Was heißt noch mal Wanderfeldbau auf Englisch?

Für die Siebtklässler des bilingualen Zugs am Heinrich-von-Zügel-Gymnasium Murrhardt hat im Herbst der englischsprachige Unterricht in Geografie begonnen. Die Schüler sollen ins Sprechen kommen, müssen zudem Fachbegriffe lernen und die Zusammenhänge erfassen.

Erdkugel und Bildeindrücke aus aller Welt über den Köpfen: Die Schüler des bilingualen Zugs haben sich im Geografiesaal in einen englischen Text über die Ureinwohner des Amazonasgebiets vertieft und erarbeiten sich die zentralen Aspekte. Ihr Lehrer Marc di Maina macht immer mal wieder die Runde, um etwas zu erklären und zu schauen, wo noch Fragen sind. Foto : J. Fiedler

© Jörg Fiedler

Erdkugel und Bildeindrücke aus aller Welt über den Köpfen: Die Schüler des bilingualen Zugs haben sich im Geografiesaal in einen englischen Text über die Ureinwohner des Amazonasgebiets vertieft und erarbeiten sich die zentralen Aspekte. Ihr Lehrer Marc di Maina macht immer mal wieder die Runde, um etwas zu erklären und zu schauen, wo noch Fragen sind. Foto : J. Fiedler

Von Christine Schick

MURRHARDT. Für zwölf Mädchen und zehn Jungs aus den Klassen 7a und b startet die zweite Stunde Geografieunterricht mit einer Luftaufnahme der Nasa. Ihr Lehrer Marc di Maina bittet sie, einfach mal zu beschreiben, was sie darauf erkennen können. Ganz selbstverständlich wird auf Englisch zusammengetragen. Das Bild ist in großer Entfernung entstanden, links zeichnet sich Rauch ab, außerdem ist Wald und eine Art Linie, vielleicht eine Straße, auszumachen. Die zweite Aufnahme strotzt nur so vor Grün, an einigen Stellen der Vegetation sind noch Spuren eines Feuers zu sehen. Marc di Maina schlägt vor, anhand dieser Ausgangslage ein paar Fragen zu sammeln. Für das „Wo befinden wir uns?“, „Was ist hier passiert?“, „Wer hat das getan?“ und „Warum?“ hat er ein paar Dinge in der Hinterhand. Er schlägt den Bogen zu Alyssa, die die Schüler schon als junge Reisende kennengelernt haben, und den Yanomami, die größte indigene Volksgruppe im Amazonasgebiet.

Um diese Ureinwohner wird sich die Stunde drehen und Marc di Maina verteilt Arbeitsblätter, mit denen es nun fachlich zur Sache geht. Die Schüler erarbeiten sich in Zweiergruppen Eckpunkte zur Lebensweise der Yanomami. Die Aufgaben von Männern und Frauen sind genauso Thema wie der Wanderfeldbau, über den die Ureinwohner sich einzelne Flächen im venezolanisch-brasilianischen Grenzgebiet in einem Rhythmus von drei bis vier Jahren urbar machen und durch den aus dem Urwald später wieder ein niedrigerer Sekundärwald entsteht. Puh! Was heißt Wanderfeldbau noch mal auf Englisch? Shifting cultivation, ach ja, genau.

Damit die Schüler mit den Fachbegriffen klarkommen, sind die auf den Arbeitsblättern mit beschreibenden Texten aufgeschlüsselt und als „nützliche Vokabeln“ aufgelistet. Nach weiterer Textarbeit und einer Umsetzung auf zusätzlich visueller Ebene – sie zeichnen – schauen die Siebtklässler noch einen Kurzfilm, der alles im Comicstil zusammenfasst und von den Schülern beschrieben wird.

Wieso haben sich die Jugendlichen für den bilingualen Zug entschieden? „Ich wollte besser in Englisch werden“, sagt Maxim. Sein Sitznachbar Rayan sieht das ganz ähnlich: „Das hilft einem bei Englisch, und es macht noch mehr Spaß.“ Bei Lilly gehört die Sprache sogar schon fast von Anbeginn an mit dazu, sie erzählt, dass ihre Mutter auch Englisch mit ihr spreche, seit sie zwei Jahre alt ist, weil das ihr beruflicher Hintergrund sei, sie Englisch im Einzelunterricht gebe. Da Lilly die Schule gewechselt hat, Geografie zuvor auf Deutsch hatte, kann sie auch vergleichen und findet wie Rayan, dass das Fach dadurch mehr Freude macht. Emmi und Maya sind sich einig, dass sie darüber hinaus die Chance nutzen wollten, mit dem bilingualen Zug und einem Fachunterricht auf Englisch etwas Neues auszuprobieren.

