Forschung zu Rechtsextremismus
Was Rechtsextremismus so attraktiv macht
Baden-Württembergs Wissenschaftsministerin Petra Olschowski (Grüne) erläutert die Aufgabe des Instituts für Rechtsextremismus in Tübingen, das nun eingeweiht wird.

© Ferdinando Iannone
Wirtschaftsministerin Petra Olschowski erklärt die Aufgaben des neuen Instituts.
Von Christoph Link
Die Zahl der rechtsextremen Kriminalität nimmt zu laut Bericht des Verfassungsschutzes nimmt zu, die rechte Szene wächst vor allem bei jungen Leuten. Woran liegt das? Dieser Frage geht das Institut für Rechtsextremismusforschung (IReX) nach, das an diesem Mittwoch in Tübingen eingeweiht wird.
Frau Olschowski, das bundesweit einmalige Institut für Rechtsextremismusforschung an der Universität Tübingen wird am 16. Juli offiziell eröffnet. Dabei arbeitet es schon seit letztem Wintersemester. Warum so spät die Einweihung?
Wir wollten warten, bis alle an Bord sind, und das ist jetzt der Fall. Drei Kernprofessorenstellen sind jetzt besetzt und weitere 17 Mitarbeiterstellen. Eine W-3-Professur zum Thema Antisemitismus ist derzeit noch offen – der Ruf wurde bereits erteilt, die Berufene wird ihre Arbeit im Sommer 2026 aufnehmen. Dem baden-württembergischen Landtag war das Institut sehr wichtig: Er hat dauerhaft 1,2 Millionen Euro jährlich dafür bewilligt.
Forschen für die Demokratie
Das IReX erforscht die Bedingungen für eine wehrhafte Demokratie. Ist es langfristig gesichert? Könnte es eine rechtspopulistische Regierung eines Tages wieder kippen?
Das Institut ist im Haushalt verstetigt, die Professuren sind auf Lebenszeit vergeben. Aber natürlich: Nichts ist so fix im Leben, dass man es nicht ändern kann, wenn man Gesetze außer Kraft setzt. Also wenn zum Beispiel eine Regierung sich nicht an Verträge hält, Beamte entlässt und mit der Regelhaftigkeit der Demokratie bricht, dann könnte auch der Fortbestand dieses Instituts in Gefahr sein. Aber das würde dann für viele andere auch gelten.
Was war das Hauptmotiv für die Schaffung des IReX?
Es gründet auf eine 2019 ausgesprochene Empfehlung des Untersuchungsausschusses zum Nationalsozialistischen Untergrund (NSU), der – wir erinnern uns – neun Migrantinnen und Migranten und eine Polizistin ermordet hat. Ziel ist es, die Ursachen und Hintergründe des Rechtsextremismus zu erforschen. Eine Wettbewerbsausschreibung dazu hat die Universität Tübingen gewonnen, eine Mehrheit im Landtag stimmte dem Projekt zu. Leider hat sich das Thema ja nicht erledigt: Laut jüngstem Verfassungsschutzbericht nimmt die Zahl der rechtsextremen Kriminalität zu, die rechte Szene wächst vor allem bei jungen Leuten. Das Anliegen des IReX soll es sein – so der Wunsch von Untersuchungsausschuss und Landtag – besser zu verstehen, was den Rechtsextremismus so attraktiv macht. Was sind die Hintergründe, welche Dynamiken stecken dahinter? Deshalb sind die Professuren breit aufgestellt: Es geht um Politik, Medien und Bildung.
„Die Arbeit des IRex geht in die Tiefe, es arbeitet nicht oberflächlich.“
Bei einem Besuch im IReX empfand ich den Beitrag einer Erziehungswissenschaftlerin, wonach selbst in Kindergärten schon der Widerstand gegen autoritäre Strukturen „eingeimpft“ werden kann, sehr interessant. Welche Forschungsobjekte finden Sie in Tübingen spannend?
Ich kann von zwei Erlebnissen berichten, die auf den ersten Blick vielleicht gar nicht so spektakulär erscheinen. Zum einen hat das IReX die letzten Europa- und Kommunalwahlen analysiert und festgestellt, dass Nazi-Hochburgen in den 1930er-Jahren heute immer noch Hochburgen für rechtsextreme Parteien sind – zum Beispiel Pforzheim. Ich finde es total spannend herauszufinden, warum das so ist. Wie ist das Umfeld, was sind die Stimmungsbilder, die so ein Phänomen erklären? Zum anderen untersucht die IReX-Professorin Leonie de Jonge in einem Projekt die Anschlussfähigkeit von rechtsextremem Gedankengut in die bürgerliche Gesellschaft. Hochinteressant. Wir sehen ja, dass zum Beispiel frauenfeindliche oder queer-feindliche Meinungen über bestimmte Männerbilder in die Allgemeinheit transportiert werden. Diese Beispiele sind nur eine kleine Auswahl. Die Arbeit des IReX geht in die Tiefe, arbeitet nicht oberflächlich.
Ist diese Forschungsarbeit nicht politisch? Wie sieht es mit Anfeindungen aus?
Von Anfeindungen in Tübingen ist uns nichts bekannt. Die Arbeit des IReX ist ganz klar getragen vom Bekenntnis zu unserer Verfassung – dem Grundgesetz – und der Autonomie der Wissenschaft. Natürlich verfolgt das IReX einen normativen Ansatz – der auf bestimmten Werten gründet – aber das tun andere Wissenschaften auch. Es nimmt politische Strömungen in den Blick und analysiert sie. Was und wie sie etwas tun, das entscheiden die Wissenschaftler selbst und autonom.
Der wissenschaftliche Geschäftsführer des IReX, Privatdozent Rolf Frankenberger, hat sich kürzlich im SWR für ein AfD-Verbot ausgesprochen. Ist das nicht sehr politisch? Ministerpräsident Winfried Kretschmann ist dagegen. Muss ein Forscher neutral sein?
Es ist absolut legitim auch für Wissenschaftler, einen politischen Blick auf die Frage des AfD-Verbots zu werfen. Das Thema wird ja auch in der Landesregierung kontrovers diskutiert. Auch Rolf Frankenberger hat selbstverständlich das Recht, seine persönliche Ansicht zu äußern. Die Wissenschaft arbeitet unabhängig von Weisungen der Landesregierungen und die Wissenschaft muss auch nicht neutral sein. Das IReX hat die Zielsetzung, die Hintergründe der politischen Kräfte zu beleuchten, die unsere Demokratie schwächen wollen.
Kunst und Politik
Kunstakademie Petra Olschowski wurde 1965 in Stuttgart geboren. Sie studierte Kunstgeschichte und Germanistik an der Universität Stuttgart. Zunächst arbeitet sie als Redakteurin bei der Stuttgarter Zeitung, bevor sie 2002 die Geschäftsführung der Kunststiftung Baden-Württemberg übernahm. Von September 2010 bis Mai 2016 war sie Rektorin der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgarts.
Ministerium Seit September 2022 ist Olschowski baden-württembergische Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kunst. Zuvor war sie von Mai 2016 bis September 2022 Staatssekretärin dieses Ministeriums. Zunächst war sie parteilos, später trat sie den Grünen bei.
Eröffnung Bei einer Feier mit geladenen Gästen wird das Institut für Rechtsextremismusforschung (IRex) an der Uni Tübingen an diesem Mittwoch eingeweiht. Es betreibt Grundlagenforschung, und will gesellschaftlich Handelnde – vom Lehrer bis Politiker – Wissen zur Verfügung stellen, wie sie rechten Extremismus erkennen, wie sie ihn verstehen und auf ihn reagieren können.