Wenn Frauen ihre Männer schultern

Sagenhaft Ob sich die Geschichte der klugen Weiber von Weinsberg wirklich so zutrug, ist aber umstritten

Wenn Frauen ihre Männer schultern

weinsberg Als Bundespräsident Richard von Weizsäcker nach den Heldinnen der deutschen Geschichte gefragt wurde, sagte er: „Das sind die treuen Weiber von Weinsberg.“ Was diese vor fast tausend Jahren getan haben sollen, hat die Kölner Königschronik so überliefet: „Im Jahre des Herrn 1140. Der König belagerte eine Feste des Herzogs Welf von Bayern namens Weinsberg und brachte sie zur Kapitulation, wobei er den Ehefrauen und den übrigen Weibern, die sich hier vorfanden, mit königlichem Edelsinn die Erlaubnis gab, dass jede forttragen dürfe, was sie auf ihren Schultern vermochte. Diese aber, ebenso auf die Treue zu ihren Männern wie auf die Rettung der übrigen bedacht, ließen das Hausgerät beiseite und stiegen herab, indem sie ihre Männer auf den Schultern trugen. Als Herzog Friedrich widersprach, dass man solches hingehen lasse, erklärte der König, der die Hinterlist der Weiber nicht übelnahm, es schicke sich nicht, an einem Königswort zu deuteln.“

Schickt es sich, am Wahrheitsgehalt dieser Schrift aus dem Jahr 1170 zu deuteln? Keine Sage, sondern historisch verbürgt, heißt es immer wieder. Allerdings: Der Verfasser der Königschronik steht unter weiteren Quellen allein mit seiner rührenden Geschichte. Ob Fantasie oder Fakt – darüber darf diskutiert werden. Sicher ist auf jeden Fall die Wirkung dieser Geschichte – sie wurde zu einem Lieblingsthema von Malern, Schriftstellern und Dichtern. Da schwingen alle Töne mit. Wie bei Gottfried August Bürger. Weinsberg gefiel dem Zeitgenossen Schillers, der sechs Kinder von drei Frauen hatte, schon aus einschlägigen Gründen gut: „Soll sein ein wackres Städtchen, viel Weiberchen und Mädchen.“

Geradezu drastisch lässt er, stets um einen volksnahen Ton bemüht, seinen Stauferkönig wütend ausrufen, weil die Belagerung der Burg sich hinzog: „Ihr Schurken, komm ich rein, so wisst: Soll hängen, was die Wand bepisst.“ Der Feuilletonist Hellmuth Karasek hat sich seine eigene Interpretation dieser Zeilen gemacht: „Hier wird also zum ersten Mal ein Mann als Stehpinkler verhöhnt.“

Der revolutionär gesinnte Publizist Ludwig Pfau wurde noch viel sarkastischer und verglich 1849 das Worthalten des Stauferkönigs mit dem Preußenkönig seiner Zeit, der die Demokratiebewegung im Stich gelassen und sogar blutig unterdrückt hatte: „Was dort ein deutscher Fürst getan, das scheint mir wunderbarer: Er hielt sein Wort dem Untertan, das ist, bei Gott!, viel rarer.“

Und Bertolt Brecht verfremdete die Geschichte und ihre Moral völlig: „Als man den Weibern in die Säcke schaute, stellte es sich heraus, dass die Klügeren da drin nicht ihren Ehemann, sondern das schwerer zu ersetzende Bettzeug gerettet hatten.“

Der Nachruhm der treuen Weiber zeigte sich auch an der Burg selbst. Die war im Laufe der Jahrhunderte zum Steinbruch für die Weinsberger Bürger verfallen. Bis der Arzt und Autor Justinus Kerner im Jahr 1819 an den Burghügel zog und den Wiederaufbau initiierte – mithilfe eines Frauenvereins. Kerners Denkmalschutz-Engagement war eine Premiere im Land. Ein cleverer Bauleiter war er auch, wie sein Sohn Theobald festhielt: „Die Taglöhner waren von äußerstem Fleiße, jeder wollte der erste an der Arbeit sein; sie hofften, einen Schatz zu finden, in welchem Glauben sie mein Vater, um sie zum Geschäfte zu treiben, bestärkte, indem er hie und da eine abgeschliffene Münze, farbige Glasperlen und so weiter in den Schutt steckte.“ Es hat sich gelohnt: Die Burg, die in der NS-Zeit den Nazigrößen als „Walhalla der deutschen Frauen“ angedient wurde, ist ein Ausflug wert.

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Erstellt:
21. Januar 2019, 16:11 Uhr

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