Wie aus Flüchtlingen Fachkräfte werden

Die Integrationsberaterinnen der Industrie- und Handelskammer Rems-Murr unterstützen Zuwanderer auf dem Weg ins Berufsleben. Dabei profitieren sie vom kurzen Draht zwischen der IHK und den Unternehmen.

Die Iranerin Nasim Shabazi (Mitte) hat es geschafft: Sie macht eine Ausbildung zur Fachinformatikerin für Anwendungsentwicklung. Bei Problemen kann sie dabei auf die Unterstützung von Svitlana Samarova (links) und Inken Jagusch zählen. Foto: IHK Rems-Murr

Die Iranerin Nasim Shabazi (Mitte) hat es geschafft: Sie macht eine Ausbildung zur Fachinformatikerin für Anwendungsentwicklung. Bei Problemen kann sie dabei auf die Unterstützung von Svitlana Samarova (links) und Inken Jagusch zählen. Foto: IHK Rems-Murr

Von Kornelius Fritz

Rems-Murr. Als Nasim Shabazi im Februar 2020 aus dem Iran nach Deutschland kam, hatte sie vor allem einen Wunsch: Sie wollte so schnell wie möglich arbeiten. Immerhin hatte die 32-Jährige in ihrem Heimatland ein Bachelorstudium in Physik und einen Master in Maschinenbau abgeschlossen und bereits als Ingenieurin gearbeitet.

Doch das war nicht so einfach wie gedacht. Zunächst einmal musste sie Deutsch lernen und in der Coronazeit fanden kaum Kurse statt. Und als sie schließlich nach einem guten Jahr das erforderliche Sprachniveau B1 erreicht hatte und auf eigene Faust Bewerbungen an Firmen schickte, bekam sie nur Absagen. „Ich habe mich immer gefragt: Wie kann ich Arbeit finden?“, erzählt die junge Frau.

Ein Sozialarbeiter aus ihrer Unterkunft in Kirchberg an der Murr gab ihr schließlich den Tipp, doch mal zur IHK nach Waiblingen zu gehen. „Kümmerer“ Thomas Fett nahm sich dort Zeit für sie und schlug vor, es doch mal mit einer dualen Ausbildung zu versuchen. Er vermittelte ihr auch den Kontakt zu einem Unternehmen in Stuttgart und half bei der Formulierung des Bewerbungsschreibens. Mit Erfolg: Seit eineinhalb Jahren macht Nasim Shabazi nun eine Ausbildung zur Fachinformatikerin für Anwendungsentwicklung. Und es läuft so gut, dass sie hofft, ihre Lehrzeit um ein halbes Jahr verkürzen zu können.

Im Gespräch mit den Betrieben werden Vorbehalte ausgeräumt

Fachkräfte fehlen mittlerweile in etlichen Branchen, gleichzeitig sind in den vergangenen Jahren viele junge Menschen aus Kriegs- und Krisengebieten nach Deutschland gekommen. Mit dem sogenannten „Kümmerer-Projekt“ (siehe Infotext) will das Land dabei helfen, dass möglichst viele Zuwanderer eine Ausbildung machen.

Gute Deutschkenntnisse sind dafür natürlich Voraussetzung, doch damit allein ist es noch nicht getan. Viele Zuwanderer wüssten überhaupt nicht, was eine duale Ausbildung ist, geschweige denn, wie man sich auf eine Lehrstelle bewirbt, berichten Svitlana Samarova und Inken Jagusch, die sich als Nachfolgerinnen von Thomas Fett die Stelle bei der IHK in Waiblingen teilen. Die beiden „Kümmerinnen“, die sich selbst lieber als Integrationsberaterinnen bezeichnen, unterstützen ihre Schützlinge auf dem Weg zu einem Ausbildungsplatz.

„Bestenfalls kommen die Leute schon etwa ein Jahr vorher zu uns“, erklärt Svitlana Samarova, die selbst vor 13 Jahren aus der Ukraine nach Deutschland gezogen ist. Im ersten Schritt geht es darum, herauszufinden, welche Ausbildung für die jeweilige Person infrage kommt. Manchen, der als Berufswunsch „Arzt“ oder „Teamleiter“ angibt, müssen sie auch erst mal auf den Boden der Tatsachen zurückholen. Oft geht es auch noch darum, den Aufenthaltsstatus zu klären oder Schulabschlüsse aus dem Heimatland anerkennen zu lassen. Auch dabei können Samarova und Jagusch helfen und die Migranten durch den deutschen Behördendschungel lotsen.

Der nächste Schritt ist dann oft die Vermittlung in ein Praktikum. Dabei mache es sich bezahlt, dass das Projekt bei der IHK angesiedelt ist, erklärt der Leitende Geschäftsführer Markus Beier: „Unsere Ausbildungsberater sind im täglichen Kontakt mit den Betrieben und wissen genau, welche Firmen gerade jemanden suchen.“ Im persönlichen Gespräch mit den Arbeitgebern ließen sich oft auch Vorbehalte ausräumen. So hätten zum Beispiel viele Chefs Angst, ihr Azubi könnte plötzlich abgeschoben werden. Doch diese Sorge sei unbegründet: Selbst Asylbewerber, die nur eine Duldung hätten, seien während der Ausbildung vor einer Ausweisung geschützt.

