Weniger Referendare an Gymnasien

Immer weniger junge Frauen und Männer lassen sich zur Gymnasiallehrerin beziehungsweise zum Gymnasiallehrer ausbilden. Noch ist der Mangel an Nachwuchskräften nicht gravierend, doch an den vier Gymnasien in Backnang und Umgebung ist der Rückgang teils schon spürbar.

Canel Kaya ist der einzige Referendar seines Jahrgangs am Backnanger Max-Born-Gymnasium. Foto: Alexander Becher

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Canel Kaya ist der einzige Referendar seines Jahrgangs am Backnanger Max-Born-Gymnasium. Foto: Alexander Becher

Von Melanie Maier

Rems-Murr. Die Zahlen bereiten Grund zur Sorge: Nach der offiziellen Statistik des baden-württembergischen Kultusministeriums (siehe unten) möchten immer weniger junge Frauen und Männer den Beruf der Gymnasiallehrerin beziehungsweise des Gymnasiallehrers ergreifen. Während es 2021 noch 1508 Referendare und Lehramtsanwärter in Baden-Württemberg waren, wurden im vergangenen Jahr nur noch 1085 gezählt – fast ein Drittel weniger.

Auch an den Backnanger Gymnasien ist das Problem bereits spürbar. Am Max-Born-Gymnasium beispielsweise ist Canel Kaya der einzige Referendar in seinem Jahrgang. Dieses Jahr werden immerhin zwei werdende Lehrer an der Schule anfangen, berichtet der stellvertretende Schulleiter Christoph Nesper. „Aber wir hatten schon Jahre, da waren’s fünf“, ordnet er die Zahl ein. Je weniger Referendare kommen, die ihren Teil des Lehrauftrags erfüllen, desto mehr Lücken muss die Schulleitung füllen. „Wir bekommen es bewältigt, aber wir sind an der Grenze“, sagt Nesper. „Viel darf nicht mehr passieren, sonst kann es auch dazu kommen, dass Stunden ausfallen.“

Auch der Fachkräftemangel macht sich an den Schulen bereits bemerkbar

Der Mangel, sagt er, betreffe alle Fächer. Besonders dramatisch sei es jedoch in den Naturwissenschaften und in Mathematik. „In den Geisteswissenschaften ist es nicht ganz so schlimm, aber auch da sind es zu wenig“, fügt der Schulleiter hinzu. Seiner Einschätzung nach hat das Problem vor rund zehn Jahren angefangen. „Seit fünf Jahren hat sich die Lage zugespitzt, würde ich aus dem Bauch heraus sagen“, sagt er. Und im ländlichen Raum sei die Situation sicher noch schwieriger. „Die Referendare möchten ja alle in den Städten bleiben, in denen sie studiert haben – also in Stuttgart, Freiburg, Karlsruhe und so weiter.“ In Backnang, meint Nesper, sei die Entwicklung wahrscheinlich noch lange nicht so spürbar wie in den Randgebieten.

Am Gymnasium des Bildungszentrums Weissacher Tal (Bize), das nicht ganz so gut an den öffentlichen Nahverkehr nach Stuttgart angebunden ist wie Backnang, sei der Rückgang an Referendaren glücklicherweise noch kein Problem, sagt Schulleiterin Simone Klitzing. „Wir haben davon noch nichts bemerkt. Wir haben immer zwischen einem und vier Referendaren.“ Dass 2022 drei angehende Lehrerinnen und Lehrer am Bize angefangen haben und dieses Jahr zwei neue dazukommen werden, freut sie. „Ich wünsche mir immer, dass es mindestens zwei sind, damit sie sich untereinander austauschen können“, erklärt die Schulleiterin.

Bemerkbar gemacht hat sich am Bize in einzelnen Bereichen allerdings schon der Fachkräftemangel. Denn auch an fertig ausgebildeten Lehrerinnen und Lehrern fehlt es an den Gymnasien im Land. Derzeit sei die Lehrerversorgung am Bize zwar noch gesichert, aber das könne sich ganz schnell ändern, warnt Klitzing.

Weniger Referendare an Gymnasien

Ähnlich sieht die Lage am Murrhardter Heinrich-von-Zügel-Gymnasium aus. Von Mangel an Referendaren ist dort noch nichts zu spüren. „Wir haben dieses Jahr wieder zwei Referendare zugeteilt bekommen, das ist unser Standard“, berichtet die kommissarische Schulleiterin Annette Zickler-Maier. Ebenfalls zwei Referendare verbringen derzeit ihre zweite Ausbildungshälfte an der Schule.

