Streit über Krieg in Israel
Wenn der Nahost-Konflikt Schulen im Land entzweit
Der Krieg in Israel ist für Schulen in Baden-Württemberg ein herausforderndes Thema. Wo Lehrkräfte Hilfe finden, wenn Emotionen hochkochen und den Schulfrieden gefährden.

© dpa/Bernd Weißbrod
Der Krieg in Israel kann auch im Klassenzimmer und auf dem Schulhof für Streit sorgen.
Von Bärbel Krauß
Wenn der Krieg in Israel in deutsche Klassenzimmer schwappt, kann das aus zwei dicken Freundinnen in der sechsten Klasse Feinde machen und den Schulfrieden auch an Schulen hier in Baden-Württemberg belasten. So geschehen ist das zum Beispiel an einer Realschule irgendwo im Süden Baden-Württembergs. Sie hat mit vierzig Prozent zwar einen hohen Anteil von Schülern mit Migrationshintergrund; aber, so erzählt es die Rektorin, bisher habe die Frage, welche Religion jeder hat, eigentlich keine Rolle gespielt in der Schulgemeinschaft.
Krieg ist Thema an Schulen
Seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel hat sich das an dieser Schule geändert. Jetzt bringen die Kinder zu den aktuellen Ereignissen häufig höchstens halb verstandene Positionen von zu Hause mit und jede Menge Emotionen. Viele sind zugleich fasziniert vom Kriegsgeschehen und erschüttert von der Not. Sie wollen in der Schule darüber sprechen, ihr Mitleid mit den Opfern ausdrücken und finden sich plötzlich auf verschiedenen Seiten des Konflikts. „Bei uns brennt es vor Ort. In den Klassen mit hohem Ausländeranteil brodelt es, und wir wissen nicht, wie wir reagieren können“, sagt die Rektorin dazu.
Wie oft der Krieg in Israel zu ernsten Belastungen des Schulklimas hierzulande führt, darüber haben die Behörden noch keine Übersicht. Das Kultusministerium hat aber darauf reagiert, dass viele Lehrkräfte um Unterstützung und Informationen gebeten haben. Das Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung (ZSL) hat deshalb in Zusammenarbeit mit der Landeszentrale für politische Bildung ein Informationspaket auf die Homepage gestellt. Zur Soforthilfe bietet das ZSL seit Beginn dieser Woche eine tägliche Online-Sprechstunde. Dort können sich Lehrkräfte und Schulleiter mindestens bis zu den Herbstferien täglich Rat holen, wenn an einer Klasse oder ihrer Schule ein Nahostkonflikt im Kleinen aufbricht.
Wo Fakten wenig weiterhelfen
Wie das eskalieren kann, hat eine Teilnehmerin der Sprechstunde anschaulich geschildert: Da stand zum Beispiel die Aussage im Klassenzimmer, dass alle Kinder grundsätzlich als Muslime geboren würden. Der Hinweis, dass Jesus, der das Gebot zur Nächstenliebe formuliert habe, Jude gewesen sei, provozierte Widerspruch: Jesus – ein Jude? Das gehe aber gar nicht!
Dass manche Schüleräußerung völlig unreflektiert ist, liegt für die Lehrkräfte auf der Hand. Eine pädagogisch sinnvolle Antwort darauf zu geben, ist trotzdem nicht leicht. Die in Politik und Medien transportierte Forderung, im Blick auf den aktuellen Krieg klar Position zu beziehen, den Angriff der Hamas als Terroranschlag einzuordnen und das Selbstverteidigungsrecht Israels zu betonen, schreckt manchen Lehrer auch. Im Blick auf den Schulfrieden wäre es einfacher, Neutralität zu wahren.
Patentrezepte gibt es nicht
Mit Patentrezepten können auch die Experten vom ZSL in der Sprechstunde nicht aufwarten. Aber einige Ideen zum Entschärfen der Konflikte haben sie schon. Hakan Turan, der Gymnasiallehrer ist und Seminare in der Lehrerbildung über den Umgang mit muslimischen Schülern gibt, gibt vielleicht den wichtigsten Hinweis. Er rät dazu, die Zweifrontenstellung zwischen Israel und Hamas aufzubrechen: „Man muss deutlich machen, dass die israelischen Bürger so wenig mit der Regierung Netanjahu gleichzusetzen sind, wie das palästinensische Volk und die Hamas. Auf beiden Seiten wollen die meisten Menschen Frieden“, sagt Turan. „Auf dieser Grundlage kann man die Hamas als Terrororganisation bezeichnen, ihr Handeln verurteilen und zugleich klar machen, dass die meisten Palästinenser unter dem Vorgehen der Hamas leiden.“ Ada Düwel, die selbst Berufsschul- und Beratungslehrerin ist, betont, dass Lehrer hochkochenden Emotionen Raum geben sollten. Mit Faktenwissen dagegen zu halten, bringe wenig. „Ganz wichtig ist aber der Hinweis, dass die Schule klare Regeln hat und dass jeder andere Standpunkte ertragen muss“, erklärt Düwel.
Wo die Meinungsfreiheit endet
„Es ist gut, wenn in einer Klasse jeder zu Wort kommt. Das gilt auch für Aussagen, die einem absurd vorkommen mögen“, ergänzt ZSL-Referent Daniel Felder. Allerdings sei es zugleich wichtig, Grenzen zu setzen: Das Existenzrecht Israels dürfe nicht in Frage gestellt werden. Die Hamas müsse als Gegenspieler Israels charakterisiert werden, der gemäß seiner eigenen Charta kein Interesse an Frieden habe und zur Vernichtung Israels und der Juden aufrufe. Außerdem gelte es aufzupassen, dass muslimische Schüler nicht als antisemitisch gebrandmarkt würden.
Hilfsangebot für Schulen
InternetDas Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung hat auf seiner Internetseite Informationsmaterial über den Nahostkonflikt, die Geschichte Israels und Palästinas und Handreichungen zum Umgang mit Antisemitismus an Schulen bereitgestellt.
FortbildungKurz vor Weihnachten und Anfang Januar gibt es mehrere Fortbildungsangebote für Geschichte- und Gemeinschaftskundelehrer. Thema ist der Nahostkonflikt in heterogen zusammengesetzten Klassen.