Hybrider Krieg

Welche Antworten braucht Putin?

Kabelattacken, Drohnen über Nato-Territorium – warum die Abschreckung nicht mehr funktioniert, erklärt Berlin-Korrepsondent Stefan Kegel.

Provoziert unablässig: Russlands Präsident Wladimir Putin braucht klare Antworten – nur welche?

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Provoziert unablässig: Russlands Präsident Wladimir Putin braucht klare Antworten – nur welche?

Von Stefan Kegel

Egal, ob im Osten oder im Westen: Wer in der Zeit des Kalten Krieges groß geworden ist, wuchs mit einem Bedrohungsgefühl auf. Zwei Blöcke standen sich gegenüber. Die Formel vom „Gleichgewicht des Schreckens“ prägte eine ganze Ära. Sie wurde gestützt durch Armeen, die bis zur Erschöpfung hochgerüstet waren, konventionell wie auch atomar. Frieden herrschte, weil keiner wagte, den anderen anzugreifen – die gegenseitige Abschreckung funktionierte.

Abschreckung wird auch heute wieder propagiert. In der Nato hofft man, die alte Balance wieder herstellen zu können. Nur: Taugt die Systematik von damals heute überhaupt noch?

Bedrohungslage komplexer als im Kalten Krieg

Die gegenwärtige Bedrohungslage ist ungleich komplexer als in den 1970er oder 1980er Jahren. Damals konnte man Soldaten zählen, Panzer und Atomsprengköpfe. Auf Veränderungen auf gegnerischer Seite konnte man mit Rekrutierung oder einer gesteigerten Rüstungsproduktion reagieren.

Heute fahren Schiffe mit heruntergelassenem Anker durch die Ostsee und reißen unentdeckt Kommunikationskabel kaputt. Aus dem Nirgendwo der Nacht tauchen Drohnenschwärme über Militäreinrichtungen und Flughäfen in Westeuropa auf und ziehen stundenlang ungestört ihre Runden. Hacker dringen in Computernetzwerke ein und legen Stadtwerke oder Flughäfen lahm. Und Raketen landen – aus Versehen oder gezielt – auf Nato-Territorium.

Angriffe mit Gegenangriffen beantworten?

Russland stört mit dieser Taktik das eingeübte Gleichgewicht von einst. Damals galt: ein Angriff würde zu einer Antwort auf gleicher Ebene führen. Panzer gegen Panzer, Artillerie gegen Artillerie, Atomrakete gegen Atomrakete. Noch immer sucht die Nato nach einer angemessenen Antwort auf die neuen hybriden Bedrohungen. Sie kann nicht jeden dieser Angriffe mit gleicher Münze heimzahlen. Sollte man auch anfangen, russische Kabel zu zerstören, Drohnenschwärme nach Moskau zu schicken oder sogenannte Hack-Backs einleiten, also Cyberangriffe mit Gegenangriffen beantworten, die vielleicht ungeahnte Folgen haben?

Es gibt gleichwohl lauter werdende Stimmen, die solche Gegenmaßnahmen fordern. Der CSU-Politiker Manfred Weber, Sprecher der Konservativen im EU-Parlament, dachte laut darüber nach, dass die Nato in der Lage sein müsste, auch mal die Moskauer U-Bahn lahmzulegen. Im Moment ist das allerdings Zukunftsmusik. Denn weder für große Drohnenschwärme noch für solche groß angelegten Hackerangriffe ist das westliche Bündnis rechtlich und technisch gerüstet. Die Abschreckung funktioniert hier nicht.

Putins Heimtücke

Grundsätzlich stellt sich die Frage, wie der Westen auf asymmetrische Bedrohungen reagieren sollte. Man kann wegen eines zerstörten Ostseekabels schließlich keine Panzer losschicken und wegen gezielter oder verirrter russischer Marschflugkörper keine Atomraketen abfeuern. Das Heimtückische an dieser Disbalance liegt auch darin, dass Russland entscheidet, wie es die Lage weiter eskalieren lassen will. Wladimir Putin weiß um die Schwächen der Nato und nutzt sie weidlich aus. Und am oberen Ende der Eskalationsskala hat es seine Nuklearstrategie geändert – auch ein Ersteinsatz von Kernwaffen ist demnach nicht ausgeschlossen.

Für diese neue Art der Bedrohung braucht die Nato eine Gegenstrategie. Erste Ansätze dafür gibt es. Polen drohte bereits mit dem Abschuss russischer Kampfjets, wenn die im Nato-Luftraum auftauchen. Die EU treibt ihre Pläne für einen „Drohnenwall“ voran. Die Abschreckung so auszutarieren, dass sie ernst genommen wird, und gleichzeitig mögliche Eskalationen kontrollieren zu können, wird zur Daueraufgabe werden.

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Erstellt:
3. Oktober 2025, 16:30 Uhr

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