Realer Krimi: Identifizierung von Vermissten
Wer ist er/sie? Skelettierte Leiche im Wald in Bayern entdeckt
In einem Waldstück am Drachensee in der Oberpfalz stößt ein Spaziergänger auf menschliche Überreste. Eine polizeiliche Obduktion kann die Identität zunächst nicht klären. Wer ist die Person? Und wie geht die Polizei nun weiter vor?
© Imago/Martin Müller
Polizeiabsperrung am Fundort einer Leiche (Symbolfoto).
Von Markus Brauer
In einem Wald nahe des Drachensees in der Oberpfalz (Landkreis Cham) ist eine skelettierte Leiche entdeckt worden.
Identität der Leiche noch unklar
Ein Spaziergänger fand die menschlichen Überreste in einem Waldstück im Kreis Cham, wie die Polizei in Regensburg am Montag (27. Oktober) mitgeteilt hat. Zur Identität und zum Geschlecht konnten die Ermittler bislang keine Angaben machen. Die Ermittlungen zur Todesursache dauerten an.
Der Spaziergänger stieß demnach bereits Mitte Oktober bei Furth im Wald auf den Leichnam. Eine Obduktion ergab zunächst keine näheren Erkenntnisse zur Identität. Die entnommene DNA soll nun im In- und Ausland mit dem polizeilichen Daten abgeglichen werden – auch mit Vermisstenfällen.
9420 Vermisste in Deutschland
Am 1. Januar 2025 waren in „INPOL“ insgesamt rund 9420 Fälle vermisster Personen in Deutschland registriert. In dieser Zahl sind sowohl Fälle vermisster Personen enthalten, die sich innerhalb weniger Tage aufklären, als auch über viele Jahre oder sogar Jahrzehnte Vermisste, deren Aufenthaltsort oder Verbleib nicht festgestellt werden konnte.
- Zur Info: Das Informationssystem der Polizei (INPOL) ist ein elektronischer Datenverbund zwischen Bund und Ländern. Das Bundeskriminalamt (BKA) betreibt diesen Verbund, in dem alle Polizeibehörden in Bund und Ländern Daten einspeichern und abrufen können.
100.000 vermisste Kinder und Jugendliche
Allein mehr als 100 000 Kinder und Jugendliche werden nach Angaben der Initiative Vermisste Kinder in Hamburg jedes Jahr in Deutschland als vermisst gemeldet. Die Hälfte der Fälle klärt sich laut BKA innerhalb der ersten Woche auf, nach einem Monat sind 80 Prozent gelöst. Nur etwa drei Prozent der Vermissten sind nach einem Jahr noch verschwunden.
Das BKA hat in seiner Vermisstendatei („Vermisste/unbekannte Tote“ – Vermi/Utot) insgesamt rund 12.000 aktuelle Vermisstenfälle gespeichert – darunter die erwähnten 9420 Fälle von Betroffenen in Deutschland. „In dieser Zahl sind sowohl Fälle enthalten, die sich innerhalb weniger Tage aufklären, als auch Vermisste, die bis zu 30 Jahren verschwunden sind“, heißt es beim BKA.
In dieser Datei Vermi/Utot sind auch die seit dem Jahr 1995 ungeklärten Fälle zu vermissten Kindern bis zum 13. Lebensjahr erfasst. „Dramatische Fälle, die unaufgeklärt bleiben, bewegen sich im Jahresmittel im niedrigen ein- bis zweistelligen Bereich“, erklärt ein Mitarbeiter der Initiative Vermisste Kinder. Die allermeisten Jugendlichen tauchten binnen kürzester Zeit wieder auf. Doch in einer Vielzahl von Fällen tappe die Polizei im Dunkeln.
Täglich 200 bis 300 neue Fahndungen
Täglich werden in der Fahndungsdatei des BKA in Wiesbaden 200 bis 300 Fahndungen neu erfasst oder gelöscht. Bei Nichtaufklärung bleibt die Fahndung 30 Jahre bestehen. Die Polizei ist europaweit vernetzt: Europol, BKA und LKAs gehen jedem Hinweis nach.