Vom Regierungspräsidium Stuttgart, das für die Einstellung von neuen Lehrerinnen und Lehrern zuständig ist, sei sie aber schon darauf vorbereitet worden, dass es schwieriger werde mit der Verteilung der Fachkräfte. Dass es weniger Referendare gebe, werde in den kommenden Jahren den Lehrkräftemangel noch verstärken. Aktuell sei das Heinrich-von-Zügel-Gymnasium noch „recht gut versorgt“, so Zickler-Maier. „Unser Hauptproblem ist Physik.“

Der Mangel an Lehrkräften, in den auch der Rückgang an Referendaren hineinspielt, wirkt sich auf das Gymnasium in der Taus in Backnang bereits aus. „Vor einem Jahr sind uns drei Referendare gemeldet worden – und es kam eine Referendarin“, teilt Schulleiter Udo Weisshaar mit. Es sei nicht unüblich, dass einige Berufsanfänger kurz vor dem Start noch abspringen. „Meist aus persönlichen Gründen, weil sie umziehen zum Beispiel“, erklärt er. Es könne aber auch sein, dass jemand seine letzte Prüfung nicht bestanden habe. Dieses Jahr sollen zwei Referendare an das Gymnasium in der Taus kommen. „Das Soll sind eigentlich drei“, sagt Weisshaar.

Fehlende Lehrerinnen und Lehrer bedeuten Lücken im Lehrplan

Mit jeder fehlenden Person vergrößert sich die Lücke im Lehrplan, die er füllen muss. Im Moment könne er die Stunden noch mit Krankheitsvertretungen – einem Pensionär und zwei Vertretungslehrerinnen – abdecken. Doch seit etwa zwei Jahren warne das Seminar in Stuttgart nun schon davor, dass auch die Krankheitsvertretungen so gut wie leer gefegt seien, berichtet Weisshaar. Im schlimmsten Fall müsse man die Stundenanzahl reduzieren.

Vom Regierungspräsidium sei den Schulleiterinnen und Schulleitern bereits nahegelegt worden, den Lehrberuf durch ihr eigenes Tun möglichst attraktiv zu machen, sodass mehr Schülerinnen und Schüler ein Lehramtsstudium ergreifen. „Darüber kann ich eigentlich nur schmunzeln“, sagt der Schulleiter, doch amüsiert klingt er nicht. Dass das Interesse an seinem Beruf nachgelassen hat, führt er darauf zurück, dass im Dauerkrisenmodus (Flüchtlingskrise und Coronapandemie) keine Zeit mehr für die eigentliche Aufgaben der Lehrerinnen und Lehrer bleibe. Außerdem müssten sie viel mehr Verwaltungsaufgaben übernehmen als früher. „Der Lehrerberuf hat insgesamt an Attraktivität verloren“, schließt er.

„So einen guten Ruf hat der Beruf nicht mehr“

Referendar Canel Kaya sieht das ähnlich. „So einen guten Ruf hat der Beruf nicht mehr – es heißt, die Leute überarbeiten sich“, sagt der 25-Jährige, der am Max-Born-Gymnasium im zweiten Ausbildungsjahr ist. Durch die Umstellung des Studiums auf Bachelor und Master sei es zudem einfacher geworden, sich noch während des Studiums umzuorientieren, fügt Kaya hinzu. Nicht zuletzt sei der Fachkräftemangel im Lehrberuf kein Einzelphänomen: „Das zieht sich quer durch die Arbeitswelt.“

Auch er selbst war sich im Studium nicht immer sicher, ob er wirklich Lehrer werden möchte, verrät Kaya. Für das Studium entschied er sich vor allem aus dem Interesse an seinen Fächern Latein und Gemeinschaftskunde heraus. Nach dem Ende seines Referendariats in Backnang zu bleiben, kann sich der aus dem Raum Göppingen stammende Kaya gut vorstellen – wenn er ein passendes Angebot erhält. Zwar würden die Bewerberzahlen über alle Fächer hinweg zurückgehen, sagt er, in seiner Fächerkombination gebe es aber noch vergleichsweise viele Bewerberinnen und Bewerber.

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Erstellt:
23. Januar 2023, 06:00 Uhr

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