Rewe in Murrhardt: Wenn der Einkauf (fast) in Eigenregie läuft

Rewe hat in vielen Märkten – so auch in Murrhardt – ein System eingeführt, mit dem Kunden ihre Ware selbst scannen und an einer Expresskasse ohne Personal zahlen können. Die Einschätzung zu den Auswirkungen fällt bei der Rewe Group deutlich anders aus als bei der Gewerkschaft Verdi.

Mit den Handscannern kann der Kunde seine Waren selbst einlesen und per Karte zahlen. Kontakt mit dem Personal gibt es noch in Ausnahmefällen, beispielsweise wenn Alkohol gekauft wird, für den eine Kontrolle wegen des Jugendschutzes nötig ist.  Foto: Imago/Manfred Segerer

© IMAGO/Manfred Segerer

Mit den Handscannern kann der Kunde seine Waren selbst einlesen und per Karte zahlen. Kontakt mit dem Personal gibt es noch in Ausnahmefällen, beispielsweise wenn Alkohol gekauft wird, für den eine Kontrolle wegen des Jugendschutzes nötig ist. Foto: Imago/Manfred Segerer

Von Christine Schick

Murrhardt. Seit einiger Zeit ist im Rewe-Markt in Murrhardt ein sogenanntes „Scan&Go“-System eingezogen, sprich, wer einkauft, hat auch die Möglichkeit, seine Waren per Handscanner oder Handy-App selbst einzuscannen und später an einer sogenannten Expresskasse per Karte zu bezahlen. Beim selbstständigen Rewe-Markt in der Walterichstadt möchte man sich vor Ort nicht zur Einführung äußern.

Ein Selbsttest zeigt, dass beim allerersten Mal noch Dinge zu lernen sind, der Einsatz etwas mehr Routine braucht und insofern die Zeitersparnis, mit der Rewe wirbt, vermutlich erst später greift. Mit einem der Handscanner geht es in die Obst- und Gemüseabteilung. Wo versteckt sich der Barcode? Bei den Tomaten im Pappkörbchen ist er am Boden aufgedruckt, beim Zweierpack Zucchini am Plastikring, der sie zusammenhält, und bei den Zwiebeln am Schildchen des Netzes. Das Scannen funktioniert problemlos. Hat das Gerät den Barcode erfasst, wird der Preis angezeigt. Nach und nach entsteht eine Liste der Produkte, die ins Einkaufskörbchen wandern, inklusive der Gesamtsumme. Das heißt, man behält den Überblick über die Kosten des Einkaufs. Aber es gibt Obst und Gemüse, das noch gewogen werden muss, in diesem Fall drei Paprika. Es gesellen sich Salatsoße, Käse, Humus und ein Grappa zu den Frischwaren. Bei Letzterem kündigt der Handscanner an, dass dieses Produkt aufgrund des Jugendschutzes an der Kasse vom Personal freigeschaltet werden muss.

Die Kassiererin hilft und erklärt

Es geht zum Selbstbedienungsterminal. Die Paprika werden aufgelegt und die Waage fordert dazu auf, das richtige Gemüse zu suchen. Auch das funktioniert. Ein Stück Bon schaut aus dem Schlitz, dann allerdings ist erst mal Schluss und das Display sagt, dass Hilfe benötigt wird. Weil beide Kassiererinnen beschäftigt sind, stelle ich mich einfach mal, wie gewohnt, in die Reihe, ein Kunde lässt mich netterweise vor und der Deal ist, dass die Mitarbeiterin kommt, sobald sie fertig bedient hat. Sie ist sehr freundlich, erläutert, dass sie noch ein Gerät holen muss. Nach der Freischaltung kooperiert die Waage. Habe ich etwas falsch gemacht?

Waagen gibt es auch im Obst- und Gemüsebereich, vielleicht hätte das besser funktioniert, so die Überlegung. Die Mitarbeiterin schätzt augenzwinkernd, dass ich schon 18 Jahre alt bin, und gibt dem System Rückmeldung, dass der Kauf eines Grappas in Ordnung ist. Da sich mein Handscanner jetzt am Terminal mit der Waage nicht einlesen lässt, bittet sie mich, den restlichen Einkauf an einem zweiten zu bezahlen, was kein Problem ist und mit Karte funktioniert. Ein Code am Kassenbon schaltet die Schranke am Ausgang frei.

Fazit: Das Einscannen funktioniert gut. Sinnvoll und ein Plus ist, über die Liste der Produkte – die sich übrigens auch problemlos genauso wie bei einem Online-Einkauf einzeln löschen lassen, wenn man sich doch anders entscheidet – einen Überblick über die Kosten des Einkaufs zu behalten. Bei dieser ersten Stichprobe und einer gewissen Unerfahrenheit meinerseits hat der Einkauf länger gedauert hat, als wenn er über den üblichen Weg an einer herkömmlichen, betreuten Kasse erfolgt wäre. Wer Alkohol kauft, muss sich darauf einstellen, entsprechende Hilfe in Anspruch zu nehmen. An einem Abend unter der Woche funktioniert das gut; wenn das Geschäft voll ist, könnte das vielleicht schwieriger werden, was letztlich auf die Personalsituation ankommt.

