Wenn im Backnanger Kino auch gelesen wird

Der Verein für Leseförderung unterstützt auf vielfältige Weise Projekte, die Kindern Freude am Lesen vermitteln. Die Grundschüler aus Lippoldsweiler beispielsweise lernen den „Räuber Hotzenplotz“ als Buch und als Film kennen.

Finn, Leara und Estelle (von links) tragen ihren Mitschülern Passagen aus „Der Räuber Hotzenplotz“ vor. Foto: Alexander Becher

© Alexander Becher

Finn, Leara und Estelle (von links) tragen ihren Mitschülern Passagen aus „Der Räuber Hotzenplotz“ vor. Foto: Alexander Becher

Von Simone Schneider-Seebeck

Backnang. Wer möchte nicht gern einmal den Vormittag im Kino verbringen, anstatt im Klassenzimmer zu sitzen? Und dann auch noch ganz offiziell? Der Verein für Leseförderung macht es möglich. Und so wuseln an diesem besonderen Schultag Kinder der Klassen 1 bis 4 der Grundschule Lippoldsweiler durch das Kino Universum in Backnang. „Der Räuber Hotzenplotz“ steht auf dem Programm. Die Kinder machen es sich in den Kinosesseln bequem, Schulleiterin Barbara Hirzel erklärt kurz den Ablauf. Bevor der Film startet, lesen zwei Gruppen der Klassen 3 und 4 aus dem beliebten Kinderbuch von Otfried Preußler. Finn, Leara und Estelle dürfen beginnen. Estelle und Finn haben sich sogar passend zu ihren Rollen als Großmutter und Räuber verkleidet.

Sehr gut haben sich die drei Drittklässler vorbereitet. Sie lesen schön langsam und verständlich und geben ihren Rollen auch sprachlich wunderbar Ausdruck. Am Ende applaudieren die Schulkameradinnen und -kameraden. Als nächstes sind dann die Viertklässler dran. Selbst schwierige oder heutzutage nicht mehr so gebräuchliche Wörter – immerhin ist der Klassiker bereits vor über 60 Jahren erschienen – meistern Zeinab, Ben, Finn, Tamara und Leonie mühelos und werden ebenfalls mit Beifall belohnt. Nun noch das Popcorn verteilen und dann geht es mit der Literaturverfilmung los – ein gelungener Abschluss für das Thema „Räuber Hotzenplotz“ an der Schule.

Geflüchtetes Mädchen liest fehlerfrei

Dorina Rieger und Katrin Weber, die Klassenlehrerinnen der 3. und 4. Klasse, sind stolz auf ihre Schützlinge. Wie die Kinder für das Vorlesen ausgewählt worden sind? In beiden Klassen hatte es ein Vorlese-Casting gegeben. Die Jury bestand aus den Klassenkameraden. Zunächst wurden Kriterien erarbeitet, anhand derer die Kandidatinnen und Kandidaten bewertet wurden, was auch erstaunlich gut geklappt hatte. Jedes Kind habe anhand der Kriterien begründen müssen, warum es für seinen Kandidaten gestimmt habe.

Schulleiterin Hirzel hebt vor allem die Leistung von Zeinab hervor, denn: „Sie ist ein Flüchtlingskind, das seit vier Jahren bei uns an der Schule ist.“ Als sie vor etwa fünf Jahren nach Deutschland gekommen sei, habe sie kein Wort Deutsch gesprochen. Und nun hat sie einen fehlerfreien Vortrag gehalten. „Toll, dass sie sich vor allen getraut hat“, findet Hirzel. Was selbstverständlich auch für die anderen Kinder gilt.

Dass diese Kinolesung möglich ist, verdanken die Kinder auch dem Verein für Leseförderung, der sich finanziell an dem Projekt beteiligt. Den Verein hat Theo Kaufmann 2004 ins Leben gerufen. Er erinnert sich: „Im Dezember 2001 waren die Ergebnisse der Pisa-Studie veröffentlicht worden.“ Die Nachricht, wie Deutschland damals abgeschnitten hatte, sei ein Schock gewesen. Deutschland hatte bei der Lesekompetenz 16 Punkte unter dem OECD-Mittelwert gelegen, Platz 21 von 31.