Auch während der Ausbildung helfen die Beraterinnen bei Problemen

Wenn es mit dem Ausbildungsplatz geklappt hat, ist die Betreuung aber noch nicht zu Ende. „Wir sind auch in den ersten sechs Monaten der Ausbildung für die Leute da“, erklärt Inken Jagusch. Denn oft tauchen nach Beginn der Ausbildung neue Probleme auf. Zum Beispiel wenn der Azubi, der in der Praxis gute Arbeit leistet, Probleme mit dem Theorieunterricht an der Berufsschule hat. Dann können die Beraterinnen helfen, indem sie Nachhilfe organisieren. Auch die finanzielle Situation ist häufig ein Thema, denn nicht jedem ist klar, dass man als Auszubildender in Deutschland viel weniger verdient als ein normaler Arbeitnehmer. Wenn der erste Gehaltszettel kommt, will mancher seine Ausbildung deshalb schon wieder abbrechen. Dabei gibt es doch die Möglichkeit, aufstockende Sozialleistungen zu beantragen.

„Wir versuchen alles, damit der Ausbildungsplatz erhalten bleibt“, sagt Svitlana Samarova. Der Betreuungsbedarf ist dabei höchst unterschiedlich. Manche brauchen nur ganz am Anfang Unterstützung, andere melden sich jede Woche. Und manchmal sind Svitlana Samarova und Inken Jagusch auch ein bisschen Familienersatz für die jungen Leute, die oft ganz alleine aus ihrer Heimat geflüchtet sind.

Das Problem des Fachkräftemangels werde man durch dieses Projekt zwar nicht lösen, sagt Markus Beier, aber man könne doch einen wichtigen Baustein liefern, um neue Fachkräfte zu qualifizieren – gerade in sogenannten Mangelberufen wie in der Pflege oder der Gastronomie.

Das „Kümmerer-Projekt“

Programm Das Programm „Integration durch Ausbildung – Perspektiven für Zugewanderte“ wurde 2016 vom Wirtschaftsministerium des Landes gestartet. Landesweit wurden 37,5 Stellen für regionale „Kümmerer“ geschaffen, davon fünf im Bereich der IHK Region Stuttgart. Das Projekt war bis Ende 2022 befristet, wurde nun aber um zwei weitere Jahre verlängert. In dieser Zeit trägt das Land 80 Prozent der Personalkosten.

Leistungen Die Beraterinnen der IHK unterstützen sowohl die Zugewanderten als auch die Betriebe. Das Angebot reicht von der Beratung bei der Berufswahl über Unterstützung beim Bewerbungsprozess bis hin zur Betreuung in den ersten sechs Monaten einer Ausbildung. Die Betriebe bekommen unter anderem Hilfe bei Behördenkontakten, etwa wenn es um Fragen der Aufenthaltsgenehmigung oder Arbeitserlaubnis geht.

Erfolg Landesweit wurden seit 2016 rund 7500 Zugewanderte im Rahmen des Projekts betreut, davon wurden rund 3400 in eine Ausbildung vermittelt. Im Rems-Murr-Kreis, wo das Programm erst seit 2018 läuft, konnte die IHK bisher 86 Personen zu einem Ausbildungsplatz verhelfen, außerdem wurden rund 200 Praktikumsplätze vermittelt. „Das ist eine stolze Bilanz“, freut sich IHK-Geschäftsführer Markus Beier.

Zum Artikel

Erstellt:
2. Februar 2023, 06:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Lesen Sie jetzt!
Im Café „Base – on the river“ an den Murrtreppen in Backnang weist ein Schild die Gäste auf das Cannabisverbot hin. Foto: Alexander Becher
Top

Stadt & Kreis

Backnang will Kiffen auf dem Straßenfest verbieten

Die Stadtverwaltung in Backnang plant, das Rauchen von Cannabis auf dem Straßenfest zu untersagen. Auch andernorts wird das Kiffen trotz Teillegalisierung verboten bleiben, beispielsweise in Freibädern. Viele Gastrobetreiber wollen keine Joints in ihren Außenbereichen.

Stadt & Kreis

Saskia Esken stellt sich wütenden Fragen in Weissach im Tal

Die Bundesvorsitzende der SPD nimmt auf Einladung des Ortsvereins Weissacher Tal auf dem Roten Stuhl Platz. Die Besucherinnen und Besucher diskutieren mit ihr über die Themen Wohnungsbau, Ukrainekrieg, Verkehr und die Politik der Ampelkoalition.

Stadt & Kreis

Murrhardter Pflegeheim setzt auf ausländisches Personal

Der Fachkräftemangel belastet die Pflegeheime. Das Haus Hohenstein in Murrhardt setzt mit Blick auf die schwierige Lage auch auf Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die aus Nicht-EU-Ländern kommen und (nach-)qualifiziert werden. Zwei Pflegefachkräfte aus der Türkei berichten von ihrem Weg.