In der BKA-Vermisstenstelle wird jedes Schicksal detailliert erfasst. Wenn sich die Spuren im Nichts verlieren, müssen die Ermittler davon ausgehen, dass die betreffende Person verunglückt oder einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen ist.
Manchmal findet man die Leiche. Dann können die Angehörigen zumindest ihr Familienmitglied beerdigen und Abschied nehmen. Einige Vermisste tauchen aber nie wieder auf, weil sie in einem Baggersee ertrunken oder in einem Steinbruch verschüttet worden sind. Der Familie bleibt nichts außer Erinnerungen.
Wie eine Vermissten-Fahndung abläuft
In der Polizeidienstvorschrift (PDV) 389 „Vermisste, unbekannte Tote, unbekannte hilflose Personen“ ist genau geregelt, wie bei Vermisstenmeldungen vorzugehen ist:
- Minderjährige dürfen demnach ihren Aufenthaltsort nicht selbst bestimmen. Bei ihnen wird grundsätzlich von einer Gefahr für Leib und Leben ausgegangen. Wenn erforderlich, läuft eine Großfahndung an.
- Reicht das Personal einer Dienststelle nicht aus, wird die Hilfe der Bereitschafts- und Bundespolizei angefordert. Hunderte Beamte durchkämmen dann die Gegend, in der ein Minderjähriger verloren gegangen ist oder vermutet wird.
Age processing
Mit modernsten kriminologischen Methoden wird heute nach Vermissten gefahndet. Enorm belastend für viele Familien ist das Age processing, ein aus den USA stammendes Fahndungsverfahren.
Fotos von dauerhaft vermissten Kindern werden am Computer an das tatsächliche Alter der Verschwundenen angepasst und so ein aktualisiertes Fahndungsfoto erstellt. Die Eltern sehen ihr vermisstes Kind auf dem Bildschirm älter werden. Sollte das verschwundene Kind nach Jahren tatsächlich noch leben, hätte sich sein Aussehen frappierend verändert.
Spektakuläre Vermisstenfälle
August 2009 Die argentinische Polizei nimmt in der Provinz Corrientes einen 74-Jährigen fest, der seine drei Töchter und drei der sieben Inzestkinder, die er mit der heute 29-jährigen Tochter hatte, über mehr als 15 Jahre sexuell missbraucht haben soll. In den Medien erhält der Mann den Beinamen „Schakal von Corrientes“.
März 2009 In Turin in Italien wird eine 34-Jährige nach 22 Jahren Gefangenschaft befreit. Die Frau wurde 25 Jahre lang von ihrem Vater und ihrem Bruder vergewaltigt, mit zwölf Jahren sperrten diese das Opfer in eine dunkle Kammer und missbrauchten das Mädchen immer wieder. Das Opfer durfte das Zimmer zwar verlassen, war laut Staatsanwaltschaft aber psychisch vom Vater abhängig. Der 41-jährige Bruder soll auch seine eigenen vier Töchter vergewaltigt und misshandelt haben.
Januar 2009 Bei der Entbindung im Krankenhaus fliegt auf, dass eine 15-Jährige aus Ptuj (Pettau) in Slowenien von ihrem Vater geschwängert und jahrelang sexuell missbraucht worden ist. Der Mann sperrte das schwangere Mädchen im Haus ein.September 2008Eine 21-Jährige in Polen zeigt ihren Vater an, der sie sechs Jahre lang eingesperrt, missbraucht und zweimal geschwängert haben soll. Der 45-Jährige hielt seine Tochter offenbar jahrelang in einem Raum ohne Türklinke gefangen. Die Kinder brachte die Frau im Spital zur Welt, sie wurden zur Adoption freigegeben.
Mai 2008 In Argentinien überführt die Polizei einen 69-Jährigen wegen jahrelangem Missbrauch an einer seiner Töchter. Der argentinische Sexualtäter, der in den Medien als „Monster von Mendoza“ bezeichnet wird, sperrte seine Tochter zwischen deren elftem und 22. Lebensjahr in seinem Haus ein und zeugte mit ihr zwei Kinder.