Steile Lernkurve: Verstehen, Fachbegriffe lernen und Zusammenhänge erfassen.

„Das ist schon eine steile Lernkurve“, sagt Marc di Maina. Zum Unterricht auf Englisch kommen ja auch noch die verschiedenen Spezialbegriffe und fachlichen Zusammenhänge, die die Schüler erfassen müssen.

Die allermeisten Jugendlichen der 7a und b, die nun im Herbst als Erste am Heinrich-von-Zügel-Gymnasium in den englischsprachigen Erdkundeunterricht starten, hatten eine Vorbereitungsphase. Ein Schuljahr zuvor standen für sie als Sechstklässler zusätzliche Englischstunden auf dem Plan und sie haben schon methodisch geübt, um beispielsweise entscheiden zu können, wann es sinnvoll ist, zum Lexikon zu greifen, und gut ins Sprechen hineinzukommen. „Dazu gehört, dass sie lernen, Bilder, Grafiken oder auch mal Diagramme zu beschreiben“, erläutert Leonie Korthals, die den bilingualen Zug in der Entwicklung mitbegleitet hat. Dass die Schüler konsequent im Englischen bleiben und nicht ins Deutsche umschwenken, ist zwar Sinn und Zweck, aber nicht selbstverständlich. „Ich denke, es hilft, dass das reine Englischsprechen ja nicht bewertet wird, und sie deshalb freier reden und da besser reinkommen“, sagt sie. Trotz allem heißt das Mehrarbeit – für Schüler und Lehrer. Der bilinguale Zug umfasst eine Stunde Geografieunterricht zusätzlich, um sich das Fachliche in beiden Sprachen erarbeiten zu können.

Dazu zählen auch Wiederholungsphasen, erläutert Marc di Maina. Nicht immer lasse sich genau vorhersehen, wie viel sprachliche Hilfestellung die Schüler brauchen, und insofern sei die Vorbereitung noch relativ intensiv. Hinzu kommt, dass es kein Standardwerk gibt, das exakt auf den aktuellen Lehrplan zugeschnitten ist, und sich der Pädagoge die passenden Materialien jeweils selbst zusammenstellt. In seinem Referendariat hat Marc di Maina, der im Studium zudem in Australien war, sich für bilingualen Unterricht weitergebildet und wie seine Kollegin Leonie Korthals auch schon Erfahrung mit bilingualen Inseln, also der Behandlung eines Themas auf Englisch, wenn es sich anbietet. „Das hat aber eher Projektcharakter.“ Er ist gespannt, wie sich die Schüler nun über ein ganzes Jahr Fachunterricht entwickeln. Bei einer ersten Evaluation hätten ihm die Siebtklässler aber zurückgemeldet, dass sie gut mitkommen und die Sprache nicht zu schwierig ist. Eine erste Klassenarbeit steht im Januar an, wobei sich die Gesamtnote klassisch aus mündlichen und schriftlichen Leistungen zusammensetzt.

Leonie Korthals beobachtet die Entwicklung nicht nur als Englisch- und Deutschlehrerin gespannt, sondern steht quasi bald in den Startlöchern. Im kommenden Schuljahr wird der Stab an sie weitergegeben, wenn die Achtklässler des bilingualen Zugs dann Geschichte bei ihr in Englisch lernen. „Schade, dass die amerikanische Revolution als Thema schon in der Siebten gelaufen ist.“ Wenn die Weimarer Republik auf dem Stundenplan steht, müssen die Schüler vermutlich noch flexibler mit den beiden Sprachen umgehen. Originaltexte in Deutsch wechseln sich aller Wahrscheinlichkeit dann mit den damaligen Reaktionen aus Zeitungen der englischsprachigen Länder ab, so der Plan der Lehrerin. Dieser Wechsel zwischen Englisch und Deutsch ist fordernd und wichtig zugleich, da die Schüler später in ihrem Fach ja auch wieder mit den muttersprachlichen Begriffen klarkommen müssen, wenn sie in Erdkunde in der 8.Klasse an den muttersprachlichen Unterricht anknüpfen.

