinen also Beobachtungen aus der Klinik zu wiederspiegeln. Daraus schliesst Novaes-Silva: „Diese Übereinstimmungen sind Hinweise, dass wir in unserem Versuchsaufbau reale Eigenschaften erfasst haben.“

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Erstellt:
16. Oktober 2025, 12:36 Uhr

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