Verein engagiert sich seit fast 20 Jahren

„Man zeigt ja immer gern auf andere“, so Theo Kaufmann. Das ist nicht sein Ding. Und so beschloss er, sich für eine bessere Lesekompetenz einzusetzen. Der (mittlerweile ehemalige) Deutschlehrer fand Gleichgesinnte und so wurde der Verein für Leseförderung im April 2004 ins Leben gerufen, dessen Vorsitzender Theo Kaufmann seither ist.

In den fast 19 Jahren seines Bestehens hat sich die Anzahl der Vereinsmitglieder vervielfacht, es sind aktuell um die 970, was sicher auch seinem hartnäckigen Werben zu verdanken ist. „Ich bin Missionarssohn“, verrät der Vereinsvorsitzende schmunzelnd. So hat er bereits als Kind einiges an Handwerkszeug mitbekommen, um erfolgreiche Überzeugungsarbeit leisten zu können. Die Arbeit und das Engagement des Vereins sind dabei sehr vielfältig. Bereits seit 2008 verleiht er den Jugendsachbuchpreis, eine Initiative, um insbesondere, aber natürlich nicht nur Jungs für das Lesen zu begeistern. Wichtig ist Kaufmann bei diesem Preis vor allem, zu berücksichtigen, was Kinder literarisch überhaupt anspricht. Seinen Erfahrungen nach gehen andere Kinder- und Jugendbuchpreise da doch immer wieder an der Realität vorbei. Deshalb gehören der Jury neben Einzelpersonen auch Kind-Erwachsener-Tandems an.

Weitere Aktionen und Projekte des Vereins beinhalten Leseförderung in Kindergärten und Schulen, Organisation von Wettbewerben mit den Plattformen Antolin und Onilo, Fortbildungen für Schüler zu Lesescouts sowie auch Initiierung und Unterstützung von Leseclubs an Schulen, etwa aktuell unter anderem an der Grundschule Lippoldsweiler und der Walterichschule in Murrhardt. Erst kürzlich hatte in der 1. Klasse der Grundschule Lippoldsweiler ein Lesewettbewerb stattgefunden. „Für jeden Punkt, den die Kinder erlesen haben, gab es Geld“, so Theo Kaufmann. Der Erlös wurde dann an den Integrationskreis gespendet.

Der Jugendsachbuchpreis

Ausrichter In Kooperation mit der Experimenta Heilbronn organisiert und vergibt der Verein für Leseförderung mit Sitz in Waiblingen den Jugendsachbuchpreis (JSP). Dieses Jahr wird er am 25. November 2023 vergeben. Im vergangenen Jahr hat der Verein den dritten Platz beim Bürgerpreis Rems-Murr gewonnen.

Jury Interessierte, gern auch Kinder, die in der Jury mitwirken möchten, können sich beim Vereinsvorsitzenden Theo Kaufmann per E-Mail melden (theo.kaufmann@t-online.de). Zum JSP gehören drei regionale Jurygruppen. Bei den ersten Treffen im Mai können sich die Juroren Titel als Patenbücher auswählen und haben bis zum Herbst Zeit, sich für einen Favoriten zu entscheiden. Im Herbst finden Treffen der Regionaljurys in Ilsfeld, Rudersberg oder Auenwald statt. Dort stellen die Juroren in zwei Minuten ihren Favoritentitel vor. In einer letzten Gesamtsitzung am 21. November werden die Siegertitel durch die Jury gewählt. Beim JSP werden Preise mit einer Summe von je 1000 Euro in den Kategorien Original- und Lizenztitel sowie „Mit+ Kreativ“ vergeben.

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Erstellt:
6. März 2023, 06:00 Uhr

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