„Wichtige Themen werden ausgesessen“

Das Sommerinterview: Charlotte Klinghoffer vom Bürgerforum Backnang wirft der Stadtverwaltung Verschleppungstaktik vor

Hinter dem Bestattungsinstitut „Zur Ruhe“ führt ein steiler Weg hinauf zu einem Hochplateau. Dort hat Charlotte Klinghoffer, Vorsitzende des Bürgerforums Backnang, für unser Sommerinterview ein Sofa und einen Tisch aufgebaut. Für die Stadträtin ist es ein Ort mit Symbolkraft: „Von hier oben hat man den Weitblick. Den sollte man auch in der Kommunalpolitik nie verlieren.“

Charlotte Klinghoffer äußert sich kritisch zur Flüchtlingspolitik, sieht das Bürgerforum aber nicht auf AfD-Kurs. Foto: A. Becher

© Pressefotografie Alexander Beche

Charlotte Klinghoffer äußert sich kritisch zur Flüchtlingspolitik, sieht das Bürgerforum aber nicht auf AfD-Kurs. Foto: A. Becher

Von Kornelius Fritz

Frau Klinghoffer, ist das Bürgerforum die kommunalpolitische Heimat für AfD-Wähler?

Das habe ich noch nie so gesehen, denn kein einziges unserer Mitglieder und auch kein Teilnehmer an unseren Runden ist oder war AfD-Mitglied. Ich würde mich auch dagegen wehren. Wir sind ja gerade dabei, die Liste für die Kommunalwahl zusammenzustellen, und da hatte sich auch ein aktives AfD-Mitglied bei uns gemeldet. Aber so jemand hat bei uns nichts zu suchen.

Andererseits warnt Ihr Fraktionsvorsitzender Alfred Bauer regelmäßig vor einer „Islamisierung“ und Eric Bachert hat kürzlich im Gemeinderat Flüchtlinge als „Glücksritter“ bezeichnet. Das ist doch die Wortwahl der AfD.

Nein. Ich finde, wir müssen uns lösen von diesen Schlagwörtern: Auf der einen Seite die Gutmenschen, auf der anderen Seite die Bösen. Es gibt auch die Mitte und dafür stehen wir. Jeder, der Schutz bedarf, kann bei uns Schutz bekommen. Das ist ganz selbstverständlich. Aber es kann nicht sein, dass wir hier Wirtschaftsflüchtlinge aufnehmen. Und das meint Eric Bachert mit „Glücksrittern“. Wir müssen unterscheiden: Wer flüchtet? Wer wird in seiner Heimat bedroht oder bombardiert? Das ist etwas ganz anderes als das, was jetzt auf uns zurollt. Und ich denke, da spreche ich vielen aus dem Herzen.

Im März hat Ihre Fraktion gegen den Bau einer Flüchtlingsunterkunft in der Backnanger Fabrikstraße gestimmt. Die Stadt ist aber gesetzlich verpflichtet, die Asylbewerber unterzubringen, die die Gemeinschaftsunterkünfte des Landkreises verlassen. Wollen Sie diese Menschen auf die Straße setzen?

Nein, wir wollen niemanden auf die Straße setzen, aber wir wollten ein Zeichen setzen. Nicht alle, die dort unterkommen, sind Bedürftige. Da sind auch Leute dabei, bei denen noch Verfahren anhängig sind und die nicht ausgewiesen werden können. Deshalb wollten wir klarmachen: So ist es nicht richtig, schon gar nicht zentral. Diese Gettoisierung geht gar nicht. Wie will man diese Menschen denn einbinden in ein normales Umfeld? Wir haben den großen Fehler gemacht, dass wir nicht dafür Sorge getragen haben, dass es genügend bezahlbaren Wohnraum gibt. Da ist über Jahrzehnte etwas versäumt worden, was wir jetzt nicht mehr auffangen können. Alleine in Backnang gibt es 350 Menschen mit Wohnberechtigungsschein, die auf eine Wohnung warten.

Auch der Einstellung eines weiteren Integrationsmanagers hat Ihre Fraktion kürzlich die Zustimmung verweigert. Gerade wenn man den Zuzug von Menschen aus anderen Kulturkreisen kritisch sieht, müsste man doch dafür sein, die Integration zu fördern.

Integration wird gefördert, wenn die Menschen eine Wohnung haben, wenn sie in Vereine gehen, wenn sie arbeiten. Aber nicht, indem ihnen jemand das Händchen hält.

Aber Aufgabe der Integrationsmanager ist es doch, die Menschen genau bei diesen Dingen zu unterstützen.

Das ist sicher eine ehrenvolle Arbeit und ich bewundere jeden, der das kann und von 20 Menschen vielleicht einen auf den Weg bringt. Aber viele von denen, um die sich die Integrationsmanager kümmern sollen, haben gar kein Bleiberecht. Und dafür will die Stadt 240000 Euro ausgeben. Da muss ich sagen: Das Geld können wir anders sinnvoller einsetzen.

Mit seiner „Traueranzeige“ für das Kaelble-Areal hat Riva-Chef Hermann Püttmer kürzlich für Wirbel gesorgt. Ihre Fraktion hat als einzige Verständnis für diese Aktion erkennen lassen. Bekommt der Investor tatsächlich zu wenig Unterstützung von der Stadt?

