Begrenzte Vergeltung oder Beginn des Krieges?
Wie der Iran auf die Luftschläge reagiert und was Experten sagen
Nach dem israelischen Angriff auf den Iran hofft der Westen, dass die militärische Konfrontation zwischen den beiden Staaten vorerst vorbei ist. Auch der Iran hat eigentlich kein Interesse an einer Eskalation.
Von Thomas Seibert
Israelische Kampfflugzeuge beschossen in der Nacht zum Samstag knapp zwei Dutzend Ziele im Iran. Das Bombardement solle den Schlagabtausch nun beenden, so US-Verteidigungsminister Lloyd Austin. Der Iran solle nicht zurückschlagen. Ähnlich äußerte sich Bundeskanzler Olaf Scholz: „Das muss jetzt ein Ende haben.“ Dennoch sind weitere Eskalationen möglich. Die Zielauswahl der Israelis deutet nach Einschätzung von Experten darauf hin, dass der Luftschlag der Auftakt zu einer größeren Konfrontation gewesen sein könnte.
Israel bot bei dem Angriff rund hundert Kampfjets auf, die in einer ersten Angriffswelle die Luftverteidigung iranischer Partner im Irak und in Syrien beschossen, dann die iranische Luftabwehr ins Visier nahmen und schließlich Raketenfabriken im Iran bombardierten. Etwa 20 Ziele wurden demnach angegriffen. Der Iran erklärte, weder Öl- und Atomanlagen noch Hauptquartiere iranischer Streitkräfte seien getroffen worden. Satellitenbilder zeigten nach westlichen Medienberichten jedoch Schäden an einer Atomanlage bei Teheran. Zudem sei eine Fabrik für die Massenproduktion von Raketen bombardiert worden. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sagte, Israel habe die iranischen Verteidigungssysteme hart getroffen.
Experte spricht von „niedrigster Eskalationsstufe“
Der Iran erklärte hingegen, der Angriff habe nur geringe Schäden angerichtet. Die israelischen Jets hätten vor allem Gebiete westlich von Teheran beschossen, doch die Angriffe seien von der Luftabwehr „neutralisiert“ worden, meldete die staatliche Nachrichtenagentur Irna. Vier iranische Soldaten starben. Gemessen an den israelischen Ankündigungen vor dem Angriff fielen die Bombardements damit begrenzt aus.
„Israel entschied sich für die niedrigste Eskalationsstufe“, sagt Kristof Kleemann, Projektleiter der Friedrich-Naumann-Stiftung in Jerusalem. „Die israelischen Gegenschläge konzentrierten sich auf iranische Radar-, Luftabwehr- und Raketenanlagen“, so Kleemann gegenüber unserer Zeitung.
Der Iran will einen Krieg mit Israel und den USA vermeiden
Reaktionen der iranischen Führung legten nahe, dass die Islamische Republik vorerst keine Eskalation will, die in einen Krieg gegen gegen Israel und die USA münden könnte. Revolutionsführer Ajatollah Ali Khamenei sagte am Sonntag, das Ausmaß der israelischen Aggression sollte weder heruntergespielt noch übertrieben dargestellt werden. In seiner ersten Stellungnahme nach dem Angriff betonte Khamenei laut Irna, wie wichtig es sei, die Sicherheit des Landes zu bewahren. Er forderte eine internationale Koalition gegen Israel, die politisch, wirtschaftlich und wenn nötig auch militärisch handeln solle. Außenminister Abbas Araghci erklärte zudem, der Iran behalte sich das Recht auf eine Reaktion vor.
Auch Israels Armee ließ offen, ob sie die jüngste Runde der Auseinandersetzung mit dem Iran als vorerst beendet ansieht. Die US-Nachrichtenseite Axios meldete, Israel habe Iran vor dem Angriff über Mittelsmänner mitteilen lassen, dass die Bombardements bevorstünden und welche Bereiche beschossen werden sollten. Zu der Botschaft habe die Aufforderung an den Iran gehört, auf einen Gegenschlag zu verzichten.
Luftabwehr ist momentan geschwächt
Die Begrenzung des Luftschlages ist nach Ansicht von Experten nicht automatisch ein Zeichen der Deeskalation. Möglicherweise versuchte Israel am Samstag, den Iran sturmreif zu schießen. Die Bombardements könnten die Fähigkeit Irans, „sich gegen künftige Angriffe zu verteidigen oder Gegenschläge zu führen“, massiv geschwächt haben, mein auch Kleemann. Nach seiner Einschätzung könnte Israel erneut angreifen, bevor die Iraner die Schäden an der Flugabwehr repariert haben: „Offen bleibt, ob Israel vor der Amtseinführung eines US-Präsidenten oder einer US-Präsidentin weitere Ziele im Iran angreifen wird, um die Schwächung der iranischen Luftabwehr auszunutzen.“