April 2008 Ein Inzestfall in Amstetten in Österreich sorgt weltweit für Aufsehen: Eine 42-jährige Frau wird nach 24 Jahren Gefangenschaft im winzigen Keller ihres Vaters Josef Fritzl befreit. Der 74-Jährige misshandelte und vergewaltigte seine Tochter jahrelang und zeugte mit ihr sieben Kinder. Diese brachte die Frau ohne ärztliche Hilfe im Verlies zur Welt, drei davon lebten mit ihm und seiner Ehefrau in Freiheit, drei mit der Mutter in Gefangenschaft, ein Baby starb.Fritzl wurde wegen Mordes, Vergewaltigung, Freiheitsentzug, schwerer Nötigung, Sklavenhandels, und Inzest angeklagt. Das Landgericht St. Pölten verurteilte ihn zu lebenslanger Haft mit anschließender Verwahrung in einer Anstalt für „geistig abnorme Rechtsbrechee“.
März 2007 Die südafrikanische Polizei befreit zwei Mädchen aus einem Erdloch, von denen eines mehr als zwei Jahre in der Gewalt ihres Peinigers war. Nach Angaben der Ermittler waren die beiden Kinder im Alter von vier und 14 Jahren Opfer eines Serientriebtäters. Der Mann hat behauptet, er sei der Vater der Mädchen.
September 2006 In Ungarn wird der Fall einer 27-Jährigen bekannt, die 13 Jahre lang von ihrem Vater, einem Gefängniswärter, gefangen gehalten und sexuell missbraucht wurde. Vor den Augen ihrer schwer kranken Mutter hatte der Vater sie regelmäßig vergewaltigt. Erst als der Mann starb, endete das Martyrium der Frau aus Budapest.
August 2006 Die 18 Jahre alte Wienerin Natascha Kampusch taucht nach acht Jahren wieder auf. Das Mädchen war im Alter von zehn Jahren auf dem Schulweg entführt und in einem Verlies unter der Garage seines Kidnappers Wolfgang Priklopil in Strasshof in Niederösterreich eingesperrt worden. Kampusch gelang in einem unbeobachteten Moment die Flucht, der Täter nahm sich am selben Tag das Leben.
Juni 2001 Ein achtjähriges Mädchen wird im US-Bundesstaat Texas vier Jahre lang von den Eltern in einem Kasten eingesperrt. Die Polizei findet das halb verhungerte Kind in einem rund 180 mal 80 Zentimeter großen Möbelstück in ihrem Elternhauses bei Dallas gefunden. Das Mädchen wiegt nur 12,5 Kilogramm, ist von Läusen übersät und liegt inmitten von Unrat, Urin und Kot.
Februar 2001 Eine 27-jährige Österreicherin, die als 18-Jährige in Linz von einer Pflegefamilie aufgenommen worden war, wird nach neun Jahren Gefangenschaft und Missbrauch durch ihren Pflegevater befreit. Sie lebte in einem Besenkammerl ohne Bett. Die junge Frau muss Zeitungen austragen, den Lohn dafür kassiert die Pflegefamilie.
August 1996 80 Tage lang wird Sabine Dardenne im Keller des Hauses von Marc Dutroux in Marcinelle gefangen gehalten, bis die Polizei ihr Martyrium beendet. Die damals Zwölfjährige war auf dem Weg zur Schule gewesen, als sie der belgische Kinderschänder zusammen mit einem Komplizen vom Fahrrad riss.
Juli 1996 Der Fall „Maria K.“ wird bekannt: Ein Wiener Ehepaar hielt ihre geistig etwas zurückgebliebene 23-jährige Adoptivtochter „wie ein Tier“ in einer sargähnlichen Holzkiste in einem nicht beheizten Abstellraum. Schon im Alter von 15 wird das Mädchen mit mehreren unbehandelten Knochenbrüchen und Erfrierungen ins Spital eingeliefert. Maria K. muss das gesamte Jahr im Garten leben (mit AFP/dpa-Agenturmaterial).