Die „Traueranzeige“ und vor allem ihre Platzierung fanden auch wir unpassend. Ich sehe aber das Problem, dass wichtige Themen in der Stadt einfach ausgesessen werden. Es kann nicht sein, dass aufgrund von irgendwelchen Befindlichkeiten Sachen nicht zügig auf den Weg gebracht werden. Außerdem stört es uns, dass so oft und so viel nicht öffentlich besprochen wird. Die Dinge gehören an die Öffentlichkeit, und es wird nicht besser, wenn man Dinge drei Monate vertagt und dann wieder drei Monate und noch mal drei Monate. Herr Püttmer ist ein Mensch mit Ecken und Kanten, und es ist bestimmt nicht leicht, mit ihm umzugehen. Aber es ist die Aufgabe der Stadt, auch mit solchen Menschen klarzukommen.

Halten Sie die Pläne von Architekten Helmut Jahn denn für eins zu eins umsetzbar?

Eins zu eins sicher nicht. Aber ein Modell ist ein Modell und darüber muss man ins Gespräch kommen. Mit kleinen Abänderungen finde ich das, was da entstehen könnte, traumhaft: Nur 30 Prozent sind bebaut, 70 Prozent Grünflächen entlang der Murr. Für dieses hässliche Areal wäre das eine absolute Aufwertung und eine Idee, über die man sprechen muss. Aber dafür muss uns Herr Püttmer entgegenkommen und die Stadt muss auch mal einen Schritt tun.

Nicht nur auf dem Kaelble-Areal soll etwas Neues entstehen. Backnang erlebt zurzeit einen regelrechten Bauboom. Damit verbunden sind auch negative Begleiterscheinungen wie eine weitere Zunahme des Verkehrs. Ist das momentane Wachstum der Stadt überhaupt erstrebenswert?

Ich lebe jetzt 51 Jahre in dieser Stadt und habe meine ganze Jugend hier verbracht. Für die Jungen ist und bleibt Backnang eine Schlafstadt. Ich glaube, das kann man nur durch Wachstum ändern. Eine Hochschule und Studentenwohnheime würden diese Stadt zum Leben bringen. Aber das Wachstum muss verträglich sein und man braucht ein Verkehrskonzept. Das Kaelble-Areal ist meiner Meinung nach mit dem richtigen Konzept super zu erschließen. An anderer Stelle, etwa Richtung Weissacher Straße, sehe ich da mehr Probleme.

Auch die Stadt selbst plant eine ganze Reihe von Bauprojekten: Von der Umgestaltung des Rathausplatzes über den Bahnhofsbereich bis zum Neubau der Karl-Euerle-Halle. Ist das alles angesichts der rasant steigenden Baukosten überhaupt zu finanzieren oder müssen irgendwo Abstriche gemacht werden?

Wir stellen seit Jahren fest, dass wir auf die kalkulierten Baukosten 15 bis 25 Prozent draufschlagen müssen. Aber die Verwaltung hat noch immer nicht gelernt, dass sie diesen Puffer von Anfang an einplanen muss. Bei der Karl-Euerle-Halle reden sie immer noch von 11 oder 12 Millionen Euro. Sie sollen doch einfach mal ehrlich sein: Wir werden am Ende – mit Parkhaus – bei 20 Millionen landen. Natürlich kann man Schulden aufnehmen, aber nur für Dinge, die wirklich wichtig für das Vorankommen der Stadt sind, zum Beispiel für den Bahnhof, der ein Schandfleck ist. Aber 20 Millionen für die Karl-Euerle-Halle – das gibt unser Haushalt nicht her.

Was soll denn mit der alten Halle passieren?

Eine Renovierung ist sicher nötig, aber wir sollten uns auf das Minimum beschränken und auf eine Erweiterung verzichten. Wo sollen die Leute denn alle parken? Da freut sich höchstens die Stadt beim Strafzettelschreiben.

Bei der Kommunalwahl 2019 werden Bürgerforum und FDP mit einer gemeinsamen Liste an den Start gehen. Riskieren Sie damit nicht, Wähler zu verlieren, die das Bürgerforum auch wegen seiner parteipolitischen Unabhängigkeit gewählt haben?

Das wird sicherlich passieren, aber ich denke, wir werden mehr hinzugewinnen, weil wir jetzt ein größeres Spektrum abdecken. Es war schon lange an der Zeit, diese Verbindung einzugehen. Alleine schon deshalb, weil bei uns schon immer FDP-Leute im Gemeinderat saßen, aber nie als solche aufgetreten sind. Unser Ziel ist es, dass wir als die bürgerliche Mitte wahrgenommen werden.

Wie weit sind Sie bei der Aufstellung der Liste?

Eigentlich ist sie schon voll. Wir hoffen noch auf ein paar Trümpfe, aber sie ist auch jetzt schon gut besetzt.

Wird auch der inzwischen 86 Jahre alte Alfred Bauer noch einmal antreten?

Dazu sage ich jetzt noch nichts. Das gibt eine Überraschung.

Und das Flüchtlingsthema wird in Ihrem Wahlkampf eine zentrale Rolle spielen?

Ein zentrale sicherlich nicht, aber das wird auch ein Thema sein. Es wäre ja schlimm, wenn wir davor die Augen verschließen würden.

Charlotte Klinghoffer Zur Person

Zum Artikel

Erstellt:
27. August 2018, 06:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen