Wie Aspach zum See der Kirchberger Angler kam

50 Jahre Gemeindereform: Kirchberg gab bei der Reform Anfang der 1970er-Jahre den Wüstenbachhof an die Nachbarkommune ab. Planungen zur Erweiterung der Gemeinde um Rielingshausen und Burgstall wurden ebensowenig umgesetzt wie anfängliche Bestrebungen Kirchbergs, zum Landkreis Ludwigsburg zu wechseln.

Vlado Pajurin, Vorsitzender des Kirchberger Angelsportvereins, am See im Wüstenbachhof. Seit der Gemeindegebietsreform müssen die Kirchberger Angler in die Nachbargemeinde fahren, wenn sie ihrem Sport nachgehen. Früher gehörte der See zu Kirchberg. Foto: J. Fiedler

© Jörg Fiedler

Vlado Pajurin, Vorsitzender des Kirchberger Angelsportvereins, am See im Wüstenbachhof. Seit der Gemeindegebietsreform müssen die Kirchberger Angler in die Nachbargemeinde fahren, wenn sie ihrem Sport nachgehen. Früher gehörte der See zu Kirchberg. Foto: J. Fiedler

Von Ingrid Knack

Kirchberg an der Murr. Als um die 1970er-Jahre in Kirchberg die Gemeindegebietsreform auf der Tagesordnung stand, ging es für die Kirchberger und die umliegenden Orte noch um mehr als um neue Gemeindegrenzen. Vor allem die ebenfalls bevorstehende Kreisreform bewegte die Gemüter. Die Frage war: Sollten die Kirchberger künftig zum Kreis Ludwigsburg oder zum Großkreis Waiblingen gehören?

Doch zunächst mussten sich die Kommunen mit dem Gesetz zur Stärkung der Verwaltungskraft kleinerer Gemeinden von 1968 beschäftigen. Kleinere Kommunen sollten sich freiwillig zu größeren Gemeinden zusammenschließen. Betrachtet man Kirchberg heute, so sieht es vordergründig so aus, als sei die Reform relativ spurlos an dem Ort vorübergegangen. Kirchberg blieb Kirchberg. Doch es gab einen Wermutstropfen: Statt größer zu werden, musste der Ort zu Zeiten des Bürgermeisters Walter Klenk Federn lassen. Bei einer Abstimmung im März 1971 hatten sich von 24 stimmberechtigten Bürgern aus dem Teilort Wüstenbachhof 17 für einen Anschluss an die Gemeinde Großaspach ausgesprochen, „während 2 bei der Gemeinde Kirchberg bleiben wollten“, wie aus einem Bericht vom 8. März 1971 in der Backnanger Kreiszeitung hervorgeht. Der Wille der Mehrheit wurde am 1. 1. 1972 besiegelt. Eine kuriose Folge: Nun befindet sich der See des Kirchberger Angelsportvereins nicht mehr auf Kirchberger, sondern auf Aspacher Gemarkung.

Der Gemeinderat tendierte zum Vorschlag des Landratsamts Backnang

Anfang der 1970er-Jahre gab es indes durchaus unterschiedliche Vorschläge, um aus Kirchberg eine größere Gemeinde zu machen als zuvor. Die Zielplanung des Innenministeriums, die das Landratsamt Backnang Anfang 1970 bekannt gab, sah für Kirchberg vor, mit Rielingshausen und Burgstall zusammenzugehen. So wäre man auf rund 5600 Einwohner gekommen. Im Landratsamt Backnang hatte man aber eigene Vorstellungen: Wenn nur Rielingshausen zu Kirchberg käme, würde auch so über kurz oder lang die anvisierte leistungsfähige Verwaltungseinheit mit einer Mindestgröße von 5000 Einwohnern entstehen.

Nun war der Kirchberger Gemeinderat gefragt, der zum Vorschlag des Landratsamts Backnang tendierte. „Er würde der Bildung zweier Gemeinden in diesem Raum, einerseits Erbstetten und Burgstall, andererseits Kirchberg und Rielingshausen, entschieden den Vorzug geben“, heißt es in einem im Mitteilungsblatt der Kommune veröffentlichten Bericht. Zwischen den Gemeinden Kirchberg und Rielingshausen bestünden bereits verschiedene Vereinbarungen zu überörtlicher Zusammenarbeit. „Sollte sich nach der Neuverteilung von Aufgaben im Zuge der Verwaltungsreform aber zeigen, daß die selbstständige Übernahme bestimmter Aufgaben eine noch größere Verwaltungseinheit erfordert, böte sich die Bildung einer Verwaltungsgemeinschaft für diese Aufgaben mit der neuen Gemeinde Burgstall, Erbstetten, z. B. in bestimmten technischen Bereichen an. Diese Verwaltungsgemeinschaft hätte 1975 bereits eine Einwohnerzahl von wenigstens 8500 Einwohnern...“ Auch zwischen den Gemeinden Burgstall und Kirchberg bestünden ebenfalls überörtliche Vereinbarungen. Weiter ist in dem Bericht zu lesen: „Da in diesen Fragenkomplex auch das Denkmodell der Landesregierung zur Landkreisreform hereinspielt, hat sich der Gemeinderat teilweise auch mit dieser Frage befaßt.“ Zu einer Stellungnahme kam es zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Zum Denkmodell zur Landkreisreform wurde aber angemerkt, dass Schüler aus Kirchberg zu einem großen Teil Backnanger Schulen besuchten. Der Ausbau der Backnanger Schulen in dem geplanten Umfang werde diese Entwicklung noch verstärken. Wie man heute weiß, ist Rielingshausen aus dem Altkreis Backnang genauso wie Affalterbach zu Ludwigsburg gekommen, Kirchberg nicht.