Was Rewe zu Personalfragen sagt

Auf Nachfrage beim Presseteam der Rewe Group teilt Thomas Bonrath mit, dass Rewe beziehungsweise die selbstständigen Rewe-Kaufleute standortspezifisch über die Einführung entscheiden, wo es eine entsprechende Nachfrage gibt. Aktuell sind es knapp 600 von bundesweit 3800 Märkten, die „Scan&Go“ seit dem Start 2019 eingeführt haben. An der Expresskasse, auch Self-Checkout-Terminal genannt, gibt es Kontrollroutinen und zum Teil Abschrankungen (Exitgates) zur Diebstahlprävention. „Dort, wo Scan&Go angeboten wird, verzeichnen wir zunehmende Nutzerzahlen“, erläutert Bonrath. Auf die Frage, was Rewe zu Bedenken wegen möglicher Stellenkürzungen oder eines möglichen Stellenabbaus sagt, lässt er wissen: „Auf den Personalbedarf hat dieser Service keinen Einfluss. Wie jede Branche steht der Lebensmitteleinzelhandel vor der Herausforderung des Fachkräftemangels. Unser Bedarf nach Personal für unsere Märkte steigt jährlich, während es immer weniger Bewerbungen auf die Stellen im Verkauf gibt. Kundenakzeptanz vorausgesetzt, kann die Digitalisierung in diesem Zusammenhang einfache bis eintönige Tätigkeiten im Supermarkt übernehmen, sodass sich Mitarbeiter um anspruchsvollere, komplexere und kundenorientiertere Aufgaben kümmern können. Dazu zählen unter anderem Kundenberatung, Aktionsaufbauten, Verkaufseventplanung, Sortimentspflege/Frischekontrollen et cetera in den sensiblen Abteilungen wie zum Beispiel Obst und Gemüse, Convenience, Blumen, Arbeiten für den Abholservice oder andere Services.“

Die Einschätzung von Konstantinos Grammatikopoulos von der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi), Landesbezirk Baden-Württemberg, fällt anders aus. Dabei legt er Ergebnisse einer Studie des „EHI Retail Institute“ aus Köln von 2022 und den Austausch mit Betriebsräten zugrunde. Zunächst stellt er fest, dass die Studie einen Trend in Richtung Selbstbedienungskassen prognostiziert. Auch die eigenen Beobachtungen zeigten, dass immer mehr Self-Checkout- und Self-Scanning-Systeme in anderen Branchen – Möbelhäuser, Baumärkte oder Textilbereich – installiert werden. Betriebsräte berichteten, dass oft vier solcher Selbstbedienungskassen in einem Betrieb eingerichtet werden, über die eine Person die Aufsicht hat. Das bedeute, die Arbeit, die bisher vier Kassiererinnen und Kassierer ausgeübt haben, übernimmt eine Person, die mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr als Kassiererin oder Kassierer eingruppiert werde. Dass diese Personen, die nicht mehr an der Kasse stehen, für die Attraktivität der Läden eingesetzt werden sollen, wie von Arbeitgebern argumentiert wird, sei für die Gewerkschaft in zweierlei Hinsicht problematisch.

Gefahren: Teilzeit und Dequalifizierung

Zum einen stelle sie keine verbindliche Zusage für die Arbeitsplatzerhaltung dar: „Vielmehr klingt es nach Floskeln zur Beruhigung der Beschäftigten oder soll sich in der Außendarstellung positiv auswirken.“ Zum anderen stellt sich die Frage – werden die Stellen erhalten – nach der künftigen Eingruppierung, sprich Bezahlung. Verdi sieht die Gefahr, dass die Beschäftigten in dieser Hinsicht herabgestuft werden – mit den entsprechenden finanziellen Konsequenzen. Es lasse sich weder automatisch von Entlassungen ausgehen, noch könne man sie kategorisch ausschließen. „Wovon aber aus unserer Sicht ausgegangen werden muss, ist der passive Arbeitsplatzabbau“, so der Gewerkschaftler, will heißen, Stellen ausscheidender Beschäftigter werden nicht wiederbesetzt. Und weiter: Man bewege sich von der in Vollzeit arbeitenden Fachkraft immer mehr in Richtung befristet, in Teilzeit beschäftigter fachfremder Kräfte. Es drohe eine Dequalifizierung des Personals und eine prekäre Beschäftigung, was Verdi äußerst kritisch beobachte.

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Erstellt:
3. August 2023, 06:00 Uhr

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