Weiterbildung mal ganz anders

In der Backnanger Bildungswerkstatt dürfen die Teilnehmer das Programm mitgestalten – Themen aus vielen Bereichen

Ob Literatur, Philosophie, Kunst oder Geschichte – ob Psychologie, Wirtschaft, Politik oder Geografie: In der Backnanger Bildungswerkstatt wird seit 17 Semestern so ziemlich jeder Wissensbereich behandelt. Das Besondere: Die Teilnehmer entscheiden selbst, über welche Themen sie im kommenden halben Jahr etwas lernen möchten.

Weiterbildung
mal ganz anders

© surachat - stock.adobe.com

Von Silke Latzel

BACKNANG. Sie sind seit der ersten Stunde dabei: Ingeborg Klein und das Ehepaar Schramm, Marlis und Gerhard. Und sie alle freuen sich jetzt schon auf das kommende Semester in der Backnanger Bildungswerkstatt – ein Angebot der hiesigen Volkshochschule. „Es ist einfach eine ganz andere Art der Weiterbildung“, sagt Marlis Schramm. „Wir diskutieren viel und bringen uns ein. Es ist so viel mehr als einfach nur immer ein Vortrag von einem Dozenten mit einem bestimmten Thema.“

Die Bildungswerkstatt gibt es seit 2011 – und sie ist laut Abteilungsleiterin Friederike Fleischmann ein Erfolgskonzept. „Der Kurs ist immer ausgebucht und wir sind im Laufe der Jahre permanent gewachsen. Gestartet sind wir damals mit acht Personen, heute sind es 22. Und die meisten bleiben Semester für Semester dabei.“ Das Besondere: Von Anfang an konnten die Teilnehmer selbst entscheiden, welche Themen sie behandeln wollen. Diese werden in einem Treffen am Ende des Semesters in großer Runde besprochen – dumme Ideen gibt es nicht, jedes Thema ist erlaubt. „Wir greifen auch immer Aktuelles auf, haben zum Beispiel 2013 schon über TTIP, also das Transatlantische Freihandelsabkommen, gesprochen“, sagt Fleischmann. Hat jeder den eigenen Themenwunsch geäußert, wird ganz klassisch abgestimmt – und die Themen mit den meisten Stimmen schaffen es auf die Vortragsliste fürs kommende Semester.

Hier beginnt für Fleischmann dann die Arbeit. Ihre Aufgabe ist es, für die gewünschten Themen der Teilnehmer dann die richtigen Dozenten zu finden – und das ist manchmal gar nicht so einfach. „Die Dozenten müssen ja nicht nur das Wissen haben, sondern das auch dementsprechend interessant und anschaulich vermitteln können, dass die Teilnehmer den ganzen Vormittag aufmerksam folgen können“, erklärt Fleischmann. „Und die Dozenten müssen einfach auch zur Art und Weise passen, wie in der Bildungswerkstatt gearbeitet und gelernt wird. Die Teilnehmer unterbrechen beispielsweise oft und fragen viel direkt nach, nicht erst am Ende des Vortrags“, erzählt sie schmunzelnd, Klein und die Schramms stimmen lachend zu.

„Die Bildungswerkstatt ist ein geschützter Raum“

Natürlich würde es für sie auch einfacher gehen, nämlich ohne die Einbeziehung der Teilnehmer, daraus macht Abteilungsleiterin Fleischmann keinen Hehl. Das aber möchte sie gar nicht, denn auch wenn es viel Arbeit ist, macht ihr die „Detektivarbeit“ auch Spaß.

