Neue Migrationspolitik
Weist Deutschland jetzt Asylbewerber an den Grenzen zurück?
Bundesinnenminister Alexander Dobrindt hat angeordnet, dass auch Asylbewerber an deutschen Grenzen zurückgewiesen werden können. Was bedeutet das? Und geht das überhaupt? Ein Überblick.

© Lars Penning/dpa
Künftig sollen mehr Bundespolizisten als bisher die deutschen Grenzen kontrollieren.
Von Rebekka Wiese
An seinem ersten Tag als Bundesinnenminister hat Alexander Dobrindt (CSU) angekündigt, dass die Bundespolizei künftig auch Asylsuchende an deutschen Grenzen zurückweisen kann. Außerdem sollen die Grenzen stärker kontrolliert werden. Was das bedeutet und was daraus folgt: die wichtigsten Fragen und Antworten.
Wie will Dobrindt die Kontrollen verstärken?
Dobrindt will mehr Einsatzkräfte an die deutschen Grenzen schicken. Dort finden schon seit Oktober 2023 Kontrollen an den Übergängen zu einigen Ländern statt, die im September 2024 auf alle Grenzen ausgeweitet wurden. Wie viele zusätzliche Bundespolizisten Dobrindt einsetzen will, sagte er nicht. Aus Sicherheitskreisen hieß es, dass zu den derzeit 11 000 Einsatzkräften an den deutschen Grenzen schrittweise 3 000 zusätzliche Beamte kommen sollten.
Wie will Dobrindt Asylbewerber zurückweisen lassen?
Dobrindt hat eine schriftliche Weisung an die Bundespolizei gegeben, die die „Bild“-Zeitung veröffentlicht hat. Der Innenminister bittet die Polizei demnach, künftig an der Grenze nach Paragraf 18 des deutschen Asylgesetzes zu verfahren. Der sieht vor, „dass Schutzsuchenden bei der Einreise aus einem sicheren Mitgliedsstaat die Einreise verweigert werden kann“. Das Wort „kann“ ist in Dobrindts Schreiben unterstrichen. Er verweist in dem Brief außerdem auf eine mündliche Weisung vom 13. September 2015. Damals stand die Regierung angesichts einer großen Zahl illegaler Einreisen vor der Frage, ob sie Zurückweisungen anordnen sollte – und entschied sich dagegen. Diese Entscheidung hebt Dobrindt mit seinem Brief auf.
Sind die Zurückweisungen rechtlich möglich?
Das ist unklar. Laut deutschem Asylgesetz sollen Schutzsuchende zurückgewiesen werden, wenn man annehmen kann, dass ein anderer Staat für deren Asylverfahren zuständig wäre – was an den deutschen Landesgrenzen eigentlich immer der Fall ist. Doch die europäischen Dublin-Regeln sehen vor, dass die Mitgliedsstaaten trotzdem jeden Antrag erstmal prüfen müssen. Demnach wären die Zurückweisungen nicht möglich, das EU-Recht überlagert die nationale Gesetzgebung. Dobrindt verweist allerdings auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union. Dort steht, dass die Mitgliedsstaaten „für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit“ zuständig blieben. Das erlaubt es EU-Ländern, notfalls von gemeinsamen Regeln abzuweichen. Ob das hier die Lage ist, werden Gerichte klären müssen, wenn jemand gegen die Zurückweisungen klagt.
Wird nun jeder Asylbewerber zurückgewiesen?
Nein. Dobrindt sagte, die Zahl der Zurückweisungen solle „Schritt für Schritt“ erhöht werden. In seinem Schreiben macht er eine Ausnahme für „erkennbar vulnerable Personen“. Auch sonst sollen nicht alle Asylbewerber zurückgewiesen werden. Dass Dobrindt betont, dass die Einreise verweigert werden „kann“, lässt der Bundespolizei eine gewisse Flexibilität.
Wie reagieren Deutschlands Nachbarstaaten?
Polen, Österreich und die Schweiz kritisierten das neue Vorgehen. „Systematische Zurückweisungen an der Grenze verstoßen aus Sicht der Schweiz gegen geltendes Recht“, schrieb das Schweizer Justizministerium auf der Kurznachrichten-Plattform X. Ähnlich äußerte sich das österreichische Innenministerium. Polens Regierungschef Donald Tusk hatte sich schon am Mittwoch beim Antrittsbesuch von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) besorgt gezeigt. Dobrindt betonte wiederum, dass man mit den Nachbarstaaten im Gespräch sei und sich abstimmen wolle.
Wie lange sollen die Grenzkontrollen gelten?
Die Bundesregierung will daran festhalten, bis die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (Geas) greift. „Je eher wir im europäischen System die Asylgesuche an die Außengrenzen verlegen können, desto weniger sind Binnengrenzkontrollen notwendig“, sagte Dobrindt. Er betonte auch: „Wir sehen sehr wohl, dass die Zahlen auch durch die Maßnahmen der Vergangenheit reduziert worden sind. Dennoch sind sie nach wie vor zu hoch.“ In den ersten drei Monaten dieses Jahres wurden etwas mehr als 35 000 Asylerstanträge gestellt – gut 40 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum.