Was hilft gegen den täglichen Stau?

Der Backnanger Gemeinderat diskutiert über die Verkehrsprobleme in der Stadt. Die Pläne für eine digitale Verkehrssteuerung und ein neues Parkleitsystem wandern aus Kostengründen aber erst einmal in die Schublade.

Alltag in Backnang: Am Adenauerplatz stauen sich im Berufsverkehr die Autos.Foto: A. Becher

© Pressefotografie Alexander Becher

Alltag in Backnang: Am Adenauerplatz stauen sich im Berufsverkehr die Autos.Foto: A. Becher

Von Kornelius Fritz

Backnang. „Das wäre ihr Preis gewesen“, hieß es in den 80er-Jahren in einer Spielshow mit Rudi Carrell. So ähnlich wie damals die Kandidaten mussten sich nun die Mitglieder des Backnanger Gemeinderats fühlen, als ihnen im Ausschuss für Technik- und Umwelt das Konzept für ein digitales Verkehrs- und Parkleitsystem vorgestellt wurde. Bereits vor einem Jahr hatte das Gremium nämlich beschlossen, dass das 4,25 Millionen Euro teure Projekt trotz einer 50-prozentigen Förderung vom Bund vorerst nicht umgesetzt werden soll. Dummerweise war der Auftrag an zwei Fachbüros zu diesem Zeitpunkt aber schon erteilt, sodass die Verkehrsplaner Jürgen Karajan und Julian Pohl nun ein Konzept präsentierten, das so – zumindest in absehbarer Zeit – wohl nicht realisiert wird.

Dabei wäre ein digitales Verkehrsmanagement aus Sicht der beiden Experten durchaus geeignet, um Staus und Verkehrsbehinderungen im Stadtgebiet zu reduzieren. Herzstück eines solchen Systems ist ein zentraler Verkehrsrechner. Über Sensoren wird dieser stets mit aktuellen Daten gefüttert und weiß dadurch, wo gerade der Verkehr stockt. Abhängig davon kann der Computer dann automatisch die Ampelphasen und auch digitale Wegweiser so steuern, dass verstopfte Strecken entlastet werden. Staut sich etwa der Verkehr in der Stuttgarter Straße, könnten Tafeln die Autofahrer bereits auf der B14 darauf hinweisen und sie zum Beispiel zur weniger genutzten Ausfahrt Backnang-Mitte lotsen.

Das Parkleitsystem soll unnötigen Parksuchverkehr vermeiden: Dafür würde Julian Pohl vom Ingenieurbüro Brenner Bernard aus Aalen die Innenstadt in vier Parkzonen aufteilen, die jeweils eine eigene Farbe zugeteilt bekommen. Wegweiser in der entsprechenden Farbe würden die Autofahrer zunächst in ihr Zielgebiet und dort dann zum nächsten freien Parkplatz leiten.

Diskussion über neue Straßen

Das alles bleibt aber Zukunftsmusik, denn dem Gemeinderat ist das Projekt nicht nur zu teuer, etliche Stadträte haben auch Zweifel, ob sich der gewünschte Effekt wirklich einstellen würde. „90 Prozent der Autofahrer in Backnang wissen, wo sie hinfahren wollen. Denen ist völlig gleichgültig, was auf einem Schild steht“, vermutete SPD-Fraktionschef Heinz Franke. Sein Fraktionskollege Armin Dobler erklärte, er kenne digitale Verkehrslenkungssysteme nur aus Großstädten und frage sich, ob so etwas auch in einer Stadt wie Backnangs sinnvoll sei. Ulrike Sturm (Grüne) forderte, sich „von so großspurigen Plänen für unsere winzige Innenstadt“ zu verabschieden.

Jürgen Karajan vom gleichnamigen Ingenieurbüro aus Stuttgart bestätigte zwar, dass eine digitale Verkehrssteuerung in Städten von der Größe Backnangs noch nicht üblich ist, trotzdem ist er überzeugt, dass ein solches System auch hier funktionieren würde. „Wenn die Leute erleben, dass sie schneller ankommen, wenn sie sich an die Anzeigen auf den Schildern halten, dann werden sie diese auch nutzen“, ist er sich sicher. Auch beim Parkleitsystem sei Verlässlichkeit der Schlüssel zum Erfolg, erklärte Julian Pohl: „Wenn die Leute dem Parkleitsystem nicht glauben, funktioniert es natürlich nicht.“ Eine Voraussetzung, damit das System auf Akzeptanz stößt, sei allerdings auch eine Angleichung der Parkgebühren, denn sonst würden viele Autofahrer statt des nächstgelegenen lieber das günstigste Parkhaus ansteuern.