Fremdsprache plus Fachunterricht und all das mit Maske und den Erschwernissen von Coronaschutzmaßnahmen, wie funktioniert das? „Wir sind jetzt methodisch schon eingeschränkt“, sagt Marc di Maina. Eigentlich wünscht er sich noch einiges mehr an Abwechslung und Bewegung im Unterricht, beispielsweise mit Bilderecken verteilt über den Raum oder verschiedenen Formen von Gruppenarbeit. Aber gerade das soll zurzeit ja auf ein notwendiges Minimum reduziert werden. „Wir unterrichten im Moment schon mit angezogener Handbremse“, sagt Leonie Korthals. Von ihren Englischstunden weiß sie, wie konzentriert man sein muss, um sich gegenseitig gut mit Maske zu verstehen, andererseits findet sie es wichtig, sich gegenseitig zu schützen. Vom bilingualen Unterricht ist sie überzeugt und freut sich über so manches Gespräch der Schüler, das sie aufschnappt. Die Beurteilung falle bisher sehr gut aus, bis zur Aufforderung an Mitschüler – „komm auch in den Bili“.

Vier Jahre, vier Fächer

Der bilinguale Zug am Heinrich-von-Zügel-Gymnasium ist im Herbst 2019 mit einem Vorkurs gestartet, bei dem sich die Sechstklässler mit zwei zusätzlichen Wochenstunden in Englisch vorbereitet haben. Danach konnten sie sich endgültig entscheiden, ob sie künftig den Unterricht in ausgewählten Fächern in Englisch besuchen möchten.

Für die Siebtklässler hat in diesem Jahr nun der Erdkundeunterricht auf Englisch begonnen, wobei sie eine Stunde zusätzlich haben. In der 8. Klasse ist Geschichte, in der 9. Klasse Biologie und in der 10. Klasse Biologie oder Chemie an der Reihe. Zum bilingualen Lehrerteam gehören Marc di Maina (Erdkunde), Leonie Korthals (Geschichte), Marco Wortmann (Biologie), Philipp Heidemann (Chemie) und Yvonne Kühn (Geschichte). Die Schüler erhalten ein Zertifikat, dass sie den bilingualen Zug besucht haben, für die Klassen 11 und 12 ist kein zusätzliches Angebot vorgesehen. Mit dem Eintauchen in Sprache, Kultur und andere Sichtweisen versprechen sich die Pädagogen auch, dass die Schüler sich ein Stück weit zusätzliche Kompetenzen aneignen – wie Fähigkeit zum Perspektivwechsel, Verständnis für andere Kulturen und Weltoffenheit.

Zum Artikel

Erstellt:
10. November 2020, 16:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Lesen Sie jetzt!
Unter dem Eindruck der Pandemie werden im Jahr 2020 die öffentlichen Sitzungen des Gemeinderats von Oppenweiler – damals noch in der Gemeindehalle – erstmals gestreamt. Archivbild: Alexander Becher
Top

Stadt & Kreis

Gemeinderatssitzungen im Livestream

Auch nach Ende der Pandemie werden die öffentlichen Sitzungen des Gemeinderats von Oppenweiler weiterhin online via Twitch übertragen. Entscheidend sind dabei der überschaubare Aufwand und die Bereitschaft der Gemeinderäte. In anderen Gemeinden ist das Zukunftsmusik.

Stadt & Kreis

Mit der Rikscha durch Aspach fahren

Mobilitätseingeschränkte Aspacher Bürger können ab Juni kostenlose Ausfahrten mit einer Rikscha nutzen. Der Diakonieverein hat das Projekt ins Leben gerufen und lädt morgen Abend interessierte Gäste und potenzielle Rikschapiloten zu einer Infoveranstaltung ein.

Stadt & Kreis

Wie Fußball auch den Geist beflügelt

Studien zeigen, dass Mädchen in Bezug auf die Lesekompetenz besser abschneiden als Jungen. Mit dem Programm „kicken und lesen“ werden an der Conrad-Weiser-Schule Großaspach und am Backnanger Max-Born-Gymnasium auch Jungen über den Fußball für das Lesen begeistert.