Ermittlungsarbeit
Wie die DNA preisgibt, wo wir herkommen
Die deutschen Justizminister machen sich Gedanken darüber, ob DNA-Informationen über die geografische Herkunft für Ermittlungen genutzt werden dürfen.

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Forscher in einem DNA-Labor: die regionale Herkunft von Täter durch biogeografische Analysen klären.
Von Franz Feyder
Baden-Württembergs Justizministerin Marion Gentges (CDU) und ihr bayrischer Kollege Georg Eisenreich (CSU) wollen es tun: Sie bringen bei der Frühjahrskonferenz der deutschen Justizminister vom 4. bis zum 6. Juni im Kurort Bad Schandau in der sächsischen Schweiz einen Antrag ein. Danach soll ein Gesetz verfasst werden, dass künftig Ermittlungsbehörden erlaubt, die DNA von Tatverdächtigen auf deren biogeografische Herkunft zu untersuchen. Damit ist beispielsweise aufklärbar, aus welcher Erdregion ein mutmaßlicher Täter stammt: die so genannte biogeografische Herkunftsanalyse (BGA).
Welche biologischen Grundlagen könnten die Ermittlungsbehörden nutzen?
Die geografische Herkunft von Tätern kann mit Hilfe der DNA durch die Analyse sogenannter genetischer Marker bestimmt werden. Sie sind mit bestimmten Bevölkerungsgruppen oder Regionen verbunden.
Was muss zunächst für eine biogeografische Herkunftsanalyse gemacht werden?
Biologen untersuchen dazu die Single Nucleotide Polymorphisms – kurz SNPs. Das sind kleine Unterschiede in der DNA, die Menschen voneinander unterscheidbar machen können. Einfach wird es, wenn man sich die DNA wie ein sehr dickes Buch vorstellt, in dem nur die vier Buchstaben A, T, C und G vorkommen, die Bausteine der DNA. Ein SNP ist eine Stelle in dem Buch, an der bei manchen Menschen ein anderer Buchstabe steht als bei anderen.
Zum Beispiel haben die meisten Menschen hier ein T, einige wenige jedoch ein C dort stehen. Wie bei einem Tippfehler. Diese SNPs beeinflussen, wie man auf Medikamente reagiert, wie anfällig jemand für bestimmte Krankheiten ist oder welche Augen- und Haarfarbe jemand hat. Manche SNP-Muster kommen nur in bestimmten geografischen Regionen vor, manche kommen in manchen Erdregionen auch nur häufiger vor. Vergleicht man eine an einem Tatort gefundene SNP einer unbekannten DNA-Probe mit Datenbanken, lässt sich abschätzen, mit welcher Wahrscheinlichkeit eine Person aus einer bestimmten Region der Erde kommt.
Was haben Y-Chromosome damit zu tun?
Wissenschaftler in den Landeskriminalämtern und dem Bundeskriminalamt bestimmen die Y-Chromosomen bei Männern, da nur sie ein Y-Chromosom haben. Die Y-DNA vererbt sich väterlicherseits und kann zu männlichen Linien zurückverfolgt werden, die in bestimmten Regionen vorkommen. Und sie analysieren die sogenannte Mitochondriale DNA (mtDNA), die von den Müttern vererbt wird. Sie erlaubt Aussagen über die mütterliche Linie. Diese sogenannten Haplogruppen sind Gruppen von Menschen, die einen gemeinsamen Vorfahren in ihrer Familienlinie teilen. Sie werden durch bestimmte genetische Merkmale im Erbgut erkannt, die sich über Tausende von Jahren kaum verändert haben.
Was sagen Haplogruppen aus?
Eine Haplogruppe ist eine Gruppe ähnlicher genetischer Marker, die einen gemeinsamen Ursprung in einer bestimmten Region oder Population anzeigen. Mit Population ist dabei eine Gruppe von Individuen gemeint, die ein bestimmtes geografisches Gebiet bewohnen, sich untereinander fortpflanzen und über mehrere Generationen genetisch miteinander verbunden sind. So kommt beispielsweise die Haplogruppe R1b häufig in Westeuropa vor, E-V im Norden Afrikas, R1a im Norden, Osten und Südosten Europas.
Was geschieht mit den Daten der Haplogruppen?
Die in der Untersuchung des DNA-Materials gewonnenen Daten werden in Computermodellen analysiert, um die Ähnlichkeit der DNA-Probe mit Referenzdaten aus anderen Datenbanken zu vergleichen. So können die Wissenschaftler eine Aussage zur Herkunftsregion eines Täters machen. Das Ergebnis ist aber keine exakte Ortsbestimmung, sondern eine Aussage darüber, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Täter aus einer bestimmten Region kommt. Das Ergebnis spricht dann beispielsweise dafür, dass er mit einer Wahrscheinlichkeit von 80 Prozent aus Nordeuropa kommt.
Welche Grenzen und Unsicherheiten gibt es dadurch in polizeilichen Ermittlungen?
Das Ergebnis einer biogeografischen Herkunftsanalyse (BGA) ist immer nur eine Wahrscheinlichkeitsaussage, keine genaue Herkunftsangabe. Migration und die Vermischung von Populationen können zudem die Analyse erschweren. Entscheidend für die polizeiliche Arbeit mit diesem DNA-Werkzeug ist die Qualität der Vergleichsdatenbanken.
Zusammenfassend: Die Polizei wird also zunächst mit Hilfe der BGA vor allem Verdächtige ausschließen können, als sie mit ihrer Hilfe zu überführen. Sie ist ein sehr nützliches Ermittlungswerkzeug, aber nicht allein beweiskräftig. Kritiker und Menschenrechtsorganisationen warnen davor, die BGA könnte genutzt werden, um rassistisch motivierte Täterprofile zu erstellen.
Welche Länder arbeiten bereits mit der biogeografischen Herkunftsanalyse?
Österreich arbeitet nach einer Gesetzesänderung im Jahr 2018 unter strengen Voraussetzungen mit der BGA. Dazu gehört, dass die DNA nach schwerwiegenden Straftaten wie Mord, Vergewaltigung oder Terrorismus an einem Tatort oder Opfer gefunden wurde. In Frankreich arbeiten Kriminalisten seit einem Gerichtsentscheid im Juni 2014 mit einzelnen Bestandteilen der BGA, um das äußere Erscheinungsbild von Verdächtigen wie Haar- und Augenfarbe zu bestimmen. Die Gesetzeslage ist noch nicht abschließend geklärt. In Großbritannien, Spanien, Schweden und Polen wird die BGA angewendet, weil sie nicht ausdrücklich verboten ist. Diese Länder erarbeiten derzeit genaue gesetzliche Bestimmungen. In der Schweiz wird ein Gesetzentwurf zur BGA derzeit parlamentarisch diskutiert.