Manche Stadträte glauben derweil, dass das eigentliche Problem ganz woanders liegt: „Seit 45 Jahren ist in Backnang keine neue Straße hinzugekommen, der Verkehr aber massiv gestiegen“, sagte Jörg Bauer (Bürgerforum/FDP/BIG). Problematisch sei vor allem, dass es außer an der Chelmsfordbrücke keine Möglichkeit gebe, die Bahngleise zu queren. Durch die geplante Bebauung von Oberer Walke und IBA-Quartier würden sich die Probleme in den nächsten Jahren noch weiter verschärfen, prophezeite sein Fraktionskollege Karl Scheib.

„Uns fehlt eine Nord-Ost-Umfahrung“, meinte auch CDU-Stadtrat Gerhard Ketterer. Der Bau einer sogenannten Osttangente, die den Verkehr von der Weissacher Straße an der Innenstadt vorbei in den Backnanger Norden führt, wurde schon vor Jahrzehnten diskutiert, wegen der hohen Kosten und zu erwartenden Konflikte mit dem Naturschutz blieb es jedoch bei Gedankenspielen. Auch jetzt ist aus Sicht der Verwaltung nicht der geeignete Zeitpunkt, um über neue Straßen nachzudenken: „Wenn wir das Ziel Klimaneutralität ernst nehmen, müssen wir schauen, dass wir möglichst viel Verkehr auf andere Verkehrsmittel umlenken“, machte Baudezernent Stefan Setzer deutlich. Im Übrigen sollte man lieber versuchen, das vorhandene Straßennetz noch gleichmäßiger auszulasten.

Genau dazu könnte eine digitale Verkehrssteuerung beitragen. Deshalb will die Verwaltung das Konzept, das nun fix und fertig auf dem Tisch liegt und immerhin 70000 Euro gekostet hat, auch nicht beerdigen. Wenn in den nächsten Jahren Ampeln erneuert oder repariert werden, sollen schon einmal die technischen Voraussetzungen geschaffen werden, um diese später an einen Verkehrsrechner anzubinden. Spätestens wenn die B14 vierspurig ausgebaut ist, will die Verwaltung das Konzept dann wieder aus der Schublade holen. „Die schlechteste Lösung“, sagt Stadtplanungsamtsleiter Tobias Großmann, „wäre, wenn wir einfach alles laufen lassen würden.“

Kommentar
Weniger Autos sind die Lösung

Von Kornelius Fritz

Ob ein digitales Leitsystem wirklich in der Lage wäre, die Verkehrsprobleme in der Backnanger Innenstadt zu lösen, darf man bezweifeln. Mag sein, dass man ein paar Autofahrer mit Wegweisern dazu bewegen kann, auf der B14 zu bleiben, statt eine Abkürzung durch die Innenstadt zu nehmen. Wenn es sich in der Rushhour allerdings auch auf der Bundesstraße staut, helfen die intelligenten Schilder nicht mehr weiter.

Das Kernproblem ist ein anderes: zu viel Individualverkehr. Dafür gäbe es zwei Lösungsansätze: Mehr Straßen oder weniger Autos. Ersteres ist für die Stadt nicht nur unbezahlbar, es passt auch nicht in unsere Zeit. Wenn es OB und Gemeinderat mit dem Klimaschutz ernst meinen, dann kann die Lösung nur sein, den Individualverkehr so weit wie möglich zu reduzieren.

Dafür braucht es einerseits attraktive Alternativen wie gute Bus- und Radwegeverbindungen. Dafür brauchte es aber auch ein wenig Druck. Nicht umsonst raten Verkehrsexperten in staugeplagten Großstädten zu einer Citymaut. Soweit wird man in Backnang nicht gehen müssen, aber es ist auch nicht die Aufgabe des Gemeinderates, seine Politik an den Wünschen der Autofahrer auszurichten. Eine staufreie Innenstadt ist schließlich kein Menschenrecht.

k.fritz@bkz.de

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Erstellt:
19. Oktober 2021, 06:00 Uhr

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