Nicht immer sind alle Teilnehmer an allen Themen interessiert, „manchmal hat man schon auch zu kämpfen, aber am Ende ist es dann gut und alle haben etwas gelernt“, so Marlis Schramm. Besonders bei den Themen Kunst und Literatur zeigt sich sehr oft, dass Geschmäcker einfach verschieden sind. Denn es gibt hin und wieder auch „Hausaufgaben“, zum Beispiel ein Buch zu Hause zu lesen und dann die eigene Interpretation in großer Runde zu besprechen. Strafarbeiten, wenn man das Buch nicht liest, oder Noten gibt es keine. Aber es sei in der Vergangenheit beispielsweise schon zu sehen gewesen, dass etwa die Bücher von Franz Kafka polarisieren – manche haben „Die Verwandlung“ regelrecht verschlungen, andere konnten das Buch kaum lesen, weil die Geschichte so verstörend wirkte. „Es macht besonders viel Spaß, zu diskutieren, weil wir so viele unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund sind“, so Gerhard Schramm. „Und wer nur zuhören und nicht mitreden möchte, der ist hier genauso willkommen“, ergänzt seine Frau Marlis. „Die Bildungswerkstatt ist einfach ein geschützter Raum, in dem alles möglich ist, aber niemand etwas tun muss, was er nicht will.“

Auch für Fleischmann hat die Bildungswerkstatt Vorteile: „Ich kann hier Themen vorschlagen, die sonst keinen Platz im Programm unserer Volkshochschule finden würden. Viele Teilnehmer nutzen die Chance, etwas über die Dinge zu lernen, die sie wirklich interessieren. Oder die in der Schule gar nicht behandelt worden sind“, sagt sie. Das sei bei vielen Teilnehmern zum Beispiel beim Thema Zweiter Weltkrieg und allem, was danach in der deutschen Geschichte passiert ist, so. In der Bildungswerkstatt werden die Grundlagen zu den verschiedenen Themen vermittelt. „Wir versuchen, auch einen inhaltlichen roten Faden zu finden, ab September beschäftigen wir uns beispielsweise mehrmals mit dem Thema Afrika“, so Fleischmann.

Manche Dozenten sind bei den Teilnehmern so beliebt und gefragt, dass „wir auch einfach mal fragen, was derjenige sonst noch so für Themen hat, über die er uns etwas beibringen kann. Dann suchen wir zuerst den Dozenten aus und dann erst das Thema“, erzählt Marlis Schramm. Und was für viele der Bildungswerkstatt-Teilnehmer besonders wichtig ist, fasst Gerhard Schramm zusammen: „Im Berufsleben und in der Schule musste man immer auf einen Nutzen hin lernen. Jetzt lernen wir frei von Zwängen. Dadurch bekommt man eine ganz andere Sicht auf verschiedene Dinge. Wenn ich jetzt zum Beispiel eine Kirche sehe, dann denke ich nicht mehr nur ,schöne Kirche‘, sondern kann sie zeitlich auch einordnen, weil wir etwas über die verschiedenen Epochen und die jeweiligen Merkmale gelernt haben. Und weil wir das freiwillig machen und es nicht wie in der Schule ,müssen‘, bleibt es auch besser im Gedächtnis.“

Info
Neue Bildungswerkstatt

Weil die Bildungswerkstatt jetzt bereits im 17. Semester läuft und kaum ein Teilnehmer aussteigt, ist sie immer ausgebucht. In diesem Herbstsemester wird aufgrund der großen Nachfrage eine neue Bildungswerkstatt eingerichtet.

Sie wird ab dem 27. September an 13 Freitagen immer von 8.30 bis 11.45 Uhr stattfinden. Das Programm für das erste Semester ist bereits fix, für die nächsten Semester werden dann auch die Vorschläge der Teilnehmer selbst berücksichtigt und in einem Planungsgespräch abgestimmt.

Zugangsvoraussetzungen gibt es keine und da die Themenfelder inhaltlich abgeschlossen sind, ist ein Neueinstieg jederzeit möglich.

Weitere Infos und den Themenplan fürs kommende Semester gibt es online auf der Webseite der Volkshochschule Backnang unter www.vhs-backnang.de. Einfach oben in der Suche „Bildungswerkstatt“ eingeben.

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Erstellt:
28. August 2019, 11:30 Uhr

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