Die Rielingshausener hatten zunächst gehofft, selbstständig bleiben zu können

In seinem Aufsatz „Das Bottwartal den Bottwartälern. Bemerkungen zu lokalen Aspekten in der Diskussion um die Kreisreform von 1973“ (Ludwigsburger Geschichtsblätter 67, 2013) schreibt Thomas Schulz, Leiter des Kreisarchivs beim Landratsamt Ludwigsburg: „Im Falle von Rielingshausen war hierfür jedoch streng genommen nicht die Kreisreform verantwortlich, sondern der Ende der 1960er-Jahre gestartete Prozess der Gemeindereformen. Denn die Umkreisung von Rielingshausen geschah schon zum 1. Juli 1972 durch Eingliederung der Gemeinde in die Stadt Marbach.“ Um 1970 hätten die Rielingshausener jedoch durchaus noch gehofft, ihre Selbstständigkeit bewahren zu können.

Auch für Kirchberg stellte sich als „Grenzgemeinde“ die Frage der künftigen Landkreiszuordnung. „Dass Affalterbach im Zuge der Kreisreform zum Kreis Ludwigsburg kommen sollte, war von Anfang an klar“, so Schulz. Dies sei dort auch grundsätzlich begrüßt worden, „da die historischen und aktuellen Verbindungen deutlich mehr nach Marbach und Ludwigsburg als nach Backnang zeigten“. Dennoch habe es Vorbehalte gegeben. Und zwar „vor allem deshalb, weil man die Zuordnung zum Kreis Ludwigsburg nur dann als wirklich sinnvoll erachtete, wenn gleichzeitig auch die Nachbargemeinden Rielingshausen, Kirchberg und Kleinaspach zu Ludwigsburg kämen. Denn sonst sei die Gemeindegrenze im Norden, Osten und Süden zugleich Kreisgrenze und dadurch würde Affalterbach noch mehr in die Rolle einer Randgemeinde abgedrängt, als dies bisher schon der Fall gewesen war. Wenn schon eine Kreisreform durchgeführt werde, dann sollte diese auch zu einer echten Grenzbereinigung führen (...). Das Ziel von Bürgermeister Herbert Müller und seinen Gemeinderäten, dass die westlichen Gemeinden des Landkreises Backnang als Einheit behandelt werden sollten, ließ sich jedoch nicht verwirklichen: Kleinaspach und Kirchberg wurden dem Rems-Murr-Kreis zugeordnet.“

Nicht ganz so eindeutig wie in Kleinaspach sei die Bürgermeinung in Kirchberg gewesen, weiß Schulz. „Allerdings war man sich auch dort zunächst weitgehend einig in der Ablehnung der Pläne der Landesregierung. Man forderte den Erhalt des Landkreises Backnang. Sollte dies nicht erreicht werden können, wollte man lieber zu Ludwigsburg und auf keinen Fall zu Waiblingen.“ Bei einer Bürgerversammlung im Oktober 1970 ergab eine spontane Abstimmung 270 Stimmen für Ludwigsburg und lediglich neun Stimmen für Waiblingen.

Das Thema Kreiszugehörigkeit spaltete die Bürger

„Der Gemeinderat forderte in seiner offiziellen Stellungnahme ebenfalls die Zuordnung zu Ludwigsburg“, schreibt Schulz. Und weiter: „Als die Regierungskoalition dann im Januar 1971 beschloss, Kirchberg in den Kreis Waiblingen einzugliedern, hagelte es geharnischte Proteste. In einer Resolution an den Landtag, die alle Gemeinderäte und rund 200 Bürger unterzeichnet hatten, zeigte man sich ,in höchstem Maß enttäuscht, dass das Votum der Bürgerschaft und die Entschließung des Gemeinderats übergangen‘ worden sind. Auf fünf Seiten zählte man auf, welche Gründe für Ludwigsburg und gegen Waiblingen sprachen. Unabhängig von allen sachlichen Erwägungen sei es schlicht großes Unrecht, den Bürgern Kirchbergs zu verweigern, was den Gemeinden Affalterbach und Rielingshausen zugebilligt wurde, da in allen drei Gemeinden in etwa die gleichen Verhältnisse gegeben seien. In einem Bürgerentscheid am 7. März sollte nochmals über die Frage der künftigen Kreiszugehörigkeit abgestimmt werden.“

Nun erhoben ein „Bürgerkomitee für Ludwigsburg“  und eine „Aktionsgruppe für Backnang “ ihre Stimmen. Das Thema spaltete ganze Familien und Mitglieder von Vereinen. Aus den Rathäusern in Backnang und Burgstall erreichten die Kirchberger derweil Kommentare, sich das mit dem Anschluss an den Kreis Ludwigsburg doch noch einmal gut zu überlegen. Beim Bürgerentscheid am 7. März 1971 sprachen sich bei einer Wahlbeteiligung von 74 Prozent 58,2 Prozent der Kirchberger für eine Zuordnung zum Kreis Ludwigsburg aus, 41,8 Prozent stimmten dagegen. Nun war der Gemeinderat am Zug, der sich wegen des knappen Ergebnisses nicht an einem erklärten Willen einer großen Mehrheit der Bürger orientieren konnte. Mitte April 1971 akzeptierte er das Regierungskonzept, das Thema Landkreis Ludwigsburg war erledigt. Den Ausschlag dazu hatte vor allem gegeben, dass in Backnang eine Außenstelle des Landratsamts eingerichtet werden sollte.

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Erstellt:
14. August 2021, 06:00 Uhr

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